Der legendäre New Yorker Komponist Morton Feldman war nicht nur mit Kollegen wie John Cage in engem Austausch. Ihn verbanden auch Freundschaften mit bedeutenden Malern der New York School. Deren avantgardistische Strömung des Abstrakten Expressionismus beindruckte Feldman tief und nachhaltig: Diese Kunst habe bei ihm zu einem Ansatz in der Musik geführt, der „direkter, unmittelbarer, körperlicher war als alles, was bis dahin existiert hatte“, so Feldman. Vor allem auch die Arbeiten von Mark Rothko hatten einen großen Einfluss auf den Komponisten. So wie Rothko, dessen mal strahlende, mal glühende, mal opake Farbfeldgemälde beim Betrachten die Aufmerksamkeit auf die Pigmente und die Textur lenken statt auf Konturen oder Perspektiven, zielte Feldman in seiner Musik auf eine Auseinandersetzung mit den Texturen im Klang und mit den Wirkungen des Nachhalls.
Manchester Collective erweckt Feldmans „Rothko Chapel“ zum Leben
1971 komponierte Morton Feldman das gut halbstündige Stück „Rothko Chapel“ für Sopran, Alt, Chor, Bratsche, Celesta und Schlagzeug. Diese Musik, die in ihren schemenhaften, verschatteten Gestalten den Gestus einer Trauermusik hat, kann als Nachruf auf Rothko gedeutet werden. Dieser hatte sich im Jahr zuvor das Leben genommen. Die geradezu rituelle Kontemplation von „Rothko Chapel“ eröffnet mit sensibel ausbalancierten, subtilen Ausdrucksmitteln einen eindrucksvollen, berührenden Klangraum, der darüber hinaus als universelle spirituelle Erfahrung erlebt werden kann.
Der Titel „Rothko Chapel“ ist der gleichnamigen Kapelle in Houston/Texas entlehnt. Sie wurde 1971 von der die zeitgenössische Kunst fördernden Menil Foundation errichtet. Das fensterlose Gebäude ist als konfessionsloser Ort der Kunst und des Austausches konzipiert. In seinem achteckigen Innenraum hängen 14 Wandgemälde von Mark Rothko. Morton Feldman reagierte darauf mit seiner Komposition: „Meine Auswahl der Instrumente (bezüglich der Besetzungsstärke, der Klangbalance und der Klangfarben) ist in hohem Maße von diesem Raum und auch von den Gemälden dort beeinflusst.“ Feldmans „Rothko Chapel“ markiert das Finale des Mark-Rothko-Abends, den das Manchester Collective im Rahmen des stARTfestivals von Bayer Kultur gestaltet: Neue Musik trifft auf riesige 3-D-Visuals.