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Bariton Michael Nagy im Interview

„Der Frack ist noch nicht gebügelt? Fantastisch!“

In seiner Freizeit fliegt Michael Nagy liebend gern in schwindelerregende Höhen. Und doch ist der Bariton erstaunlich geerdet

vonIrene Bazinger,

Michael Nagy ist ein vielseitiger Sänger und auf der Opern­bühne wie im Konzertsaal er­folgreich. Sein Repertoire reicht von Bach und Mozart bis zu Zimmermann, Dallapiccola und Reimann. Im Januar sang er in Franz Schrekers „Die Gezeichneten“ in der Inszenie­rung von Calixto Bieito an der Komischen Oper Berlin.

Herr Nagy, Sie haben ungarische Wurzeln, Ihren Namen spricht man „Noootsch“ aus. Pflegen Sie noch Verbindungen nach Ungarn?

Michael Nagy: Nein, gar nicht, die ganze Fa­milie väterlicherseits hat 1956 Ungarn verlassen und ist nach Deutschland gezogen.

Ihre Homepage ist nicht nur auf Deutsch und Englisch abgefasst, sondern auch auf Schwedisch, warum?

Michael Nagy: Das kommt daher, dass ich vor ein paar Jahren überlegt habe, Schweden zu meiner Wahlhei­mat zu machen. Ich mag das Land wahnsinnig gern und kenne dort sehr besondere Menschen. Aber meine Um­zugspläne scheiterten trotz EU an bürokratischen Hindernis­sen. Meine Verbundenheit zu Schweden allerdings ist wei­terhin groß.

Sie haben an der Hochschule für Musik und Darstellende Künste in Mannheim nicht nur Gesang studiert, sondern auch Dirigieren. Wie kam’s dazu?

Michael Nagy
Michael Nagy © Monika Höfler

Michael Nagy: So sehr ich das Dirigieren ge­mocht habe und immer noch mag, war es doch gewisserma­ßen aus der Not geboren. Ich wusste als junger Student ein­fach nicht, wie viel Eigeniniti­ative ich – auch über den Hoch­schulrahmen hinaus – aufbrin­gen müsste, damit aus mir et­was wird. Eine Vertretungs­pädagogin gab mir den hilfrei­chen Tritt in den Allerwertes­ten und lenkte mich zu Rudolf Piernay – für mich ein Glücks­fall! –, obwohl der anfangs nicht überzeugt davon war, dass es bei mir wirklich mit einer Sängerkarriere klappen würde. Also studierte ich parallel noch Dirigieren, als ernstzunehmende Alternative. Diese Ausbildung möchte ich nicht mehr missen.

Kommt es jetzt mit Ihren jeweiligen Dirigenten manchmal zu Auseinandersetzungen über musikalische Auffassungen?

Michael Nagy: Nein, das nicht, da sind die Kompetenzen schon eindeutig geklärt. Aber mit einem erfah­renen Dirigenten wie Stefan Soltesz, mit dem ich zuletzt an der Komischen Oper Berlin bei Schrekers „Die Gezeichneten“ gearbeitet habe, gab es hoch­ interessante Gespräche über die Musikpraxis in den letzten fünfzig Jahren und wie sich die Ausbildung verändert hat.

Wie schätzen Sie das ein, sind Sängerinnen und Sänger heute besser ausgebildet als vielleicht in der Zeit des Wirtschaftswunders?

Michael Nagy: Besser bestimmt nicht, aber anders! Die Anforderungen sind heute nämlich auf jeden Fall mehr auf Ökonomie und Effizienz ausgerichtet als frü­her. Außerdem ist Schnelligkeit ein wesentliches Kriterium geworden. Wir müssen uns in sehr kurzer Zeit neue Partien aneignen, weil überall richtig viel gespielt wird. Dazu kommt die selbstverständliche Mobilität, dass man also heute hier und morgen ganz woanders auftritt. Einmal erzählte mir ein Kollege von der Bayerischen Staatsoper, dass man dort seinerzeit rund zwei Jahre Vorbereitung eingeplant hat, wenn ein Sänger eine größere Wagner-Rolle einstudierte. Das erlaubte eine Art vegetatives Einsaugen der Partie, mit festen Ruhephasen, damit sich alles im Sänger verankern konnte. Diese Zeit der Aneignung und Anverwandlung hätten viele Sänger gern wieder, mich eingeschlossen.

Aber dann muss man anders planen und kann weniger oft auftreten, was als freier Künstler schwierig ist, oder?

Michael Nagy: Das ist das Dilemma. Und so muss halt jeder für sich den Konflikt zwischen Neugierde, Existenzsicherung und künstlerischer Vorbereitung lösen. Ich meinerseits bin sehr froh über die Balance zwischen meinen Opernauftritten, den Konzerten – und den kreativen Pausen.

Michael Nagy
Michael Nagy © Monika Höfler

Angesichts dessen müssen viele Dinge überlegt werden, wenn Sie sich für eine neue Rolle entscheiden. Wie wählen Sie diese aus?

Michael Nagy: Wichtig ist das Gesamtpaket, das hat mich die Erfahrung gelehrt. Wenn mir zum Beispiel ein Haus die Teilnahme an einer Neuproduktion anbietet und ich kann mit der Rolle, dem Dirigenten oder dem Regisseur wenig anfangen, sage ich nicht zu, auch wenn es eine hoch renommierte Bühne oder eine tolle Partie sein sollte. Denn in einem Umfeld, in dem man sich verstanden und gut aufgehoben fühlt, kann man viel freier und besser arbeiten. Dazu zählen selbst auf den ersten Blick läppische, auf den zweiten durchaus wesentliche Dinge: Zieht es auf der Probebühne? Wie sieht die Gesamtdisposition aus? Ich kann zwar unter Umständen an einem Tag vormittags eine Generalprobe und abends ein Konzert singen, doch ideal ist das nicht.

Was machen Sie am Tag eines Auftritts?

Michael Nagy: Ich versuche, alles möglichst alltäglich abzuwickeln. Die Grundspannung ist natürlich den ganzen Tag vorhanden. Zusätzliche Rituale würden sie nur unangenehm verstärken und meine Leistung am Abend beeinträchtigen. Was ich jedoch zum Beispiel vor Konzerten sehr gern zur Entspannung mache, ist bügeln. Der Frack ist noch nicht aufgebügelt? Fantastisch, dann lege ich los!

Und nach dem Auftritt geht es dann gleich ins Flugzeug?

Michael Nagy: 
Sie meinen, weil ich den Flugschein gemacht habe? Nein, nein, ich habe keine eigene Maschine wie der geschätzte Kollege Klaus Florian Vogt. Ich bin schließlich Bariton und kein Tenor (lacht). Aber ich liebe es zu fliegen und war glücklich, mir nach vielen Jahren diesen Traum erfüllen zu können. Wenn es meine Zeit erlaubt, miete ich mir ein Flugzeug und gehe in die Luft. Das verlangt ungeteilte Aufmerksamkeit und ist wunderbar, um sich von den beruflichen Herausforderungen abzulenken. Wenn man sich da nicht zu hundert Prozent fokussiert, kann man – platt gesagt – ganz schnell runterfallen. Also empfiehlt es sich, die Gedanken an alles andere daheim zu lassen und sich ins Fliegen wie in eine Meditation zu versenken.

Michael Nagy
Michael Nagy © Monika Höfler

Sie haben einmal gesagt, wenn Sie eine Aufnahme von sich hören, fänden Sie sich nie gut.

Michael Nagy: Oh ja, und diese Neigung zur Selbstkritik wird sogar immer stärker! Das ist mir wichtig, denn ich möchte mir ein Gefühl für das bewahren, was in einem bestimmten Moment einer Aufführung möglich gewesen wäre und ob ich das erreicht habe. Auch wenn es sonst niemand merkt, ärgere ich mich halt, wenn ich im Rückblick merke, ich war an einer Stelle etwas unkonzentriert oder mir ist aus unerklärlichen Gründen ein Ton verrutscht. Solche Gedanken zerschmettern mich nicht für alle Ewigkeit. Sie sind ein konstruktives Korrektiv. Schließlich hat man die Verpflichtung, das kritisch zu hinterfragen, was man Tag für Tag tut. Das hat nichts mit einem abstrakten Perfektionsanspruch zu tun. Der war nur eine Idée fixe meiner frühen Jugend, als ich dachte, in der Musik muss alles mathematisch exakt sein. Ich glaube, man muss auch Ausschuss produzieren dürfen, daran reift man. Nur Spitzenleistungen, das geht nicht, denn das Entscheidende in der Musik geschieht jenseits der Virtuosität. Das gilt für Sänger wie für Instrumentalisten.

Also ist Musik im Grunde das, was zwischen den Noten
steht?

Michael Nagy: Ja, dieser magische Raum, den wir Interpreten eingeladen sind, auf die herzlichstmögliche Art zu füllen. Ansonsten machen wir uns unglaubwürdig und austauschbar. Diese Idee von einem „Mehr“, von einem „Etwas“, das man nicht mit den Händen greifen und rational verstehen kann, ist für mich ein, wenn nicht das zentrale Thema des Lebens wie der Kunst.

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