Herr Hübner, Sie gelten als Mahler-Experte. Wie kommt das?
Chary Hübner: Ich bin kein Experte. Ich bin nur Fan, höre Mahlers Sinfonien und versuche zu verstehen, was ihn in seiner Zeit dahin trieb, Musik so zu setzen und nicht anders. Da erreicht mich etwas, das stören, schreien, erzählen will, das höhnisch ist, liebend und suchend, nihilistisch, verbittert und erbauend. Wie eine Membran zwischen Innen- und Außenwelt.
Welche Rolle spielt Musik und klassische Musik heute in Ihrem Leben?
Hübner: Jazz, Metal, Chanson, Klassik – alles sucht sich meine Ohren, und wenn es klingelt im Kopf, dann wird weitergehört. Wenn nicht, dann nicht. Klassik kann furchtbar langweilen, Jazz auch – beides kann aber auch extrem pushen und das Hier und Jetzt winzig klein werden lassen. Musik kann jedoch zudem mit ihrer verbindenden, erhebenden, aber auch regulierenden Kraft in die Gesellschaft hineinwirken.
Mit dem Ensemble Resonanz haben Sie das Projekt „Mercy Seat“ rund um Schuberts „Winterreise“ und Songs von Nick Cave erarbeitet. Was fasziniert Sie an Schuberts Werk?
Hübner: Da ist ein junger Mann, der nach seiner antinapoleonischen Kriegerei im Winter von Brüssel nach Dessau reist und diese Verse schreibt, die einige Jahre später von einem unheilbar erkrankten, ebenso jungen Schubert gefunden werden. Dieser fühlt sich in den Gedichten so tief erkannt, dass er sie vertont, woraus eine existenzielle Reise zu einem Ende entsteht, in der ich immer über das Leiden, Kämpfen, Schimpfen und den Angriff stolpere. In diesem Moment werden die Lieder zu Diamanten, in denen sich das Licht ständig bricht und verändert, wenn man sie ins Licht hält.