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Interview Aile Asszonyi

„Ich bin keine große Draufgängerin“

Als Kind sang Aile Asszonyi morgens Sopran und abends Mezzo. Inzwischen hat der dramatische Sopran sein stimmliches Doppelleben abgelegt – zum Glück.

vonAndré Sperber,

So eine Elektra ist nichts für schwache Nerven: Wer sich die Titelrolle aus Richard Strauss’ erschütterndem Einakter zu eigen machen will, braucht nicht nur hochdramatische Stimmgewalt, sondern auch energetisches Temperament. Aile Asszonyi hat beides zur Genüge. Kein Wunder, dass die anspruchsvolle Partie sich immer mehr zur Paraderolle der Estin entwickelt. Beim Interview treffen wir sie zu Hause in Amsterdam, wo sie gerade freudig ihrem Hausdebüt an der Frankfurter Oper entgegenblickt.

Woher stammt Ihr Familienname, Frau Asszonyi?

Aile Asszonyi: Mein Vater kommt ursprünglich aus Ungarn, und zwar aus jenem Teil, der nach dem Zweiten Weltkrieg an die Ukraine abgetreten wurde. Mein Großvater wiederum war Priester, deshalb durften seine Kinder zu Sowjetzeiten nicht an der Universität in der Ukraine studieren. Obwohl die Länder weit auseinanderliegen, sind Estnisch und Ungarisch verwandte Sprachen. Mein Vater und seine Geschwister, wie auch viele andere Ungarn aus dieser Gegend, haben in Estland studiert und sind dortgeblieben.

Estland, Ungarn, Sie wiederum leben heute in Amsterdam – wo sind Sie wirklich zu Hause?

Asszonyi: Vor zwanzig Jahren bin ich aus Estland weggezogen, obwohl ich das eigentlich nie geplant hatte, es hat sich so ergeben. Grundsätzlich haben die Esten eine sehr starke Verbindung zu ihrer Heimat und zu ihren Vorfahren, und eigentlich möchte jeder Este auch in estnischer Erde begraben werden. Aber dann habe ich meinen holländischen Mann kennengelernt. Von der Mentalität her ist es in den Niederlanden nicht so viel anders. Draußen ist es lediglich ein bisschen wärmer und die Grautöne am Himmel sind ein bisschen heller als in Estland.

Wie vereinen Sie nordische Gelassenheit mit ungarischer Schärfe?

Asszonyi: Ich habe oft das Gefühl, dass doch noch sehr viel ungarisches Temperament in mir steckt. Ich benutze beim Sprechen deutlich mehr Wörter als der durchschnittliche Este.

Sprechen Sie auch Ungarisch?

Asszonyi: Nein, mein Vater hat sich nicht die Mühe gemacht, es uns beizubringen. Klar, es ist auch nicht gerade die relevanteste Sprache, aber ein bisschen bereue ich es manchmal schon, dass ich es nicht gelernt habe. Leider führe ich die traurige Tradition weiter: Mein Sohn spricht kein Estnisch. Aber vielleicht will er es ja noch ­lernen.

Wann haben Sie Ihr Gesangstalent entdeckt?

Asszonyi: Mit sechs Jahren habe ich beschlossen, Sängerin zu werden. Das war, bevor ich überhaupt wusste, ob ich Talent habe oder nicht. Ich hatte Opernmusik im Radio gehört und war fasziniert. Daraufhin nahm mich meine Mutter mit in „La traviata“. Es war immer die Philosophie meiner Eltern, dass man alles einmal ausprobiert haben sollte. Ich saß ganz vorne direkt hinter dem Dirigenten und wartete, bis es losging. Dann hob der Dirigent die Arme und es kam dieser erste Akkord der Ouvertüre aus dem Orchestergraben. Da war es um mich geschehen! Diese Faszination für den Orchesterklang, der einen beim Singen umgibt und bestärkt, ist damals entstanden und hält sich bis heute. Es ist, als ob man Wasser in einen Pool füllen würde; sobald das Orchester spielt, bekomme ich Flügel.

Also war der Musikerberuf die einzige Wahl für Sie?

Asszonyi: Nun, bis ich sechs war, wollte ich Ärztin werden (lacht). Aber ja, von da an war es das Einzige für mich. Ich kam auf eine spezielle Schule für musikalisch begabte Kinder, lernte Klavier und Geige nebenher, und begann auch mit Chordirigieren. Das verschaffte mir später sehr große Vorteile bei der Auseinandersetzung mit Opernpartituren.

Aile Asszonyi in „Tristan und Isolde“ am Saarländischen Staatstheater
Aile Asszonyi in „Tristan und Isolde“ am Saarländischen Staatstheater

Stimmt es, dass Ihre Eltern ihr Sommerhaus verkauft haben, um Ihnen die Gesangsausbildung zu ermöglichen?

Asszonyi: Ja, das stimmt. Es waren natürlich andere Zeiten. Das System war ein anderes. Ich glaube, die westliche Gesellschaft hat vor zwei Jahren, als es wegen der Pandemie plötzlich kein Toilettenpapier mehr gab, einen kleinen Eindruck davon bekommen, wie es in der Sowjetunion lange Zeit aussah. Du gehst in den Laden und es gibt: nichts. Trotzdem habe ich nichts vermisst in meiner Kindheit, meine Eltern haben gut gewirtschaftet. Es war immer hart, aber die Menschen wussten irgendwie, damit fertig zu werden. Doch dann ist plötzlich das System zusammengebrochen und alles verlor seinen Wert von einem auf den anderen Tag. Durch den Verkauf des Hauses konnte ich nach Italien gehen und Unterricht bei Carlo Bergonzi nehmen. Eine ­Erfahrung, die mich sehr ­geprägt hat.

Es war zunächst unklar, ob Sie Sopran oder Mezzo singen.

Asszonyi: Nur ganz am Anfang und nicht für mich. Ich war ein extrem tiefstimmiges Kind und auch meine Lehrerin an der Musikhochschule sah in mir diese große, dramatische Mezzo-Stimme. Im Chor sang ich aber in den hohen Registern, und so führte ich in den ersten Jahren dort ein Doppelleben: Morgens sang ich bei den Chorproben Sopran, und nachmittags ging ich zum Gesangsunterricht und sang Mezzo. Quasi eine multiple musikalische Persönlichkeit.

Apropos multiple Persönlichkeit: Sie werden zurzeit vielerorts als Elektra gefeiert. Wie sind Sie dieser Rolle erstmals begegnet?

Asszonyi: Ich bin keine große Draufgängerin, habe nie gesagt: „Oh, ich will unbedingt mal diese und jene Rolle singen“ – höchstens die Violetta aus „La traviata“ wegen dieser erwähnten Kindheitserinnerung. In die Elektra wurde ich zunächst geradezu hineingedrängt. Ich sang damals in Bonn nur eine kleinere Partie in „Penthesilea“ von Othmar Schoeck. Aber Dirk Kaftan, der damals die Leitung hatte, hat sehr viel aus dieser Rolle herausgeholt, so dass alle begeistert waren. Daraufhin fragte man mich, ob ich die Elektra machen möchte, und ich dachte: Oh Gott, nein, ich bin noch nicht bereit dazu! Meine Gesangskarriere war alles andere als lehrbuchhaft verlaufen und ich traute es mir nicht zu. Letztendlich war es mein Mann, der mich schließlich überredete, es zu versuchen und die Chance zu nutzen.

Wer ist Elektra für Sie: rachsüchtige Verrückte oder Opfer ihres Umfelds?

Asszonyi: Das ist immer die große Frage. Die Oper zeigt ja eigentlich nur einen kleinen Teilausschnitt aus Elektras Geschichte. Früher war der mythologische Hintergrund dem Opernpublikum vielleicht bewusster, während man die Werke heute eher wie einen Kinofilm, ohne geschichtliches Drumherum betrachtet. So wirkt Elektra natürlich mehr wie ein geschädigtes Kind, das mit ansehen musste, wie sein Vater getötet wurde. Ich selbst versuche immer, die Gegensätze und das nicht ­Offensichtliche in einer Rolle hervorzubringen. Bei Sterbenden suche ich nach den glücklichen, strahlenden Momenten, bei den Bösewichten suche ich die Verletzlichkeit. Elektra kann sehr laut, grob und boshaft sein, aber es gibt auch sehr viele Momente von extremer Süße. Elektra enthält einfach alle Farben der Palette, deshalb ist sie auch eine meiner Lieblingsfiguren.

Ihr Mann ist Regisseur und Bühnenbildner. Haben Sie außer Ihrem Sohn auch andere gemeinsame Projekte?

Asszonyi: Wir haben zweimal zusammengearbeitet und es hat sehr gut funktioniert. Aber seit wir ein Kind haben, versuchen wir es schon aus rein logistischen Gründen zu vermeiden, dass sich unsere Projekte und ­Arbeitszeiten zu sehr überschneiden.

Was begeistert Sie, abgesehen von der Musik?

Asszonyi: Kochen!

Estnisch oder ungarisch?

Asszonyi: Die estnische Küche ist quasi eine arme Version der deutschen Küche. Das ist also kaum erwähnenswert. Die Ungarn sind da deutlich passionierter, was die Esskultur angeht. Meine Leidenschaft kommt da wohl auch mehr von jener Seite der Familie.

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