Ganz entspannt erscheint Avi Avital zum morgendlichen Interview in seiner Wahlheimat Berlin. Und kommt gleich auf sein Lieblingsthema jenseits der Musik zu sprechen: die sozialen Medien. „Wir sind ständig einen Klick entfernt von jeder beliebigen Musik, die es gibt“, stellt der Israeli fest. „Jeden Tag kommen neue Leute auf den Markt, und da entscheidet nur die Qualität der Musik. Sie können mich naiv nennen, aber davon bin ich überzeugt.“
Herr Avital, James Galway hat die Flöte populär gemacht, Maurice André die Trompete und Frans Brüggen die Blockflöte – gelingt Ihnen das jetzt mit der Mandoline?
Hoffentlich! Ich höre das oft, und es ist sehr schmeichelhaft, für einen Botschafter der Mandoline gehalten zu werden. Lange war die Mandoline ja in der Musikgeschichte vergessen, obwohl sie so ein wundervolles Instrument ist. Eine Menge Leute kommen nach den Konzerten zu mir und sagen: Das war das erste Mal, dass ich live eine Mandoline gehört habe. Wenn ich also auf die Bühne gehe, denke ich: 85 Prozent der Menschen in dieser Konzerthalle haben diesen Sound noch nie gehört – welcher Pianist könnte das sagen? Es ist ungeheuer aufregend, den Menschen etwas völlig Neues zu präsentieren und auch eine große Verantwortung; doch ich spüre diese Neugier, und liebe diese Energie.
Die Blütezeit des Instruments im 18. Jahrhundert war recht kurz. Wird sie diesmal länger dauern?
Da bin ich ganz sicher. Die Mandoline war ja immer populär, aber eben nur als Amateur-Instrument. Im 18. Jahrhundert war sie ein Instrument der Aristokratie: Das spielten adlige Mädchen als Teil der Erziehung, wie auch das Cembalo. Im 19. Jahrhundert wurde die Mandoline dann ein bürgerliches Instrument: Man versammelte sich in Clubs, um sie zu spielen. In jeder italienischen Stadt gab es solch einen Club aus 30, 40 Leuten, die sich nach der Arbeit trafen, um die Schlager der Zeit zu musizieren – auch in Deutschland. Und im 20. Jahrhundert wurde die Mandoline mit der Massenproduktion günstiger Instrumente dann noch populärer – ja, in Italien gar zu einem der populärsten Instrumente! Mit den Emigranten ist sie dann nach Amerika gekommen, wo sie heute in der Bluegrass Musik ein sehr gebräuchliches Instrument ist: eine stete, ja unaufhörliche Entwicklung wie bei keinem anderen Instrument. Und nun ist es Zeit, dass sie in die Konzertsäle zurückkommt.
Im Musiklexikon „New Grove“ gibt es sechs Seiten über die Mandoline, aber sieben über das Serpent – ein historisches Blechblasinstrument …
Ja, es gibt immer noch viel zu lernen über die Mandoline in der Mainstream-Welt. Aber es wurde viel geforscht in den vergangenen Jahren, und da sind noch viele Seiten zu schreiben.
Was sollten wir denn noch wissen?
Wenn man chronologisch vorgehen will: Die Meilensteine der berühmten Komponisten fangen an mit fünf Scarlatti-Sonaten. Vivaldi hat zwei Konzerte komponiert und die Mandoline in zwei weiteren Werken verwendet. Von Mozart gibt es die Arie im Don Giovanni, die übrigens genau mit der Verbindung mit der Aristokratie spielt: In Deh, vieni a la finestra versucht Don Giovanni ja, ein junges Mädchen ans Fenster zu locken. Beethoven hat vier Sonatinen geschrieben, die nicht so bekannt sind. Er hat sie für eine junge adlige Frau komponiert, eine Tochter eines seiner Mäzene, in die er verliebt war. Danach kam leider eine Weile nichts mehr – bevor dann die Mandoline später wieder als Farbe im Orchester auftauchte: Mahler hat sie benutzt, Verdi im Otello, Prokofjew in Romeo und Julia.
Stradivari, Guarneri, Guadagnini: Bei Streichern spielt das Instrument eine wichtige Rolle. Was spielen Sie für eine Mandoline?
Tatsächlich hat Stradivari auch Mandolinen gebaut. Zwei Instrumente gibt es noch: eines in einem Museum in Amerika und eines in London. Für mein Vivaldi-Album hätte ich wirklich gern auf einer Stradivari-Mandoline gespielt und habe auch viel versucht, um an eine solche zu kommen; aber leider sind beide Instrumente nicht mehr in einem spielbaren Zustand. Ich verwende ein modernes Instrument, das der israelische Instrumentenbauer Arik Kerman für mich gefertigt hat. Ich habe ihn kennengelernt, als ich 14 Jahre alt war und ein Instrument für eine große Bühne finden wollte – und er war neugierig darauf, so eine Mandoline zu bauen, die einen reicheren Ton besitzt und viele Farben. Heute besitze ich mehrere Instrumente, aber ich spiele fast alles auf einer Mandoline von ihm, die er 1998 gebaut hat.
Was fasziniert Sie an der Mandoline?
Das Entdecken. Es gibt keinen vorgefundenen Weg, niemanden, den man kopieren könnte. Wäre ich Pianist oder Geiger, hätte ich die großen Vorbilder vor mir – mit der Mandoline muss ich meinen eigenen Weg erfinden. Sie zwingt mich, kreativ zu sein, und das mag ich sehr. Ich werde dabei oft selber von der Mandoline überrascht – ich gebe ja viele Werke in Auftrag, um das Repertoire zu erweitern, und manchmal bekomme ich etwas und denke: Das kann man nicht auf der Mandoline spielen. Doch dann versuche ich es eine halbe Stunde und merke: Wow, dieser Sound kann also auch produziert werden. Und ich fühle mich künstlerisch frei: Ich kann von originalen Werken zu Arrangements übergehen, Weltmusik spielen, Jazz oder Klezmer.
Dennoch müssen Sie mit dem Image des Exoten leben – haben Sie nie erwogen, auf ein „normales“ Instrument umzusteigen?
Als ich vierzehn war, bin ich zu meinem Lehrer gegangen und habe zu ihm gesagt: Ich höre auf mit der Mandoline, ich spiele lieber Schlagzeug. Das war in einer Zeit, als ich mich mehr für Rockmusik interessierte und auch auf einer E-Gitarre gespielt habe. Aber mein Lehrer war sehr klug und hat gesagt: Okay, spiele ruhig Schlagzeug, aber komm‘ weiter zum Unterricht. Das habe ich getan – und dabei dann gemerkt, wie sehr ich die Mandoline liebe.
Wo liegen Ihre musikalischen Wurzeln?
Die sind sehr vielfältig. Wer in den 80er Jahren in Israel aufgewachsen ist, gehört zur ersten Generation, die dort geboren worden ist. Fast alle Eltern meiner Freunde stammen woanders her, meine etwa aus Marokko, unsere Nachbaren waren aus dem Irak und Polen: Da lebst Du wirklich in einer Multikulti-Gesellschaft – und die ganze populäre israelische Musik ist eine Reaktion auf eben diese Mischung.
Angefangen zu musizieren haben Sie in einem Mandolinen-Orchester: Erinnern Sie sich noch an Ihre ersten Stücke?
Unser Lehrer hatte einen sehr erzieherischen Ansatz, und so hat er den 40 Kindern in diesem Orchester die ganze klassische Musik eröffnet. Wir haben jedes Jahr acht bis zehn Stücke erarbeitet, und es waren immer ein barockes, ein klassisches und ein romantisches Stück sowie Volkslieder aus verschiedenen Ländern dabei – Jahr für Jahr eine große Bandbreite von Genres. Ich habe so zuerst Bach und Mozart gespielt und ihre Musik kennengelernt: ein wirklich tolles Konzept.
Haben Sie noch Kontakt zu Ihren alten Mitspielern?
Mein erster Lehrer ist leider vor zehn Jahren gestorben – er war schon alt und ich einer seiner letzten Schüler. Aber das Orchester gibt es noch immer und wenn ich in Israel bin, versuche ich sie zu besuchen und mit ihnen zu spielen.
Musiker leben von Inspirationen – wo holen Sie sich Ihre her?
Ganz generell aus der Kunst, denn ich sehe keinen großen Unterschied zwischen Musik und anderen Künsten. Ich schaue mir Ausstellungen an oder eine Tanzshow, lese ein Buch und gehe ins Theater – und alles hat dieselbe Funktion: Es gibt mir spirituelle Nahrung – und eben das ist auch der Grund, warum wir Kunst konsumieren. Unterhaltung hingegen ist etwas anderes: Ein schöner Kinofilm kann Spaß machen, eine Fernsehshow toll sein – Kunst aber besitzt diese besondere, spirituelle Komponente.
Findet sich die auch in Berlin – oder warum haben Sie sich gerade die deutsche Hauptstadt als Wohnort ausgesucht?
Das hat mit der Phase zu tun, in der Berlin gerade steckt, denn seit gut zehn Jahren gibt es hier diesen künstlerischen Boom. In 100 Jahren werden die Menschen auf diese Zeit zurückblicken wie wir heute auf das Paris des beginnenden 20. Jahrhunderts schauen: Auf Montmartre, wo Renoir, Picasso und Satie alle in derselben Gegend lebten, sich alle in denselben Cafés trafen und sich gegenseitig inspirierten. Tanz, Theater, Literatur, Musik – all das hat seine Spuren hinterlassen in der Kunstgeschichte. Und das passiert jetzt auch in Berlin: Natürlich weiß man nicht, wie lange das anhält, aber so lange es andauert, möchte ich ein Teil davon sein.