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Interview Augustin Hadelich

„Ich bin auf die dunkle Seite übergegangen“

Augustin Hadelich über seine Online-Reihe „Ask Augustin“, seine neue Violine und sein aktuelles Album.

vonIrem Çatı,

Als wir Mitte April mit Geiger Augustin Hadelich telefonieren, weilt er bei seinen Schwiegereltern in der Nähe von New Haven, Connecticut. So konnte er vermeiden, den Lockdowns in seinem kleinen New Yorker Apartment auszusitzen. Ob es für ihn nach der Krise wieder zurück in die Metropole geht, weiß er noch nicht.

Sind Sie etwa an dem Punkt angekommen, an dem Sie sich vorstellen können, die Zelte in der Peripherie aufzuschlagen?

Augustin Hadelich: Als ich auf dem Land in Italien aufgewachsen bin, wollte ich unbedingt in eine große Stadt ziehen. Irgendwohin, wo viel los ist, und New York hat diese Energie. Dafür liebe ich die Stadt. Aber in letzter Zeit hatte ich immer öfter Heimweh, habe die Natur und die Olivenbäume vermisst. Das hätte ich mir als Teenager niemals vorstellen können! Ich denke, ich brauche beides: die Energie der Großstadt und die Natur.

Wie regelmäßig üben Sie zurzeit?

Hadelich: Ich finde es generell schwierig zu üben, wenn ich kein ganz konkretes Ziel vor mir habe. Deswegen habe ich mir einige Videoprojekte vorgenommen, um mich zu motivieren. Ich nehme beispielsweise Werke von Bach und Kreisler auf und habe somit guten Grund, regelmäßig zu üben.

Geben Sie auch Livekonzerte wie viele Ihrer Kollegen?

Hadelich: Nein, ich nehme mir viel Zeit für die Videos, denn ich finde, die schlechte Klangqualität bei Livevideos ist ein Problem. Als Geiger arbeiten wir unser ganzes Leben an unserem Klang, deswegen finde ich es schade, etwas zu veröffentlichen, das wegen der schlechten Mikrofone nicht gut klingt. Ich nehme den Ton getrennt vom Bild auf und füge dann beides zusammen. Problematisch ist es vor allem mit dem Smartphone, denn da wird die Dynamik komprimiert, und das ist ganz schlimm in der klassischen Musik. Dann geht der ganze Ausdruck verloren. Ich finde es wichtig, dass die Videos eine gute Qualität haben, auch wenn sie „nur“ im Internet veröffentlicht werden, denn womöglich werden sie von noch mehr Menschen gehört als eine CD.

Sie geben neuerdings Online-Meisterklassen. Woher kam die Idee zu „Ask Augustin“?

Hadelich: Die kam mir schon vor längerer Zeit, weil ich auf Facebook und Instagram immer wieder Fragen von Studenten und Musikern zu meiner Geigentechnik oder anderen musikalischen Themen bekomme. Das finde ich sehr spannend und gibt mir Anlass, über meine eigene Technik nachzudenken. Mittlerweile bekomme ich noch mehr Fragen und versuche in meinen Videos methodischer vorzugehen. Es gibt sehr viel, worüber man reden kann, mir geht der Stoff also erst einmal nicht aus. Ich habe viel Spaß dabei Tipps zu geben, die anderen helfen.

Wer guckt Ihre Videos?

Hadelich: Das ist ganz unterschiedlich: Studenten, Fans, aber auch Geigenlehrer, die sich selbst schon jahrelang zu bestimmten Themen Gedanken gemacht haben und mir dann sehr spannendes Feedback geben.

Könnten Sie sich vorstellen, „offline“ zu unterrichten?

Hadelich: Auf jeden Fall! Unterrichten macht mir sehr viel Spaß! Ich gebe immer wieder Meisterklassen und finde es sehr anregend. Der persönliche Unterricht mit den Studenten macht natürlich viel mehr Freude als online Tipps zu geben. Ich habe auch immer wieder das Gefühl, dass ich mich dabei selbst unterrichte und dass ich ein Stück am Ende besser spiele, nachdem ich es den Studenten nähergebracht habe. Aber meine große Leidenschaft ist es auf der Bühne zu sein und selbst zu spielen. Das wird immer im Mittelpunkt stehen.

Vor allem stehen Sie mit großen Orchestern auf den Bühnen der Welt. Wie stehen Sie zur Kammermusik?

Hadelich: Als ich noch studiert habe, war Kammermusik eine große Entdeckung für mich und hat mich regelrecht beflügelt. Seitdem spiele ich jedes Violinkonzert völlig anders. Im Grunde muss ich nämlich dabei genauso zuhören, führen und eine Kommunikation mit dem Dirigenten und den Musikern haben wie in der Kammermusik. Insofern könnte ich überspitzt sagen, ich spiele immer Kammermusik (lacht). Man hört sofort, wenn ein Solist dem Orchester zuhört und darauf reagiert. Wenn das Orchester einen Solisten nur begleitet, geht musikalisch viel verloren, und das finde ich weniger befriedigend. Besonders bei Violinkonzerten, die sinfonisch angelegt sind und wo die Geigenstimme in das Zusammenspiel mit Orchester eingebettet ist, ist es von Vorteil, wenn der Geiger auch Erfahrung als Kammermusiker hat.

Was hat Sie denn damals so beflügelt in der Kammermusik?

Hadelich: Zum einen gibt es großartige Stücke und ein schier unerschöpfliches Repertoire. Zum anderen fand ich den sozialen Aspekt und das Zusammenspiel mit anderen Musikern toll. Als ich aufgewachsen bin, habe ich oft allein geübt und gespielt. Außerdem habe ich durch die Kammermusik Komponisten und ihre musikalische Sprache neu oder anders kennengelernt. Es gibt beispielsweise nur ein Violinkonzert und ein Doppelkonzert von Brahms, aber so viel Kammermusik, die er komponiert hat. Nachdem ich diese gespielt hatte, merkte ich, dass ich das Violinkonzert ganz anders spielte.

Sie arbeiten auch viel mit Komponisten zusammen. Derzeit schreibt Donnacha Dennehy ein Violinkonzert für Sie. Wie ist die Arbeit mit ihm zustande gekommen?

Hadelich: Ich habe den irischen Komponisten Donnacha Dennehy schon vor einigen Jahren kennengelernt und immer wieder Stücke von ihm gehört, die anders waren und mich fasziniert haben. Ich war gespannt, was er mit dem Genre Violinkonzert machen würde und habe ihn gefragt, ob er eins für mich komponieren würde. Er war gleich begeistert von der Idee. Anfangs haben wir viel darüber gesprochen, welche Violinkonzerte und zeitgenössischen Werke wir gelungen finden. Jetzt bin ich gespannt, was er vorhat.

Augustin Hadelich
Augustin Hadelich

Wie entsteht so ein neues Werk?

Hadelich: Donnacha Denney schickt mir immer wieder Auszüge, die ich dann aufnehme und ihm zurückschicke, damit er hört, wie es klingt. Diese Zusammenarbeit ist sehr wichtig, wenn man möchte, dass das Stück gut auf der Geige liegt und deren Stärken zur Geltung bringt. Die Premiere ist für nächsten April geplant, deswegen ist der Plan, dass er bis Ende des Jahres fertig wird. Mir ist auch wichtig, dass es zwischen der Uraufführung und den darauffolgenden Auftritten genug Zeit gibt, um das Stück gegebenenfalls zu überarbeiten und zu verbessern – bei den meisten der „großen“ Violinkonzerten gab es solche Phasen der Revision.

Wie ist es, direkt mit einem Komponisten zusammenzuarbeiten?

Hadelich: Das Schwierige an meiner Arbeit ist, Sachen aus den Noten konstruieren zu müssen, denn ich finde, dass Notenschrift eine sehr ungenaue Art der Musiknotation ist. Dadurch geht viel von den Ideen des Komponisten und der musikalischen Absicht verloren. Insofern ist es natürlich einfacher, wenn man einen Komponisten direkt fragen kann. Vor einigen Jahren habe ich mit Thomas Adès zusammengearbeitet, der unglaublich viele Anweisungen über die Noten geschrieben hat. Ich habe natürlich versucht, davon so viel wie möglich umzusetzen. Als ich ihm dann vorgespielt habe, habe ich gemerkt, dass ihm manche dieser Anweisungen viel wichtiger waren als andere. Das war sehr interessant, weil ich das Stück danach ganz anders gespielt habe. Da dachte ich, dass das bei Beethoven oder anderen Komponisten womöglich genauso war und wir ihre Werke heute anders interpretieren als sie es sich vorgestellt hatten.

Seit Anfang des Jahres haben Sie eine neue Geige, eine Guarneri „Leduc“ aus 1744. Konnten Sie sich schon an das Instrument gewöhnen?

Hadelich: Zum Glück konnte ich noch drei Monate lang Konzerte mit meiner neuen Geige geben, bevor die Corona-Krise das unmöglich machte. Das waren sehr schöne Monate, in denen ich das Gefühl hatte, die Stücke, die ich auf ihr spielte, neu zu entdecken. Sie klingen ganz anders, wodurch sich für mich neue Spielmöglichkeiten ergeben haben. Das finde ich sehr spannend. Deswegen bin ich froh, sie gerade hier bei mir zu haben und sie weiter kennenzulernen.

Wie klingt sie im Unterschied zu der Stradivari, die Sie davor gespielt haben?

Hadelich: Ganz anders! Guarneris haben eine andere Ästhetik. Das Holz ist dicker als das meiner Stradivari, weshalb sie schwerer in der Ansprache ist. Dafür ist der Klang ein dunklerer, wärmerer und vollerer, der aus der Nähe viel lauter, aber im Saal ähnlich stark wie eine Stradivari klingt. Ich habe mich einfach in den Klang verliebt. Den muss man aus der Guarneri zwar etwas kraftvoller herauskitzeln, aber wenn er dann erst einmal herauskommt, ist er extrem schön und voll. Ich kann jetzt in Konzerten viel energetischer spielen, und das finde ich sehr befreiend. Normalerweise haben Solisten eine Vorliebe für den einen oder anderen Geigenbauer und wechseln nur in Ausnahmefällen. Ich bin jetzt sozusagen auf die dunkle Seite übergegangen (lacht). Aber damit bin ich sehr zufrieden.

Vor Ihnen hatte Henryk Szeryng dreißig Jahre lang auf der Geige gespielt.

Hadelich: Ich bin mit seinen Aufnahmen und dem schönen Ton, den er hatte, aufgewachsen. Ich erkenne Teile des Klangs von damals wieder. Das ist eine sehr besondere Geschichte für mich.

Das Konzept Ihres neuen Albums ist Böhmen. Was verbinden Sie mit „böhmischer“ Musik?

Hadelich: Ich verbinde die böhmische Musik sehr mit Antonín Dvořák. Überhaupt fand das Konzept für dieses Album den Ursprung bei ihm und seinem Violinkonzert, das ich 2018 live mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks unter der Leitung von Jakub Hrůša aufgenommen habe. Dann habe ich überlegt, dass die Violinsonate von Janáček sehr gut dazu passen würde. Die beiden haben zwar die gleiche Klangsprache, dennoch versucht Janáček immer das Gegenteil von dem zu machen, was Dvořák machte. Dieser versuchte oft Übergänge zu komponieren, so dass eine Stimmung in die andere über geht. Bei Janáček gibt es plötzlich laute Wutanfälle oder ganz leise Passagen, die einen beim Zuhören manchmal überraschen können. Auch auf Suk kam ich sofort, weil ich seine Stücke sehr mag, aber nicht oft spiele. Ich finde, dass alle drei Komponisten in ihren Werken eine Geschichte erzählen. Es gibt immer eine Handlung und einen dramatischen Ablauf wie bei einem Theaterstück. Daher der Name „Bohemian Tales“.

Inwiefern ist Dvořák ein amerikanischer Komponist?

Hadelich: Er wird von uns hier in den USA natürlich deswegen verehrt, weil er einige Jahre hier verbracht hat und Einflüsse, die er hier gesammelt hat, in einige seiner Stücke eingebaut hat. Dennoch ist er für mich kein amerikanischer Komponist! Aber er hat die dortige Musiktradition und Komponisten wie Copland nachhaltig beeinflusst. Ich denke, dass er geholfen hat, einen amerikanischen Musikstil zu entwickeln.

Augustin Hadelich spielt Dvořák:

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Album Cover für Bohemian Tales

Bohemian Tales

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