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Interview Anna Prohaska

„Ich musste mehr dafür tun als sonst“

Balkonkonzerte, zwei neue Alben, Internetauftritte: Während der Coronakrise blieb der Schaffensdrang von Anna Prohaska ungebrochen.

vonMatthias Nöther,

Im Laufe dieses Interviews wird Anna Prohaska ungefähr fünfzig Kilometer zurückgelegt haben. Sie ist auf der A9 auf dem Weg Richtung Süden, um ihre Eltern in Salzburg zu besuchen und ihren Geburtstag in Wien zu feiern, wo sie einen Teil ihrer Kindheit verbracht hat. Danach geht es für sie weiter nach Ungarn, wo das Budapest Festival Orchestra auf sie wartet.

Sie treten jetzt wieder vor Publikum auf. Gab es für Sie als Opern- und Konzert­sängerin in der Krise eine Pause?

Anna Prohaska: Ich habe eigentlich gar keine Pause gemacht. Nur die Weisheitszähne habe ich mir ziehen lassen – das war recht praktisch in der toten Zeit, wo sowieso nichts los war. Ansonsten habe ich während Corona eigentlich durchgearbeitet – ohne Publikum. Ausnahme sind die Balkon­konzerte bei mir zu Hause in Berlin, die ich privat organisiert und veranstaltet habe. Ich habe auch einige Streams gemacht, zum Beispiel ein Mahler-Lied in der Berliner Philharmonie. Und mit der lautten compagney bin ich im Berliner Stummfilmkino „Delphi“ aufgetreten.

Also gab es für Sie gar keine Umstellung?

Prohaska: Doch, schon, ich musste mir vieles selbst organisieren. Also ich habe jetzt richtig geackert, habe neue Programme gestaltet, Leute angerufen, alles angeleiert. Dann wurden mir auch Dinge angeboten, allerdings passierte das nicht gerade wie von Geisterhand, ich musste mehr dafür tun als sonst. Jetzt war ich zum ersten Mal Eventmanagerin und Dramaturgin und Sängerin gleichzeitig, das war eine interessante Erfahrung. Ich musste Leute überzeugen von meinen Programmen. Zuerst hört man dann, es sei kein Geld da, und dann ist irgendwie doch Geld da. Und das ist natürlich auch anstrengend, weil plötzlich ganz andere Fähigkeiten von mir gefordert sind als sonst, wo ich einfach nur lernen und üben und mich dann hinstellen und singen muss.

Ging es bei diesem Projekt­management auch um CD-Projekte?

Prohaska: Genau. Zwei CDs habe ich während der Coronazeit aufgenommen. Zum einen wollte die lautten compagney in Berlin eine Bach-CD aufnehmen – und wir dachten uns, wir machen das am besten jetzt. Denn Bach ist ja auch der Komponist des Trostes in so schwierigen Zeiten, und es gibt ja auch so viele Kantaten, die mit Krankheit und Tod, aber wiederum auch mit Erlösung, Hilfesuchen, Gott um Hilfe bitten zu tun haben. Das fühlt den Puls der Zeit und trifft ins Schwarze.

War das Ihre Idee oder die der lautten compagney?

Prohaska: Vor anderthalb Jahren ist Wolfgang Katschner, der Leiter des Ensembles, auf mich zugekommen, und da haben wir drei Projektideen angedacht und schon mal etwas konzipiert. Und jetzt fiel bei mir so viel aus. Ich konnte nicht reisen und suchte ein Ensemble, das in Berlin ansässig ist und das ich unterstützen kann. Die lautten compagney hat natürlich selbst einen beträchtlichen Ruf, aber für Ensembles war und ist die Coronakrise viel dramatischer. Die haben ganz andere Kosten und Planungen als Solisten, die meistens noch Rücklagen haben. Die Ensembles leben ja von der Hand in den Mund. Da habe ich gedacht: Das können wir vorziehen, und dann habe ich ihn angerufen. Das Album heißt „­Redemption“ – Erlösung.

Und das andere CD-Projekt?

Prohaska: Das habe ich mit der Geigerin Isabelle Faust und ihrer Plattenfirma harmonia mundi gemacht. Es sind die Kafka-­Fragmente von György Kurtág. Das ist ein 55-minütiger Zyklus von Liedern nur für Sopran und Geige – ein Stück, das wir schon in der Kölner Philharmonie und im Boulezsaal aufgeführt haben. Wir wollten das eigentlich erst in zwei Jahren aufnehmen. Wir wären dann vermutlich beide super gestresst gewesen, zwischen irgend­welchen Engagements und Tourneen. Und jetzt hatten wir beide Zeit, eine satte Woche miteinander zu proben und das in „unserem“ Teldec-Studio in Lichterfelde-West aufzunehmen. Es war recht idyllisch da draußen, denn das ist ja so ein alter Ballsaal im Grünen, mit einem Tonmeister unseres Vertrauens, Martin Sauer.

Anna Prohaska
Anna Prohaska

Sie werden ja jetzt Artist in Residence im Konzerthaus. Was war denn da die leitende Idee, wie man Ihre Person und Ihr Repertoire mit einbindet und ein Programm entwickelt?

Prohaska: Also, ich hatte da vollkommen freie Hand. Beim Konzerthaus haben sie mir gesagt, dass ein Motto der Jubiläumssaison „Tod und Teufel“ lautet, dass Webers „Freischütz“ und die Samiel-Figur ein Leitfaden sein könnten. Das Konzerthaus wurde ja 1820 gegründet, und wenig später wurde „Der Freischütz“ dort uraufgeführt. Für die kleineren Abende habe ich also mehrere Gesänge zum Thema herausgesucht: das Schubert-Lied, eine Arie aus Gounods „Faust“, die Agathe-Arie aus dem „Freischütz“ und eine Nummer aus Strawinskys „The Rake’s Progress“.

Im „Freischütz“ singen Sie seit Jahren eigentlich eine andere Rolle als die Agathe, nämlich das Ännchen. In dieser Partie werden Sie im Winter auch an der Bayerischen Staatsoper auftreten.

Prohaska: Ja, unter Leitung von ­Antonello Manacorda! Mit Antonello bin ich privat befreundet, aber wir haben noch nie zusammengearbeitet. Die „Freischütz“-Inszenierung in München und ein Projekt bei der Kammerakademie Potsdam werden unsere Tests sein. Ob wir uns danach immer noch so gut verstehen? Das ist immer so ein Witz zwischen uns. Aber ich habe ein sehr gutes Gefühl. Wir haben bei unseren Gesprächen über Musik das Gefühl, wir sind auf der gleichen Wellenlänge, auch programmatisch, da freue ich mich einfach drauf.

Nochmal zum Thema „Tod und Teufel“ – da denkt man ja musikalisch vor allem an dämonische, vielleicht auch an etwas schräge Dinge …

Prohaska: Ich hätte auch gerne eine echt mephistophelische Rolle übernommen. Geplant war im Konzerthaus Berlin auch eine „Faust“-Kantate von Alfred Schnittke: Ich hätte dort die Partie der Mephistophelia gesungen, also eines weiblichen Mephistopheles. Aber das Stück ist viel zu groß besetzt für die Corona-Zeit, das mussten wir jetzt weglassen. Schade. Schnittke ist ein ganz besonderer und verrückter Komponist. Vielleicht ein anderes Mal. Aber man kann das jetzt nicht einfach auf neue Daten setzen, weil mal das Orchester und der Dirigent Zeit haben, aber ich nicht – und umgekehrt.

Auch der Titel Ihrer letzten CD „Paradise Lost“ ist an Dämonisches angelehnt: „Paradise Lost“ ist etwa der Name einer Gothic-Metal-Band. Haben Sie da Affinitäten?

Prohaska: Ich höre manchmal Musik von Elektronik bis Metal, auch mal düstere Mittelalter-Musik – sehr gerne auch deutschen pietistischen Frühbarock, wo es oft um die Selbstkasteiung geht und um Sünde, Krankheit, den Teufel und die Versuchung. Das Thema interessiert mich schon sehr, auch diese Reibung mit dem Religiösen. Ich liebe einfach sakrale Musik. Schon in früheren Programmen von mir ging es um Glauben und Extase, auch um den Gegensatz der Marienfiguren: Mutter Gottes und Maria Magdalena. Jetzt eben Adam und Eva: Ich stelle die Überlegung an, ob Eva als Urfrau wirklich die Verursacherin der Erbsünde ist oder ob sie durch das Naschen vom Baum der Erkenntnis einfach eine Art von Selbstbestimmung erreichen wollte für sich und ihren Ehemann und sich von diesem eingelullten Zustand der Zufriedenheit im Paradies lösen wollte. Ich sehe sie als eine Art weiblichen Prometheus. Die wollte es wirklich wissen: Wer sind wir, wer bin ich? Sie wurde gehörig abgestraft, aber sie konnte sich auch auf Erden ihr eigenes Leben aufbauen. Das sind alles so theologische und philosophische Themen, die mich interessieren. Aber auch die Diskriminierung der Frau durch die Beschuldigung, dass sie die Urmutter aller Sünde sei und dass sie sich Jahr­tausende dafür rechtfertigen musste. Die Verführungskraft wird ja immer der Frau zugeschoben. Dem Mann wird da in gewisser Art auch Selbst­bestimmung abgesprochen.

Album Cover für Paradise Lost

Paradise Lost

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