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Interview Gábor Boldoczki

„Aber verheiratet sind wir nicht”

Der Trompeter Gábor Boldoczki über die politische Botschafterrolle der Musik und die Möglichkeiten eines Instruments

vonChristian Schmidt,

Zwischen zwei Unterrichtsstunden an der Budapester Musikakademie findet Gábor Boldoczki Zeit für ein Interview. Gebürtig im ungarischen Szeged, machte sich der Trompetenvirtuose bald einen Namen und wurde mit 34 Jahren, nur wenige Jahre nach seinem Studium, selbst Professor an der altehrwürdigen Musikakademie von Budapest. Mit 40 Jahren hat er nahezu alle Preise gewonnen, die man finden konnte auf der weiten Flur zwischen ARD-Wettbewerb und Echo-Klassikpreis. Neben dem üblichen Barockrepertoire macht sich Boldoczki besonders für die Komposition und Uraufführung zeitgenössischer Werke stark, spielt sie regelmäßig auf CD ein und übernimmt sie mit großem Erfolg in sein Repertoire. Sieben Platten umfasst seine Diskografie inzwischen. Trotz seines raschen Erfolges ist der Ungar ein freundlicher, entspannter Mensch geblieben.

Sicher haben Sie mehrere Instrumente. Welches mögen Sie am meisten?

Ich möchte so flexibel wie möglich bleiben, daher benutze ich für unterschiedliche Repertoires auch verschiedene Instrumente. Bei mir zu Hause finden sich etwa zehn bis zwölf Instrumente. Aber welches mir das Liebste ist, kann ich nicht sagen. Eigentlich immer das Instrument, welches ich gerade benutze.

Sie beschränken sich ja nicht nur auf die herkömmliche Trompete.

Gábor Boldoczki
Gábor Boldoczki © Marco Borggreve

Manchmal ist es sogar erforderlich, innerhalb eines Stückes zu wechseln, wenn sich der Klangcharakter ändern soll. Ich spiele auch viele Werke, die eigentlich für andere Soloinstrumente geschrieben sind, etwa für Oboe oder Violine; deren Timbre versuche ich mich dann anzunähern. Ganz besonders spannend ist für mich beispielsweise das Flügelhorn wegen seines dunklen, innigen und sehr weichen Klangs. In der Barockzeit hatte die Trompete ja vornehmlich festliche Aufgaben einer Fanfare, das Flügelhorn klingt dagegen eher wie ein Holzblasinstrument und kommt dem Gesang sehr nahe.

Was für eine Funktion hat die Trompete in Ihrem Leben?

Sie ist mein Leben. Aber verheiratet sind wir nicht. Natürlich bedeutet im Prinzip jedes Instrument eine Herausforderung, aber die Trompete hat auch eine physikalische Seite, die man nicht unterschätzen darf. Man muss für sie wie ein Athlet die Muskulatur trainieren, man muss sie also auch in den Urlaub mitnehmen, um dort üben zu können. Ich bin sehr glücklich, dass ich mich mit ihr beschäftigen darf und über das Trompetenspiel meine Gefühle ausdrücken kann. Eigentlich habe ich den ganzen Tag Musik im Kopf.

Wie stark verwächst man mit seinem Instrument?

Es ist ein Werkzeug, um mit Tönen zu sprechen. Als Zuhörer finde ich es einerseits am schönsten, wenn ich gar kein Soloinstrument höre, sondern nur das Werk. Idealerweise gibt es gar keinen spezifischen Klang, alles ist dem Ausdruck untergeordnet. Andererseits hat natürlich jedes Instrument zwar keine menschlichen Eigenschaften, aber doch eine Seele. Die Trompete reagiert zum Beispiel auf äußere Wettereinflüsse, daher gehe ich vor jedem wichtigen Auftritt und vor jeder Aufnahme zu meinem Instrumentenbauer und lasse sie verwöhnen.

Was heißt das genau?

Er putzt die Trompete und prüft die Ventile, denn das sind sehr sensible Teile. Dafür ist sie sehr dankbar.

Trompete spielen ist sehr anstrengend. Wie schafft man es durchzuhalten?

Bei hohen Tönen haben Sie bis zu 1,6 Bar im Kopf, der Druck ist fast so groß wie in einem Autoreifen. Diese Kraft muss man trainieren. Kann ich mich auf die Technik verlassen, konzentriere ich mich auf die Kunst, an der es immer zu arbeiten gilt.

Manche Bläser haben so genannte Berufskrankheiten. Wie sorgen Sie vor?

Trompete zu spielen ist nicht gefährlich. Lunge und Lippen wachsen mit, wenn man übt. Eine Berufskrankheit ist eher das viele Reisen, was zu wenig Bewegung zur Folge hat. Zum Ausgleich habe ich lange Yoga gemacht. Mein derzeitiges Hobby ist moderner Tanz. Choreografie als Kunst nach Ansage macht mir sehr viel Spaß. Außerdem gehe ich gerne schwimmen.

Ihr Repertoire ist ungewöhnlich groß. Welche Musik liegt Ihnen besonders am Herzen?

Meine Vorliebe ist die Vielfalt. Und ich empfinde auch eine große Verantwortung, heutige Komponisten für neue Werke zu motivieren, das ist mir sehr wichtig. Daher habe ich mich besonders gefreut, dass Krzysztof Penderecki 2015 für mich das „Concertino” für Trompete geschrieben hat. Er hat es mir gewidmet, ich durfte es zur Uraufführung bringen und einspielen, dann hat auch noch die Aufnahme einen Preis gewonnen – konsequenter kann es kaum sein.

Einige Berühmtheiten auf Ihrem Instrument waren Jazzer. Ist das was für Sie?

Ich höre gerne Jazz, aber ich spiele keinen Jazz, das ist wie ein anderer Beruf, man muss ihn gut erlernen. Da sind mir zeitgenössische Werke doch wichtiger.

Gábor Boldoczki
Gábor Boldoczki © Marco Borggreve

Sie haben es sehr schnell in die Klasse international renommierter klassischer Trompeter geschafft. Ist die Luft dort sehr dünn?

Natürlich ist das Repertoire sehr viel kleiner als im Vergleich zum Klavier, zur Violine oder zum Cello. Aber es ist auch groß genug für eine Solokarriere, immerhin ist die Barockzeit sehr reich bestückt mit guten Werken. Leider fehlt die romantische Literatur, das ist schade, weil sich die chromatische Trompete erst recht spät entwickelt hat. Zur Barockzeit war das Naturtoninstrument sehr wichtig, es hatte immer mit Herrschern zu tun, geistlich oder weltlich, bei Bach war es die oberste Stimme. Erst 1840 wurden die Ventile erfunden, so dass Schubert oder Brahms die Trompete weiter nur als Verstärkung gebraucht haben. Erst Berlioz, Mahler oder Strauss haben ihren Wert erkannt. Man braucht natür­lich verschiedene Programme und kann nicht nur Barockmu­sik spielen. Daher kümmere ich mich auch um neue Stücke, um die Dramaturgie vielfältiger zu machen. Ich denke, das Publi­kum liebt den Klang der Trom­pete.

Sie führen öfter Werke von Fazıl Say auf, einem in seiner türkischen Heimat nicht gern gesehenen Künstler. Inwieweit kann ein Musiker politischer Botschafter sein?

Da gibt es sehr viele schöne Beispiele. Daniel Barenboim macht es vor, wie man unter­schiedliche Musiker aus ver­schiedenen Nationen zusammenbringt und beweist, dass sie eigentlich eine Sprache sprechen: die der Musik. Mit Fazıl Say bin ich gut befreundet und sehr glücklich, dass er ein Trompetenkonzert für mich geschrieben hat. Ich bin sicher, dass wir auch mit dieser Musik Grenzen überwinden können.

Sie sind in Budapest Professor. Wie schätzen Sie den Stellenwert der Kultur in der ungarischen Politik ein?

Keine Frage, es gibt sehr viele Probleme. Aber vor einigen Jahren wurde hier ein neues Konzerthaus aufgebaut, die Akademie. Zuhörer und Künst­ler sind viel internationaler als früher. In Budapest gibt es noch immer acht Sinfonie­orchester, und das Publikum bleibt ihnen treu. Kultur war bisher noch jeder Regierung wichtig. Ich bleibe optimis­tisch.

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