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Interview Anne-Sophie Mutter

„Wir brauchen etwas, das Bestand hat“

Anne-Sophie Mutter über ihr erstes Open-Air-Konzert, ihre Zusammenarbeit mit zeitgenössischen Komponisten – und über ein ganz besonderes Kinderbuch.

vonTeresa Pieschacón Raphael,

Das gab’s noch nie: Im September 2019 wird Star-Geigerin Anne-Sophie Mutter erstmals bei einem Open-Air spielen – auf dem Münchner Königsplatz.

Von „ABBA bis Zappa“ habe
 er alle Künstler gehabt, schwärmte eben der Impresario Peter Schwenkow. Nun hat er auch Sie, Anne-Sophie Mutter, überzeugt.


Anne-Sophie Mutter: Ich gebe zu, mit unserem Open-Air-Konzert im nächsten Jahr auf dem Münchner Königsplatz gehe auch ich ein Wagnis ein. Ich bin sehr gespannt. Die Musik von John Williams ist für das Kino geschrieben, also für einen Raum, der akustisch ohnehin verstärkt ist. Und beim Open-Air geschieht das ebenso – eine Hürde, die ich für ein Beethoven-Konzert nie nehmen werde, da wegen der elektronischen Verstärkung die Subtilität und Intimität des Geigenklangs verloren gehen könnte. Die Tonmeister von der Deutschen Grammophon werden für den optimalen Klang sorgen.

Auf dem Plakat haben Sie sich schon in Stimmung gebracht.

Mutter: Ich habe einen meiner Carbon-Bögen grün anmalen lassen, damit der wie das Lichtschwert von Luke Skywalker aussieht. Ich bin fasziniert von John Williams heroisch-majestätischer Musik für „Star Wars“, die wie aus einer fernen Galaxie mein Ohr trifft.

Anne-Sophie Mutter. Motiv zum Album "Across the Stars"
Anne-Sophie Mutter. Motiv zum Album „Across the Stars“

Das scheint auch umgekehrt 
zu gelten, denn John Williams widmete Ihnen auch ein Werk.

Mutter: „Markings“ für Solovioline, Streicher und Harfe. Ich werde es im Konzert zum Jubiläum der Deutschen Grammophon zum ersten Mal in Berlin aufführen.

Sie sind selbst Teil des Jubiläums: Seit vierzig Jahren sind Sie bei dem Label.

Mutter: Meine erste Aufnahme für die Deutsche Grammophon waren Mozarts Violinkonzerte 1978 mit Herbert von Karajan. Da war ich vierzehn! Obwohl er mir damals riet, mich nie exklusiv an eine Plattenfirma zu binden, bin ich weitgehend bei der Deutschen Grammophon geblieben. Ich fühle mich dort verstanden. Unser neues Projekt ist eine Aufnahme mit Oscar-prämierten oder -nominierten Melodien aus „Schindlers Liste“ oder „Die Geisha“ mit dem Royal Philharmonic Orchestra unter David Newman.

Den wahren Sternen näher waren Sie jetzt auf dem 3 800 Meter hohen Titicacasee zwischen Peru und Bolivien.

Mutter: Ja. Und wir waren in den Kachi Rapay, den Salinen der Incas, und natürlich in Machupicchu. Es war einfach großartig!

Wo waren Sie eigentlich noch nicht?


Mutter: Oh, da gibt es noch einige Länder. In diesem Jahr gab es sehr viele Reisen. Australien, Nord- und Südamerika. Jetzt kommt noch China, Korea und Japan. Habe ich irgendetwas ausgelassen? Dann freue ich mich auf ein paar Tage in den Kitzbüheler Bergen.

Die meisten Musiker und Künstler schreiben ein Buch über Ihr Leben, nach dem Motto: „Mein Leben in Dur und Moll“ …

Mutter: (lacht) … oder in zwölf Tönen!

Also mit Spiegelungen und Umkehrungen?

Mutter: 
(lacht) Bitte noch mehr Varianten, und möglichst schräg und atonal!

Über Sie gibt es eigentlich nur ein Buch.


Mutter: Ja, und Herr Stenger hat es quasi selbst geschrieben und mit einigen Statements garniert. Es ging ausschließlich um die Musik. Ich wurde mehrfach von Verlagen gefragt, hatte aber nicht das Bedürfnis, etwas zu berichten. Es gibt auch nichts zu berichten.

Oft wundert man sich, wie detailgenau manche Autobiografien sind – so als hätte mancher Künstler bereits im Windelalter gewusst, dass er einmal bedeutend wird.

Mutter: Ja, da haben Sie recht. Aber es gibt natürlich auch Archive und Freunde und Wegbegleiter, die dann über einen berichten. Jeder hat seine Erinnerung, die persönlich gefärbt ist. Das ist ja das Interessante.

Gibt es für Sie einen Unterschied zwischen Gedächtnis und Erinnerung?

Mutter: Das Gedächtnis würde sich bei mir eher an Fakten orientieren, während Erinnerung immer durch die Subjektivität des Augenblicks, des Involvierten geprägt ist. Und vor allen Dingen der Emotion, die zu diesem Zeitpunkt passt, was eben auch heißt, dass man in einer ähnlichen Situation viele Jahre später nicht unbedingt die gleiche Erinnerung haben muss. Das kann auch ein Konzert in der Carnegie Hall sein, das ich 1980 anders empfunden habe als meinetwegen dreißig Jahre später. Weil ich anders bin, auf andere Dinge höre, auch anders reagiere. Darum jetzt auch das Konzert auf dem Königsplatz. Ich hätte nie gedacht, dass ich mal ein Open-Air-Konzert spiele. Mit 25 Jahren hätte ich mich dort nicht wohlgefühlt. Da wollte ich erstmal die dodekafonische Musik ausloten.

Na ja, diese Leidenschaft hat Sie ja noch nicht verlassen.

Mutter: Kürzlich musste ich lachen, als ich meine To-do-Liste sah, mit all den Menschen, an die ich E-Mails schreiben muss. Oben stand Williams, dann kam Widmann, dann Chin Un-Suk, Thomas Adès und Penderecki. Was für unerschöpfliche Möglichkeiten! Das ist ein riesiges Geschenk! Da schreibt man an Menschen, die das Geigenrepertoire vergrößern werden, nicht nur für mich, sondern auch die nächste Generation.

Wären Sie gerne Komponistin geworden?


Mutter: Ja und nein. Denn ich weiß: Die Qualität einer Begabung wie bei Mozart ist einzigartig, der ja beides beherrschte, das Instrument und die Komposition. Ich habe mich für die Geige entschieden und es war richtig so. Wenn ich aber noch etwas – für mich – über die Begabung des klassischen Komponisten stellen würde, dann ist es das Können der Jazzmusiker. Die Geschwindigkeit im Kopf, das Improvisieren über ein Thema, das vielleicht vorher schon da war, aber nun aus dem Stegreif, immer wieder abgewandelt wird. Diese Spontaneität ist einfach großartig. Ja, diese Begabung hätte ich gerne gehabt!

Die unwillkürliche Wirkung, die Spontaneität ausmacht, dieses ganz von selbst Geschehende, gibt es ja auch in der klassischen Musik.

Mutter: Ja, wenn auch subtiler. Oder, wenn man den Raum wechselt. Neben dem klassischen Forum des Konzertsaals müssen wir neue Foren schaffen, die eine andere Aura mit sich bringen: den kleinen privaten Raum etwa, wo nur hundert Menschen ganz nah am Künstler sind und die geistige Anstrengung, die so ein Konzert bedeutet, spüren. „Expanding“ ist meine Devise, ins kleine Intime wie ins Große.

Anne-Sophie Mutter
Anne-Sophie Mutter

Zurück zu Ihrer Leidenschaft für die Avantgarde. „Wo beginnt der Schreiner und wo hört der Geiger auf?“ witzelten Sie kürzlich in einem Rundfunkinterview über manchen zeitgenössischen Komponisten. Wie gut ist Herr Penderecki als Schreiner?

Mutter: (lacht) Fabelhaft! Als ehemaliger Geiger schreibt er sehr schön mit dem Verständnis für die Geige. Man spürt, dass er um die Abläufe weiß. Das kann man von Beethoven nicht sagen. Gut, er war Pianist im Gegensatz zu Penderecki, und hat wohl auch deshalb für Streicher oft sehr sperrig geschrieben. Ich halte mich an Richard Strauss. Der reagierte auf das Lamento der Hörner, die alles, was er für sie schrieb, unbequem fanden, ganz kühl: „Ich schreibe, Sie spielen!“

„Was interessiert mich seine elende Geige, wenn der große Geist zu mir spricht?“, soll Beethoven seinerzeit den Geiger Ignaz Schuppanzigh angeherrscht haben.

Mutter: Ja genau! Das ist ein sehr guter Punkt. Oft fragt man mich, ob ich mich mit dem Komponisten unterhalte, bevor er ein Werk für mich schreibt. Bloß nicht! Bloß nicht die Fantasie eines Komponisten einschränken. Bei Krzysztof Penderecki muss ich sagen: Trotz der hyperintellektuellen Schreibweise ist seine Musik zutiefst von seiner Seele durchdrungen. Es bleibt Musik, die spielbar ist. Ich bin eine ganz große Bewunderin seiner Kunst. Auch von seiner zweiten Sonate für Geige und Klavier, die ich mit großem Schweiß einstudiert habe

Erzählen Sie!

Mutter: Trotz all meiner anderen Auftritte haben Lambert (Orkis, Mutters Klavierpartner) und ich immer wieder Tage im Studio verbracht und das Werk gemeinsam durchgearbeitet, Seite für Seite. Ich weiß noch: Während der ersten Sessions habe ich meist nach zehn Minuten angefangen, hysterisch zu lachen, weil es so ein komplexes Werk ist. Es passieren ja meist drei thematisch wichtige Dinge im gleichen Moment und man weiß einfach nicht: Was hebt man heraus, was hat stützende Funktion? Oft dachte ich mir: Da werden wir nie Licht ins Dickicht bringen. Man muss sich lange und intensiv mit solchen Werken beschäftigen. Jetzt liegt es in aller Klarheit vor uns.

Sämtliche ältere Musiker bestätigen mir, dass das technische Niveau unsagbar viel höher sei als in ihrer Generation. Werke, die unspielbar schienen, sind
heute technisch kein Problem.

Mutter: Ja, das stimmt. Jetzt kommt aber das große Aber. Es geht dabei auch viel verloren. Es ist wahr, dass das höhere technische Niveau Komponisten Zunder gibt, sie dazu animiert, ihre Werke technisch immer komplexer zu schreiben. Doch letztendlich sollte die Technik nur das Fundament und der Sklave des Ausdruckswillens sein und nicht Selbstzweck. Ich bin froh, dass es unter den Pianisten immer noch große Poeten gibt wie Daniil Trifonov oder Khatia Buniatishvili.

Als Kind liebten Sie Janoschs Geschichte vom Josa, der mit seiner Geige zaubern konnte. Wenn Josa schnell vorwärts spielte, dann wurde alles größer. Wenn er aber rückwärts fidelte, dann wurde alles kleiner …

Mutter: … und der Despot verschwand in der Bodenritze. Wir wissen, dass das nicht möglich ist. Aber ich habe immer an das Wunder der Musik geglaubt und das ist auch der Motor meines Lebens. Musik kann eine gute Kraft im Leben sein. Musik kann Menschen zusammenbringen. Wir brauchen das gemeinsame Erleben, wir brauchen etwas, das Bestand hat.

Anne-Sophie Mutter und Krzysztof Penderecki im Interview über ihre Zusammenarbeit: 

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