Jedes Jahr, das auf die Zahl Vier endet, hat in Tschechien eine ganz besondere Bedeutung: Der Zufall will es nämlich, dass eben diese Jahre den Geburts-, Todes- oder Jahrestag der großen tschechischen Komponisten markieren: Antonín Dvořák (1841-1904), Leoš Janáček (1854–1928), Josef Suk (1874–1935), Bohuslav Martinů (1890-1959) – und Bedřich Smetana, der von 1824 bis 1884 gelebt hat und somit in diesen Jahren doppeltes Jubiläum hat. Sein hundertster Geburtstag 1924 war der Auslöser dafür, dass zum ersten Mal das Jahr der tschechischen Musik gefeiert wurde.
„Im Vergleich zu anderen großen Musiknationen sind wir als Land zwar recht klein, was die Größe betrifft. Nicht aber, was die Dichte an großen Komponisten und großartiger Musik angeht. Und darauf sind wir sehr stolz“, sagt Pavel Trojan, Festivalleiter des Prague Spring Festivals. „Es ist, als würde sich unsere Nation mit dieser Musik identifizieren.“ Da ist es nur selbstverständlich, dass auch der Prager Frühling seinen großen Komponisten in diesem Jahr der tschechischen Musik Tribut zollt. Eröffnet wird das Festival mit zwei Konzerten der Berliner Philharmoniker am 12. und 13. Mai, die unter ihrem Chefdirigenten Kirill Petrenko Smetanas „Ma Vlast“ (Mein Vaterland) spielen. Daneben bringt Jakub Hrůša, der dieses Jahr einer der Botschafter der tschechischen Musik ist, mit der Tschechischen Philharmonie Smetanas selten aufgeführte Oper „Libuše“ auf die Bühne und ist mit dem Orchestra dell’Accademia Nazionale di Santa Cecilia aus Rom in Martinůs „The Frescoes of Piero della Francesca“ zu erleben. „Jakub Hrůša hat in den letzten fünfzehn Jahren eine enorme Karriere hingelegt“, weiß Trojan. „2010 hat der Prager Frühling ihm als damals jüngstem Dirigenten in der Geschichte des Festivals die Möglichkeit gegeben, das Eröffnungskonzert zu leiten. Heute gehört er ohne Zweifel zu den größten Namen zeitgenössischer tschechischer Künstler und ist ein wichtiger Vertreter unserer Musik.“
Der Prager Frühling sei aber nicht nur dazu da, vergangene Komponisten zu feiern, sondern auch die zeitgenössischen, erklärt der Festivalleiter und stellt mit Kryštof Mařatka und Miroslav Srnka gleich zwei Vertreter in den Fokus. Mařatka ist mit der Weltpremiere von „SANCTUARIES“ vertreten. Bei der Komposition für das Werk ließ sich der in Paris und Prag lebende Komponist von Bildern prähistorischer Höhlenmalereien inspirieren. Geiger Amaury Coeytaux, für den „SANCTUARIES“ geschrieben wurde, interpretiert das Stück am 27. Mai gemeinsam mit dem Orchestre de Radio France und Mikko Franck. Mit der Europapremiere von Miroslav Srnkas „Superorganisms“ schließt der Prager Frühling am 3. Juni seine 79. Ausgabe.
Altes und Neues kommen beim Prager Frühlingsfestival auch im Barockschwerpunkt mit dem Collegium Vocale Gent und dessen Leiter Philippe Herreweghe sowie Amsterdam Baroque Orchestra & Choir mit Ton Koopman und dem „Prague Offspring“ zusammen, in dessen Rahmen sich das Klangforum Wien als Residenzorchester mit Enno Poppe und Rebecca Saunders als Composer in Residence präsentieren. Dazwischen schlagen Künstler wie Riccardo Chailly, Seong-Jin Cho, Iveta Apkalna und Caroline Widmann eine Brücke zwischen den Epochen.
Der Nachwuchs darf nicht vernachlässigt werden
Eine weitere wichtige Säule des Prager Frühlings bildet die Nachwuchsförderung, denn „ich glaube nicht daran, dass sich junge Menschen plötzlich für klassische Musik interessieren“, sagt Pavel Trojan und erklärt: „Man muss sie schon in frühen Jahren damit in Berührung bringen.“ Mit SpringTEEN widmet das Prager Frühlingsfestival daher zum ersten Mal einen ganzen Tag einem jungen Publikum und Familien. Auf dem Programm stehen Klassik-, Jazz-, Pop- und Elektrokonzerte sowie Workshops, in denen die jungen Besucher Musikinstrumente aus Gemüse oder Pizzakartons basteln können. Apps, QR-Codes und Tablets machen den Tag interaktiv und füttern das junge Publikum spielerisch mit Begleitinformationen. Den finalen Höhepunkt bildet das Open Air-Konzert mit Apollo 5 und Moravia Brass Band.
Zu guter Letzt stellen Nachwuchsmusiker ihr Können bei der traditionellen „Prague Spring International Music Competition“ unter Beweis – dieses Jahr in den Fächern Horn und Violine. Der Wettbewerb wird seit nunmehr 75 Jahren ausgetragen und feiert sein Jubiläum mit einem Festkonzert, bei dem ehemalige Preisträger wie Gábor Boldoczki, Kateřina Javůrková, Victor Julien-Laferrière und das Pavel-Haas-Quartett in Begleitung des Rundfunk-Sinfonieorchesters Prag auftreten.
Im nächsten Jahr feiert auch der Prager Frühling sein achtzigjähriges Jubiläum. Wie blickt ein so etabliertes Festival in die Zukunft? „Wir sind das größte Event für klassische Musik in Tschechien und schaffen es jedes Jahr, in drei Wochen hoch qualifizierte nationale und internationale Künstler zu präsentieren“, resümiert Pavel Trojan. „Zukünftig möchten wir mehr eigens für das Festival entworfene Projekte entwickeln und nicht nur eine Station auf der Tour eines Künstlers oder Orchesters sein.“ Um das möglich zu machen, versucht der Festivalleiter derzeit, Verbindungen zu Festivals in den umliegenden Ländern aufzubauen. „Ich habe mich beispielsweise schon mit Jan Vogler von den Dresdner Musikfestspielen getroffen. Denn nur, wenn wir unsere Kräfte vereinen, können wir Großes erreichen, und das ist meine Mission.“
Das Festivalprogramm für die Jubiläumsausgabe sei zwar noch streng geheim, Pavel Trojan verrät trotzdem, dass Leonard Bernstein und renommierte US-amerikanische Orcheste im Fokus stehen werden. „Das Prague Spring Festival wurde direkt nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet und hatte Künstler der Gewinnermächte zu Gast. In diesem Rahmen gab Leonard Bernstein 1946 sein Europadebüt in Prag“, erzählt Trojan. 1990 war Bernstein erneut zu Gast – es sollte sein letzter Auftritt in Europa werden. „Diese Geschichte, die doch sehr symbolisch ist, möchten wir im nächsten Jahr erzählen und anhand ihrer zeigen, wie sehr das Festival in den letzten achtzig Jahren gewachsen ist.“