Seit einigen Tagen ist Anders Beyer, Intendant des Bergen International Festival, endlich in Norwegen – Corona macht eben auch kurze Reisen zu einem bürokratischen Kraftakt. Doch nun überwiegt die Vorfreude auf ein aufregend anders geartetes Festival.
Herr Beyer, wann haben Sie denn zum ersten Mal erfahren, dass es in Bergen ein großes Festival gibt?
Anders Beyer: Das war noch während meiner Kindheit auf Bornholm, da habe ich im Fernsehen Eva Knardahl gesehen, die Griegs a-Moll-Konzert gespielt hat – jenes Werk, das traditionell zum Abschluss des Festivals erklingt. Da muss ich ungefähr zehn Jahre alt gewesen sein, und ich erinnere mich, dass sie draußen bei stürmischem Wetter gespielt hat.
Stürmisch sind auch die Voraussetzungen, unter denen das Festival stattfindet: Nach wie vor hat uns die Corona-Pandemie fest im Griff, in weniger als einem Monat soll das erste Konzert stattfinden…
Beyer: …und ich sitze, während wir hier sprechen, zu Hause in Dänemark, weil ich noch nicht nach Norwegen einreisen darf. So geht es leider auch vielen Künstlern, so dass wir vieles bereits absagen mussten. Glücklicherweise bleiben uns einige amerikanische Künstler erhalten, denn unser übergeordnetes Festivalthema lautet „This Is America?“. Für unsere Eröffnungsveranstaltung „The American Moth“ haben die teilnehmenden Künstler eine Sondergenehmigung erhalten, um einzureisen. Es ist schon skurril, dass ich erst seit ein paar Tagen sagen kann: Ja, wir haben einen Eröffnungsabend!
Wie kamen Sie auf das Festivalthema?
Beyer: Es fing damit an, dass ich die Komponistin Missy Mazzoli als Artist in Residence gewinnen konnte. Dann habe ich mich gefragt, ob wir nicht um diese Residency herum einen tiefergehenden Blick auf die derzeitige Befindlichkeit Amerikas werfen könnten mit amerikanischen Komponisten aller Geschlechter und Hautfarben, Diskussionsforen und natürlich amerikanischer Kunst. Gerade vor, während und nach den Präsidentenwahlen wurde dann die Frage immer größer: Ist das Amerika? Und da muss ich sagen: Ja, auch diese ganze Trump-Sache ist ein Teil von Amerika. Einerseits ist „This Is America?“ eine großartige Idee, andererseits ist sie aber auch unglaublich schwer umzusetzen, denn einige amerikanische Künstler können, wie gesagt, nicht nach Norwegen einreisen.
Viele Veranstaltungen werden Sie als Streaming-Videos anbieten. Wird auf diesem Wege Ihr Publikum noch internationaler?
Beyer: Schwer zu sagen. Letztes Jahr haben wir die Videos kostenfrei angeboten, diesmal gibt es eine Bezahlschranke, so dass wir sicherlich nicht die Klickzahlen von 2020 erreichen werden. Andererseits müssen wir alle in der Kulturwelt nachhaltige Geschäftsmodelle entwickeln, Kunst zum Nulltarif ist nun mal nicht möglich. Letztes Jahr war das noch anders, da wollten wir einfach nur, dass das Festival stattfinden und ein möglichst breites Publikum erreichen kann, und da sprechen wir von 123 Ländern, in denen unsere Konzerte gestreamt wurden. Auf diesem Weg können wir ganz neue Zuschauerschichten erschließen – und die Kunst auch ein Stück weit demokratischer machen: Es gab bei den Streams viel Zuspruch in Altenheimen, Krankenhäusern und Gefängnissen. Der goldene Weg für die Zukunft ist ein Hybridformat, also ein Festival für ein Publikum vor Ort, das aber auch digital in die Welt ausstrahlt. Der nächste Schritt wäre dann, Produktionen zu verwirklichen, die von Anfang an auch digital gedacht werden. Die neuen Technologien sind nicht nur ein Medium, um Menschen zu erreichen, sondern können auch kreativ genutzt werden, oder vielmehr: Sie müssen nach den Erfahrungen, die die Welt im letzten Jahr gemacht hat, kreativ genutzt werden. Die alte Welt vor Corona wird es nie wieder geben.
Hat denn ein solches Hybridformat auch Auswirkungen auf die Produktionen selbst, will heißen: Verändert es die Art von Konzerten oder Theateraufführungen?
Beyer: Auf jeden Fall! Letztes Jahr dachten wir noch, dass wir mit dieser ganzen Digitalisierung endlich zur Jugend und zu den jungen Erwachsenen vordringen, die keine Berührungsängste mit elektronischen Medien haben. Aber wenn die konventionellen Veranstaltungen einfach gestreamt werden, erreicht man am Ende auch nur dieselben Menschen wie vorher, nur dass es eben mehr sind. Wenn man junge Menschen für sich gewinnen will, muss man Kulturveranstaltungen völlig neu denken.
Das heißt vermutlich, dass Sie für die kommende Festivalausgabe reichlich Equipment für digitale Übertragungen beschaffen mussten.
Beyer: Naja, technische Ausrüstung zu kaufen ist keine gute Idee, denn sie entwickelt sich permanent fort. Da würde ich nur öffentliche Gelder und Spenden missbrauchen. Aber wir haben ein Team zusammengestellt, das sich nur mit den digitalen Produktionen befasst. Somit verfügen wir schon mal über technisches Know-how. Aber die Gerätschaften, die mieten wir bei einem Unternehmen in Bergen, das praktisch alles hat, was wir brauchen: Krane, Equipment für Unterwasseraufnahmen, einfach alles!
Und wie wollen Sie denn das spezielle Flair von Bergen mit seinen phänomenalen Naturlandschaften digital abbilden?
Beyer: Wir müssen den Online-Besuchern eine virtuelle Reise bieten, müssen Storytelling betreiben… Ich glaube, dass viele Menschen genug haben von „nur“ abgefilmten Konzerten. Das ist nicht dasselbe, wie wenn man vor Ort ist. Wie können wir also die Menschen vom Wohnzimmer aus zu uns holen? Diese Frage wird uns noch einige Zeit beschäftigen.
Wie ergeht es denn Ihnen, wenn Sie in Bergen ankommen?
Beyer: Der höchste Punkt in Dänemark beträgt 170 Meter. In Bergen hingegen kann ich von meinem Appartment aus Ski fahren, und dann ist da noch dieser unfassbar große Wald. Hier habe ich das Gefühl, dass da draußen etwas ist, das viel größer ist als ich selbst.