„Hot Town, Summer in the City”, beginnt ein weltberühmter Song der Popband The Lovin‘ Spoonful über die Hitze in der Großstadt. Anfang Juni ist in Baden-Württembergs Landeshauptstadt zwar noch nicht mit hochsommerlichen Temperaturen zu rechnen, dafür heizt das Musikfest Stuttgart seinem Publikum mit einem hochkarätigen Programm zehn Tage lang im besten Sinne ein. Vom 30. Mai bis 8. Juni bescheren unter der Ägide der Internationalen Bachakademie Stuttgart international arrivierte Künstlerinnen und Künstler in insgesamt achtzehn Konzerten intensive musikalische Glücksmomente.
Schillerndes Debüt und zauberhafte Preziosen
Am ersten Festivalwochenende wirft die auf der Karibikinsel Trinidad geborene Sopranistin Jeanine De Bique unter dem Titel „Mirrors“ einen schillernden Blick auf weibliche Figuren der Barockoper, darunter die mythologische Sirene Partenope, die römische Kaisergattin Agrippina und die ägyptische Königin Cleopatra. Bei ihrem Stuttgart-Debüt im Theaterhaus stehen ihr die Alte-Musik-Spezialisten des Concerto Köln zur Seite.
Das französische Originalklangensemble Le Cercle de l’Harmonie unter der Leitung von Jérémie Rhorer hebt indes zwei musikalische Schätze von Fanny Hensel, wenn es sich in die zauberhaften Welten der antiken Sage „Hero und Leander“ und von Goethes „Faust II“ begibt. Ebenso fantastisch geht es in Shakespeares „Sommernachtstraum“ zu, den Felix Mendelssohn in Töne gesetzt hat. Seine Musik erklingt im zweiten Teil des Abends, die Rolle des Erzählers übernimmt dabei der aus dem Frankfurter „Tatort“ bekannte Schauspieler Wolfram Koch.
Große Vokalwerke und intime Salonmusik
Zu den traditionellen Fixpunkten des Musikfests zählt die Konzertreihe „Sichten auf Bach“. Gleich zu Beginn vollenden die Gaechinger Cantorey und Hans-Christoph Rademann in der Liederhalle ihren meisterlichen Parforceritt „Vision.Bach“ durch den ersten Leipziger Kantatenjahrgang des Thomaskantors. In der Stiftskirche wiederum bringen das Collegium Vocale Gent und das aus Dorothee Mields, Hana Blažíková, Alex Potter, Guy Cutting und Johannes Kammler bestehende Solistenquintett die h-Moll-Messe zu Gehör. Die musikalische Leitung des Opus summum hat Alte-Musik-Koryphäe Philippe Herreweghe inne. Wie gut sich Bach-Motetten und Musik des zeitgenössischen schottischen Komponisten James MacMillan ergänzen, zeigt hingegen der Tenebrae Choir aus London. Für A-cappella-Gesang auf höchstem Niveau stehen auch ihre Landsleute von den King’s Singers, die ihr Publikum auf eine Reise durch Musik aus fünf Jahrhunderten mitnehmen.
Zum gemeinschaftlichen Nachdenken über die „Essenz des Musizierens“ lädt Cellist Pieter Wispelwey in die Hospitalkirche ein, wo er im Nachtkonzert bei Kerzenschein zwei Solosuiten von Bach interpretiert. Nicht minder stimmungsvoll kündigt sich die Mittagsmusik der beiden Stuttgarter Künstler Christine Busch und Jörg Halubek an. Im exklusiven Ambiente des Fruchtkastens präsentierten die Geigerin und der Cembalist Violinsonaten des Barockmeisters.
Klassische bis zeitgenössische Töne schlagen dort ferner die jungen Pianistinnen Charlotte Steppes und Flóra Fabri an, letztgenannte auf einem historischen Tangentenflügel aus der Sammlung des Landesmuseums Württemberg. Gemeinsam mit den Frauenstimmen des Dresdner Kammerchors macht sich Fabri auch auf in die Johanneskirche zum imaginären Frühlingssalon, den Preziosen von Schubert über Rheinberger bis Herzogenberg erfüllen.
„Ode an die Freude“ trifft „Paulus“
Das Gegenteil von intimer Salonmusik ist Beethovens neunte Sinfonie, die 1824 ihre Uraufführung erlebte. Das Musikfest greift den unverbrüchlichen Gemeinschaftsgedanken aus der „Ode an die Freude“ auf und lädt alle interessierten Sängerinnen und Sänger aus der Region Stuttgart zur Mitwirkung im 200-stimmigen Festivalchor ein. Gemeinsam mit führenden Stuttgarter Ensembles und unter der Leitung von Generalmusikdirektor Dan Ettinger heißt es dann am 1. Juni: „Alle Menschen werden Brüder!“
Dass wenige Jahre nach Beethovens letzter Sinfonie auch Johann Sebastian Bachs Schaffen aus seinem relativ kurzen Dornröschenschlaf geweckt wurde, ist ein Verdienst von Felix Mendelssohn und seiner prominenten Beschäftigung mit dessen Musik, insbesondere den Oratorien. Inspiriert vom großen barocken Vorbild komponierte er seinen „Paulus“. Die biblische Wandlungsgeschichte markiert den Schlusspunkt des Festivals, dargeboten von der Gaechinger Cantorey, der Deutschen Radio Philharmonie sowie den Solisten Christiane Karg, Lothar Odinius und Konstantin Krimmel.
Musikfest für alle
Darüber hinaus verlässt das Musikfest Stuttgart auch in diesem Jahr den Pfad gängiger Konzertformate. So sorgen beim kostenlosten Birkenkopf Open Air Studierende der Hochschule für Musik und Darstellende Künste für Unterhaltung auf dem höchsten Aussichtspunkt der Stadt. Das ganz junge Publikum kommt überdies beim Familienkonzert mit Quadro Nuevo im Mercedes-Benz-Museum auf seine Kosten. Und mit feinstem Jazz im Gepäck reist das Trio Dock in Absolute aus Luxemburg an.