Sie wurde in den Order of the British Empire aufgenommen, war 2009 Solistin bei der „Last Night of the Proms“ und wurde 2013 zum Gramophone Artist of the Year gekürt. Für eine englische Musikerin hat Alison Balsom damit praktisch alle Lorbeeren eingeheimst, die man als klassische Musikerin in Großbritannien erlangen kann. Kein Wunder, beweist Balsom doch seit fast zwanzig Jahren immer wieder aufs Neue, wie vielseitig die Trompete sein kann, obwohl die Komponisten im Laufe der Musikgeschichte verhältnismäßig wenig für das Instrument geschrieben haben.
Frau Balsom, wie gehen Sie damit um, dass das Repertoire für Trompete im Vergleich zu anderen Instrumenten verhältnismäßig klein ist?
Alison Balsom: Es ist auf jeden Fall eine meiner größten Herausforderungen als Trompeterin, dass ich nicht so ein großes Repertoire habe wie etwa eine Pianistin oder eine Violinistin. Dennoch wurde mir mit der Zeit klar, dass darin auch eine große Chance für mich besteht, denn dadurch kann ich – und muss ich gewissermaßen auch – ganz neue Pfade beschreiten.
So wie auf dem aktuellen Album, für das Sie mit Ihrem eigenen, handverlesenen Ensemble nicht nur genuines Trompetenrepertoire eingespielt haben?
Balsom: Genau. Wir interpretieren Werke des Barock so, wie es sie in dieser Form und in diesem Klang noch nie gab, etwa die Auszüge aus Bachs „Weihnachtsoratorium“ mit sechs Trompeten und kleinem Streicherensemble. Wir machen aber keine Grenzüberschreitungen etwa zum Jazz hin, sondern belassen den barocken Charakter der Werke. Der ursprüngliche Kerngehalt dieser Musik bleibt also unberührt.
Begleitet werden Sie dabei vom „Balsom Ensemble“. Wie darf man sich die Zusammenarbeit mit „Ihrem“ Ensemble vorstellen?
Balsom: Das Balsom Ensemble besteht aus Freunden und Kollegen, die ich sehr schätze und vor deren Musikalität ich großen Respekt habe. Ich war überrascht, wie bereichernd es ist, mit Musikern, zu denen man eine langjährige musikalische und menschliche Beziehung pflegt, gemeinsam etwas zu erschaffen. Ich hoffe, dass die Aufnahme dieses Gemeinschaftsgefühl und die pure Spielfreude auch transportiert.
Betitelt ist das Album mit „Royal Fireworks“ …
Balsom: … weil ich auf diesem Album vor allem zeigen will, welche Gefühle der Freude die Trompete hervorrufen kann – oder präziser gesagt: der gemeinsamen Freude.
Man assoziiert deshalb Trompetenmusik auch gerne mit Weihnachten.
Balsom: Sie gibt den feierlichen Charakter des Fests wunderbar wieder, ja. Wobei auf diesem Album nicht nur weihnachtliche Musik vertreten ist. Die Trompete kann so viele verschiedene Charaktere haben, auch außerhalb der Weihnachtszeit (lacht). Auf dem Album geht es mir um die Barockmusik als goldenes Zeitalter der Trompete.
Auf dem Album spielen Sie die Natur- bzw. die Barocktrompete. Wie lange braucht man, um sie zu lernen?
Balsom: Spielen konnte ich sie bereits nach ein paar Wochen. Trotzdem würde ich sagen: Ich lerne immer noch! Mir kommt es so vor, als hätte ich noch lange nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft, die das Instrument bereithält. Aber es hat sich sofort gut angefühlt, als ich zum ersten Mal die Naturtrompete in den Händen hielt. Es ist auch kein komplett anderes Instrument als die „herkömmliche“ Trompete, obwohl sie keine Ventile hat und daher im Tonumfang limitiert ist. Aber genau deshalb macht man auf ihr ganz anders Musik. Die moderne Piccolotrompete ist eine großartige Erfindung des 20. Jahrhunderts. Die Aufnahmen von Maurice André auf diesem Instrument haben eine ganz besondere Schönheit, aber sie klingen eben nicht authentisch.
Mit welcher Trompete haben Sie angefangen?
Balsom: Mit einer B-Trompete, da war ich sieben oder acht Jahre alt. Im Laufe der Jahre kamen dann weitere Instrumente hinzu. Wobei es da zwei einschneidende Erlebnisse für mich gab: Als ich mit zwanzig Jahren am Pariser Konservatorium studierte, habe ich dort sehr viel auf einer C-Trompete gespielt. Deren Klang liegt sehr nah an demjenigen von Holzblasinstrumenten. Als ich auf ihr spielte, hatte ich zum ersten Mal das Gefühl, „richtig“ zu spielen, obwohl ich damals schon auf eine langjährige Erfahrung an diesem Instrument zurückblicken konnte. Die zweite große Veränderung war, als ich wieder zurück in London war und auf einer Naturtrompete spielte. Mit einem Schlag hatte ich plötzlich einen ganz anderen Zugang zur Barockmusik. Ich hatte zwar schon immer ein Faible für diese Epoche, aber dank der Naturtrompete bekam ich ein ganz neues, tieferes Verständnis davon, wie und warum Bach, Purcell oder Händel ihre Phrasierungen so und nicht anders gesetzt haben.
Muss man jede Trompete neu lernen?
Balsom: Ja und nein. Das Prinzip der Tonerzeugung ist stets dasselbe: Durch Vibration der Lippen werden Schallwellen erzeugt, die durch ein Rohr geleitet werden. Das ist bei einem Gartenschlauch mit Trichter nicht anders als bei jeder Trompete. Die Feinarbeit an den einzelnen Instrumenten beschäftigt dich allerdings ein ganzes Leben lang.
Wie war Ihr Zugang zur Barockmusik, bevor Sie die Naturtrompete erlernten?
Balsom: Ich habe diese Musik geliebt und ständig gehört. Eines meiner Lieblingsalben war von Trevor Pinnock und dem English Concert mit Bachs letzten drei „Brandenburgischen Konzerten“ – die witzigerweise ohne Trompete besetzt sind. Ich fand diese Musik unglaublich energetisch, kraftvoll, intelligent, komplex, aufregend und funky. Dieses Gefühl verstärkte sich später, als ich mit der Naturtrompete ein tieferes Verständnis der Barockmusik erlangte.
Wie alt waren Sie, als Sie zum ersten Mal diese Aufnahme hörten?
Balsom: Ich muss neun Jahre alt gewesen sein, als mir mein Onkel eine Kassette mit dieser Musik schenkte.
Das ist aber sehr früh!
Balsom: Und trotzdem habe ich damals genauso empfunden, wie ich es eben erwähnt habe, auch wenn ich damals die Musik sicherlich nicht mit diesen Adjektiven hätte beschreiben können. Natürlich habe ich nicht die ganze Tiefe der Musik erfasst, ich wusste damals nicht einmal, was Barock überhaupt war oder was genau ein Cembalo ist. Aber die Empfindungen waren definitiv da. Auch heute sehe ich, wie Kinder oder sogar Babys hochemotional auf diese Musik reagieren können. Da steckt etwas in ihr, das weit über unseren Intellekt hinaus reicht.
Was trat zuerst in Ihr Leben: die Trompete oder die klassische Musik?
Balsom: Hm, gar nicht leicht zu beantworten. Ich denke, es war die Musik. Aber bald darauf habe ich mit der Trompete angefangen. Sie war für mich von Anfang an das Tor zur Klassik. Ich habe nie Trompete gespielt um des Trompetenspiels willen. Stattdessen war sie für mich von Anfang an ein Werkzeug, um Musik zu machen – und um mich, meine Gedanken und meine Gefühle zu artikulieren.
Sie sind aber auch bekennender Jazz-Fan.
Balsom: Oh ja, auch wenn ich klassische Musikerin durch und durch bin! Ich höre wahnsinnig gerne Clifford Brown, Dizzy Gillespie, Miles Davis …
Trat diese Leidenschaft für den Jazz genauso früh in Ihr Leben wie jene für die klassische Musik?
Balsom: Durchaus, ich hatte damals ja nicht nur diese eine erwähnte Kassette (lacht). Ich habe in meiner Kindheit auch in einer Brass Band gespielt. Gemeinsam zu spielen, auf die anderen Instrumente zu hören, das hat mich sehr geprägt und mir entscheidend dabei geholfen, meine eigene Musikalität zu finden. Ich kann mich da sehr glücklich schätzen, in solch einem Umfeld aufgewachsen zu sein, zumal in meiner Schule auch kostenloser Musikunterricht angeboten wurde. Über das Musizieren erlernt man als Kind so viele für das Leben essentielle Fähigkeiten – Selbstdisziplin, Selbstvertrauen, Teamfähigkeit … Es geht dabei um so viel mehr als nur ein Instrument zu beherrschen oder die Möglichkeit zu haben, später mal Berufsmusiker zu werden.
Alison Balsom spielt Telemann: