Die Teilhabe an Konzerten ermöglichen, Hürden des Zugangs abbauen und alle Generationen einbinden – diese Ziele schreiben sich Veranstalter klassischer Musik allerorts gerne auf die Fahne. Nur selten werden sie aber so ernst genommen und nachhaltig verfolgt, wie beim Festival de Pâques in Aix-en-Provence. Alljährlich lädt das 2013 von Renaud Capuçon und Dominique Bluzet mit der Unterstützung der Bank CIC gegründete und bis heute geleitete Osterfestival international renommierte Musikerinnen und Musiker in die südfranzösische Universitätsstadt, diesmal vom 11. bis 27. April. Dabei bieten nicht nur das Grand Théâtre de Provence, das Théâtre du Jeu de Paume, das Concervatoire Darius Milhaud und die Cathédrale Saint-Sauveur Musikerlebnisse der Extraklasse. Auch auf Straßen, in Krankenhäusern und Hospizen finden Konzerte statt, dabei richtet sich das Programm an alle Altersklassen. Schülerinnen und Schüler ländlicher Musikkonservatorien werden im Rahmen des Festivals zehn Tage lang von etablierten Musikern unterrichtet, und junge Solisten bei ihren ersten Schritten als Profis von erfahrenen Mentoren unterstützt. Vor allem aber darf man sich auf eine Riege erlesener Gäste freuen.
Aufsteigerin und Grande Dame
Auch in diesem Jahr ist wieder die Grande Dame des Pianos, Martha Argerich, mit von der Partie. Gleich zum Eröffnungskonzert mit dem Orchestre national du Capitole unter der Leitung von Renaud Capuçon ist sie als Solistin in Beethoven erstem Klavierkonzert zu erleben. Ein weiteres Urgestein des Klaviers, Rudolf Buchbinder, gibt sich die Ehre, wenn das Luzerner Sinfonieorchester Dvořáks neunter Sinfonie das erste Klavierkonzert von Brahms voranstellt. Ein besonderes Highlight in diesem Jahr ist der Auftritt Elim Chans (Beitragsbild) mit dem Orchestre de la Suisse Romande. Als aufsteigender Stern am Dirigentenhimmel ist die Chinesin die erste Frau, die den renommierten Donatella-Flick-Dirigentenwettbewerb in London gewann. Inzwischen hat sie mit vielen bedeutenden Klangkörpern zusammengearbeitet und im letzten Jahr das Orchester des Mozarteums mit der Bundeshymne zur Eröffnung der Salzburger Festspiele dirigiert. Im Grand Théâtre de Provence wird sie zusammen mit Renaud Capuçon an der Geige ihre Sichtweise auf das hochromantische Violinkonzert des jungen Richard Strauss präsentieren sowie Auszüge aus Prokofjews „Romeo und Julia“-Suiten.
Festival-Highlights der Superlative
Ein weiteres Festival-Highlight, das man keinesfalls verpassen sollte, ist Edward Elgars leidenschaftliches, tief empfundenes Cellokonzert in der Ausdeutung der europaweit gefeierten österreichischen Cellistin Julia Hagen und dem Verbier Festival Orchestra unter der Leitung von Musikdirektor Gábor Takács-Nagy. Hagen gehört zu den „Jungen Wilden“ im Konzerthaus Dortmund und ist Gewinnerin des „UBS Young Artist Awards“ 2024, der ihr einen Auftritt mit den Wiener Philharmonikern unter der Leitung von Christian Thielemann im Rahmen des Lucerne Festivals ermöglicht. Noch weitere erstklassige Klangkörper sorgen beim Festival de Pâques für höchste Konzertgenüsse: das Orchestre Philharmonique de Radio France mit Pianistin Beatrice Rana und Tschaikowskys erstem Klavierkonzert, das Orchestre du Festival Pablo Casals mit Gautier Capuçon als Solist in Schostakowitschs erstem Cellokonzert, das Orquestra Simfònica de Barcelona i Nacional de Catalunya, das sich gemeinsam mit Pianist Lucas Debargue in Gershwins „Concerto in F“ vor der Jazzmusik verbeugt, sowie das Orchestre Philharmonique du Luxemburg, mit dem sich Renaud Capuçon als Solist und Dirigent zum Carte-Blanche-Programm mit Mozart, Beethoven und Mendelssohn trifft.
Zahlreiche Debüts
Die zwölf Cellisten der Berliner Philharmoniker kombinieren beliebte mit neu komponierten Stücken, und natürlich kommt in der Osterzeit auch der sakrale Gesang nicht zu kurz. Neben Bachs „Matthäus-Passion“ mit dem Alte-Musik-Ensemble „Les Ambassadeurs – La Grande Écurie“, Bachs „Oster-Oratorium“ und zwei seiner Kantaten mit Les Talens Lyrique sowie Monteverdis „Marienvesper“ mit dem Ensemble I Gemelli dürften auch die französisch-italienische Mezzosopranistin Lea Desandre und das Ensemble Jupiter mit einem reinen Händel-Programm für ergreifende Momente sorgen. Gleiches gilt selbstredend für die Kammermusik, die beim Festival de Pâques auch in diesem Jahr gebührend gefeiert wird. So lockt das Belcea Quartet mit Mozarts „Hoffmeister“- und Beethovens drittem „Rasumowsky“-Quartett, kredenzt das Ensemble Astera Kompositionen und Arrangements für fünf Holzbläser, während Flötistin Mathilde Calderini und Pianist Aurèle Marthan sich auf Musik von Frauen aus dem 19. und 20. Jahrhundert fokussieren. Sein Festival-Debüt in Aix-en-Provence gibt indes der junge spanische Cellist und Tschaikowsky-Wettbewerb-Gewinner Pablo Ferrández mit seinem Klavierpartner Luis del Valle. Gemeinsam mit Cellist Kian Soltani und Pianist Mao Fujita rollt Festivalleiter Renaud Capuçon zwei Klaviertrios von Schubert und Brahms einen roten Teppich aus. Und noch einmal ist Capuçon im kleinen Format zu erleben, wenn er gemeinsam mit dem Schweizer Comiczeichner Zep eine musikalische Geschichte vor den Augen und Ohren der Besucher entstehen lässt.
Fokus Klavier
Auge und Ohr wird auch beim Auftritt der Schauspielerin und Regisseurin Chiara Muti mit ihrem Ehemann, dem Pianisten David Fray, einiges geboten. Mit Stücken von Bach, französischer Barockmusik und Schauspiel erzählt das Paar von der bewegenden Beziehung zwischen Ludwig XVI. uns seinem ältesten Sohn, der an Knochentuberkulose litt. Drei weitere Pianisten sind beim Festival de Pâques mit Solo-Programmen vertreten: Bertrand Chamayou schenkt Maurice Ravel zu dessen 150. Geburtstag eine Aufführung von dessen kompletten Klavierwerken, die 17-jährige russische Pianistin Alexandra Dovgan bringt drei Sonaten von Beethoven, Schumann und Prokofjew mit ins Konservatorium, während der junge kanadische Pianist Bruce Liu zwei große russische Sonaten des 20. Jahrhunderts im Gepäck hat: Skrjabins vierte und Prokofjews siebte.
Nicht zuletzt bringt das „Génération @ Aix“-Konzert auch in diesem Jahr wieder drei junge, hochtalentierte Musiker mit einer Mentorin zusammen. Diesmal trifft sich Anneleen Lenaerts, Harfenistin der Wiener Philharmoniker, mit Geiger Thomas Briant, Bratschistin Sara Ferrandez und Flötist Alberto Navarra zum exquisiten Kammerkonzert. Das überzeugende Zusammenspiel von künstlerischer Exzellenz, Nachwuchsförderung und Musikvermittlung sorgt für nachhaltige Erlebnisse beim Osterfestival in Aix-en-Provence.