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Internationales Kammermusikfestival „Fliessen“ 2023

Das neue Internationale Kammermusikfestival „Fliessen“ lädt vom 8. bis 15. Juli mit allerersten Namen zu ungezwungenen Konzerten und Gesprächen in die Niederlausitz.



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Wer geplagt ist von Jetset, Lärm und der Hyperventilation eines Künstlerdaseins rund um den Globus, sucht Erbauung in der idyllischen Ruhe einer von Menschen dünn besiedelten Natur, deren Flora und Fauna entsprechend reich aufwächst. Abseits ihrer aufregenden Weltkarrieren fanden Pianist Martin Helmchen und Cellistin Marie-Elisabeth Hecker für ihre junge Familie ihre Ruhe in Bornsdorf südlich von Luckau, und wer ihre entzückende „Drauschemühle“ etwas außerhalb des 300-Seelen-Dorfes besucht, stellt sich sofort vor, wie schön es sein müsste, genau hier – weit abseits des Champagner-Küsschen-Abendkleid-Zirkus der sich mondän gebenden Klassikwelt – authentische Musik zu erleben, wie sie mal gedacht war: zur Erbauung der Seele und ohne Marktschreierei. Warum nicht ein Kammermusikfestival gründen mit Freunden, die man sonst meistens nur in Garderoben oder Flughafenlobbys sieht?

In der „Drauschemühle“ von Martin Helmchen und Marie-Elisabeth Hecker lässt sich authentisch Musik erleben
In der „Drauschemühle“ von Martin Helmchen und Marie-Elisabeth Hecker lässt sich authentisch Musik erleben

Nun ist wohl kaum ein brandenburgisches Klischee so ungerecht wie das von der flachen Streusandbüchse. Gerade wenn man durch den Naturpark Niederlausitzer Landrücken stromert, fallen sofort die sanften Endmoränen-Hügel auf, die die Saaleeiszeit vor etwa 300.000 Jahren hinterließ. Gleich nebenan durchzieht den Spreewald ein Netz aus kleinen Wasserläufen: Diese „Fließe“ waren früher schon unverzichtbar als Lebensadern, garantierten fruchtbares Land, stellten Verbindungen zwischen den Menschen her, garantieren heute sanften Tourismus. Die Niederlausitz ist also wie geschaffen für Entschleunigung, für Kontemplation, für Nachsinnen und Zuhören, sie bietet den Gegenpol zur großstädtischen Aufgeregtheit, zur Hektik des Wachstums und der Aufmerksamkeitsspirale.

Ist überzeugt, dass Musik kein Chichi braucht: Pianist Alexander Melnikov
Ist überzeugt, dass Musik kein Chichi braucht: Pianist Alexander Melnikov

Spitzenmusiker aus aller Welt zu Gast in der Drauschemühle

Aus der Metapher der Wasserlandschaft wurde das Festival „Fliessen“ geboren. Als „Festival im Festival“ findet es in diesem Jahr erstmalig statt, ist im Programm der ohnehin schon naturliebenden und gut geerdeten Brandenburgischen Sommerkonzerte verankert und holt für eine Woche Spitzenmusiker aus der ganzen Welt in die Drauschemühle. Sie proben dort gemeinsam in unterschiedlichen Konstellationen auch eher selten gehörte Werke der Kammermusik und laden gemeinsam zu sieben Konzerte in die umliegenden Orte der Niederlausitzer Idylle ein. Häufig ist in solchen Zusammenhängen vom angeblichen „Who-is-who“ der Musikwelt die Rede – beim „Fliessen“-Festival kommt tatsächlich ausschließlich die Crème de la Crème zusammen. Und ob Christian Tetzlaff, Antje Weithaas oder Julian Steckel, Tobias Feldmann, Alexander Melnikov oder Harriet Krijgh – sie alle eint die Überzeugung, dass Musik zuerst nur für sich selbst stehen sollte und kein Chichi drumherum braucht. Sie kommen, weil die „Drauschemüller“ sie eingeladen haben, zu einem künstlerischen Wiedersehen unter Freunden in den unterschiedlichsten Konstellationen, aber immer auch im Austausch mit dem Publikum auf Augenhöhe.

Fagottist Theo Platz folgt ebenso der Einladung der „Drauschemüller“
Fagottist Theo Platz folgt ebenso der Einladung der „Drauschemüller“

Dabei will das Festival noch mehr sein, als nur großartige Konzerte anzubieten, schließlich lebt Musik nicht im luftleeren Raum, sondern steht immer in Beziehung zu ihrer Entstehung, zu ihren Interpreten und Zuhörern. Sie ist auch immer „im Fluss“, und das Fließen der Töne und Klänge ist hier genauso gemeint wie die gesellschaftliche Realität unseres Lebens, die sich gerade im Süden Brandenburgs im Zuge eines gewaltigen Strukturwandels rasant änderte und weiter ändern wird. So sprechen vor und nach den Konzerten prominente Politiker, Autoren, Philosophen und Wissenschaftler über die großen Herausforderungen, die Struktur-, Klima- und Alltagswandel an uns stellen.

Wechselwirkung zwischen Konzertorten und Programmen

Ausgangspunkt der Programme sind dabei stets die Konzertorte selbst: eine Scheune, ein Schloss, eine Glasbläserstätte, eine Kirche und ein Konzertsaal. Jeder Ort steht dabei für eine Frage, für ein Themenfeld, für einen bestimmten Konflikt. In der Scheune der Drauschemühle, die mit hohen Wänden und viel Holz Wärme ausstrahlt, geht es zum Beispiel um die Natur, die uns umgibt, denn einige der „Fließe“ sind bereits ausgetrocknet. In Verbindung mit dem Biosphärenreservat Spreewald wird in Musik und Gespräch die Dramatik des Klimawandels in der Region Lausitz diskutiert. Um Ressourcen geht es in der Industrie: Die Glashütte Baruth zeigt den starken Kontrast zwischen der zarten, zerbrechlichen Schönheit und dem harten, fordernden Handwerk. Zusammen mit Handwerkerinnen und Glasbläsern geht es um die Zukunft der Arbeit. Brandenburg ist außerdem ein Land der Herrenhäuser und Schlösser. Doch wem gehört die vergangene Pracht, und wer erhält sie? Wer ist arm und wer ist reich – und warum? Das Konzert an diesem Ort lädt zur Suche nach Antworten ein. Musik in Verbindung mit Glauben: Welcher Ort wäre dafür geeigneter als eine Kirche? Hier soll es um die Frage gehen, welche Ausdrucksformen man heute für das Spirituelle, das Transzendente finden kann. Und schließlich der moderne Konzertsaal der Alten Weberei in Finsterwalde, ein Ort des Bürgertums, gemeinsam als Mehrzweckraum für die Stadt Finsterwalde erschaffen. Dort wird diskutiert, was Bürgertum heute eigentlich bedeutet.

Morgenstimmung in der Niederlausitz. Das Festival diskutiert auch den Klimawandel in der Region
Morgenstimmung in der Niederlausitz. Das Festival diskutiert auch den Klimawandel in der Region

Diese Themenvielfalt zeigt: Bei „Fliessen“ geht es um mehr als nur die Rezeption von Musik. Hier wird darüber gesprochen, diskutiert und darüber hinausgedacht. Sich einzubringen ist ganz klar erwünscht. Und am spannendsten ist dabei, welche Entdeckungen gegenseitig auf diesem Weg möglich werden. Denn auch hier gilt, was schon Theodor Fontane wusste: Das Beste, dem man begegnen wird, das werden die Menschen sein.

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