Die „Farbenfabriken vorm. Friedr. Bayer & Co.“ blickten auf eine noch nicht mal fünfzigjährige Firmengeschichte zurück, als das Unternehmen zur Jahrhundertwende seinen Sitz nach Leverkusen verlegte. Der damalige Prokurist und spätere Direktor Carl Duisberg war mit der Planung des neuen Standorts betraut und erwies sich darin als äußerst weitsichtig: Häuser und Straßen wurden so konzipiert, dass sie zu einem späteren Zeitpunkt problemlos vergrößert respektive erweitert werden konnten, außerdem wurden für die Arbeiter eine „Bayer-Kolonie“ sowie das „Bayer-Kaufhaus“ errichtet – und ein Erholungshaus mit Billardsaal, Lesezimmer, Kegelbahnen sowie einer Saalanlage für diverse Veranstaltungen. 1908 wurde das Erholungshaus eingeweiht. So weit reicht auch das kulturelle Engagement der Bayer AG zurück, für das die Firma eine eigene Abteilung schuf, die heute „Bayer Kultur“ heißt und im Frühjahr das stARTfestival aus der Taufe hebt. Ein ermutigendes Unterfangen in einer Zeit des kulturellen Stillstands, treffend zusammengefasst im Motto des Festivals, das jährlich stattfinden soll: „Alles kann und muss!“
Mehr Vielfalt, mehr Bewegung, mehr Experiment verspricht Bayer Kultur mit Blick auf das Festivalprogramm und löst dieses gleich am ersten Konzertabend in Leverkusen ein: Am 26. April spielt das delian:quartett beim stARTfestival Bachs „Kunst der Fuge“ und arbeitet hierfür mit dem Video-Künstler Marc Molinos zusammen, um Bachs in so vielerlei Hinsicht bahnbrechenden und komplexen Zyklus auf eine neue und einzigartige Weise erlebbar zu machen. In „Battle of Styles“ steht dann die Improvisation im Mittelpunkt, wenn Tänzer unterschiedlicher Stile und Generationen gegeneinander antreten – wobei vor allem die schillernde Vielfalt der Tanzkultur im Mittelpunkt stehen soll und nicht der Konkurrenzkampf.
Auf musikalischer Spurensuche
Sehr wohl um Sieg und Niederlage geht es jedoch beim Dirigentenduell mit Werner Ehrhardt und Thomas Helfrich, der an diesem Abend nicht nur als Leiter von Bayer Kultur in Erscheinung tritt, sondern auch als Dirigent. Gemeinsam mit l’arte del mondo gehen Ehrhardt und Helfrich im vorwiegend an Kinder gerichteten Konzert der naheliegenden, aber nur schwer zu beantwortenden Frage nach, warum Joseph Haydn auch über zweihundert Jahre nach seinem Tod noch weltbekannt ist, während sein komponierender Zeitgenosse Anton Zimmermann heutzutage selbst Fachleute dazu veranlasst, diesen Namen erst einmal zu googeln. Gewinner und Verlierer stehen also schon vorher fest – oder etwa doch nicht?
Im Mittelpunkt des stARTfestivals steht jedoch eine andere Dirigentin: Nach ihrem Einstand am 16. April in Wuppertal gibt Bar Avni am 23. Mai auch in Leverkusen ihr Antrittskonzert als neue Chefdirigentin der Bayer Philharmoniker. Auf dem Programm sind ebenfalls zwei Komponisten vertreten, die zur selben Zeit gelebt haben: Mieczyslaw Weinberg und Dmitri Schostakowitsch. Neben der Dirigentin sind bzw. waren auch die Solisten des Abends Teil der stARTacademy, dem Förderprogramm von Bayer Kultur: Sandro Roy, der Weinbergs Violinkonzert interpretiert, wurde von 2018 bis 2020, die georgische Pianistin Tamar Beraia, die Schostakowitschs 1. Klavierkonzert spielt, von 2015 bis 2018 gefördert. Rike Huy, die im Klavierkonzert die Solotrompete spielt, ist seit 2020 Mitglied der stARTacademy.
Überhaupt ist das stARTfestival vor allen Dingen ein Forum für die aktuellen und ehemaligen Künstler der Academy. Ihr gehörte unter anderem auch Alexej Gerassimez an. Am 16. Mai stellt der Perkussionist gemeinsam mit Jazzpianist Omer Klein mit der Bearbeitung von Igor Strawinskys „Feuervogel“ sein Projekt vor, das er im Rahmen der stARTacademy erarbeitet hat. Eine Auflistung des vollständigen Programms des stARTfestivals finden Sie hier (Link). Die Leverkusener Veranstaltungen finden übrigens nicht im Erholungshaus der Bayer AG statt, sondern an verschiedenen Spielstätten in der Stadt. Warum? Das erfahren Sie weiter unten.