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Kunst als Überlebensstrategie

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  • Kunst als Überlebensstrategie

Kunstfest Weimar 2023

Das Kunstfest Weimar will mit Erinnern „Zukunft schaffen“ und bettet dafür spektakuläre Musik in interdisziplinäre Kontexte.



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Weimar – dieser Name einer an sich schlichten thüringischen Kleinstadt mit gerade einmal 65.000 Einwohnern klingt wie Musik in den Ohren von Freunden der schönen Künste. Denn nicht erst seit Goethe ist die einstige Residenz ein Hort der Literatur, der bildenden Kunst, der Architektur, nicht zuletzt auch der Musik dank des eifrigen Deutschen Nationaltheaters. Vor allem aber gründete Walter Gropius hier vor mehr als hundert Jahren das Staatliche Bauhaus als legendäre Kunstschule, die trotz schnellem Umzug und schließlich Verbot durch die Nazis den Namen ihrer Heimat bis heute in alle Welt trägt. Weimar vereint wie kaum eine andere Stadt Idylle mit Prosperität, Fachwerkgemütlichkeit mit weit vorausweisender Ästhetik, entzückende Natur mit Welterbe-Kultur.

Dass hier das größte ostdeutsche Festival der zeitgenössischen Künste seinen Sitz hat, kann kaum verwundern, verband sich doch die Gründung des Bauhauses 1919 mit der Utopie eines neuen Menschen und einer grundlegend veränderten Gesellschaft, die die tiefe Erschütterung vermeintlich zivilisatorischer Gewissheiten durch den Ersten Weltkrieg ernstnahm. Diese Hoffnung ist seitdem vielfach durch Krieg und Völkermord enttäuscht worden, so dass die diesjährige Losung des 1990 gegründeten Kunstfests Weimar „Erinnern schafft Zukunft“ gleichsam als Mahnung wie als Aufforderung verstanden werden kann. Erinnerung kann die Gegenwart erhellen, auch wenn sie damit die Zukunft vielleicht eher in Frage stellt. Doch dagegen setzt das vom Nationaltheater unterhaltene Weimarer Festival bewusst auf die Kraft der Kunst. Denn gerade ein Kunstwerk, nahezu gleich welcher Form, realisiert sich den Betrachtenden ja erst im Erlebnis seiner selbst, und das Moment der unmittelbaren und lebendigen Rezeption kann durch kein noch so raffiniertes, virtuelles Projekt ersetzt werden.

Musik als Form der Aufarbeitung von Traumata: Marc Sinans „Kriegsweihe“
Musik als Form der Aufarbeitung von Traumata: Marc Sinans „Kriegsweihe“

Seit jeher widmet sich das Kunstfest Weimar aktuellem Theater ebenso wie dem Film, bietet Tanz, Kunstperformances und Installationen gleichermaßen. Vor allem aber lässt es der Musik einen breiten Raum, mit Vorliebe interdisziplinär, und reißt damit auch die Grenzen zwischen den Genres ein. So begreift etwa der Komponist und Regisseur Marc Sinan in seinem mehrteiligen Stadtraum-Projekt „Kriegsweihe“ Musik als eine Form der Aufarbeitung von Traumata. Sein interdisziplinäres Projekt bespielt in Anlehnung an die einstige Bauhausausstellung die Stadt Weimar an verschiedenen Plätzen und Orten mit verschiedenen Künsten, um diese als friedensstiftende Kraft zu feiern.

Im Deutschen Nationaltheater sind seit jeher auch Uraufführungen zu Hause

Das traditionelle Schlüsselmoment der Erinnerung im Kontext des Kunstfests ist das Konzert zum Gedächtnis an das Konzentrationslager Buchenwald. Dabei präsentiert das MDR-Sinfonieorchester unter der Leitung von Martijn Dendievel in diesem Jahr zwei Werke von Alexander Weprik und Simon Laks, Komponisten also, die die Bedrohung durch den Tod in Vernichtungslagern erlebten. Nach der Pause folgt Arthur Honeggers aufwühlende Dritte, die „Symphonie liturgique“, die er 1945 als Reaktion auf die erlebten Schrecken des Zweiten Weltkriegs niederschrieb.

Dramatiker Thomas Köck und Komponist Johannes Maria Staud sind mit der Weltpremiere von „Missing in Cantu“ zu Gast
Dramatiker Thomas Köck und Komponist Johannes Maria Staud sind mit der Weltpremiere von „Missing in Cantu“ zu Gast

Im Deutschen Nationaltheater sind seit jeher auch Uraufführungen zu Hause, und hier ist bereits zum vierten Mal der österreichische Dramatiker Thomas Köck mit einer Weltpremiere zu Gast. Auf sein Endzeit-Libretto „Missing in Cantu“ komponierte Köcks Landsmann Johannes Maria Staud ein Stück Musiktheater über den Untergang der „Neuen Welt“, die sich auf fatale Weise jahrhundertelang systematisch selbst zerstört hat – die Apokalypse des Kapitalismus, wenn man so will. Klug wirft es die Frage auf, wie der westlichen Lebensweise und ihrem ungezügelten Konsum in jeder Hinsicht Einhalt geboten werden kann.

Erfrischende Kontrapunkte zur düsteren Gegenwart setzen nicht nur die katalanische Sopranistin Nuria Rial mit einem gemischten Programm aus Neuer und Alter Musik auf historischen Instrumenten und Silke Gonska mit frechen Liedern der frühen Bauhausjahre, sondern auch mehrere Jazzkonzerte einheimischer wie auswärtiger Bands, die zwischen Blues, Soul und echtem Groove all das bieten, dessen die Wippfüßer bedürfen. Den Abschluss bildet standesgemäß die Staatskapelle Weimar mit einem ekstatischen sinfonischen Jazzkonzert von Bernsteins Tänzen aus der „West Side Story“ über Dave Brubecks Jazz-Messe für Soli, Chor und Orchester bis hin zur Uraufführung einer Suite für Jazzquartett und Orchester des Weimarer Professors Manfred Bründl, der auch gleich am Pult steht. Mit seinem fetzigen Werk feiert er nach all der Düsternis das Leben und die Hoffnung – Kunst als Strategie des Überlebens. Und was könnte am Ende eines Festivals tröstlicher sein?

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