Vor einem Auftritt in der Laeiszhalle empfängt Benjamin Grosvenor zum Interview hinter der Bühne. Unter dem strengen Blick eines Schubert-Porträts spricht der nonchalante britische Pianist über die unterschiedlichen Geisteshaltungen bei Kammermusik- und Soloabenden, neues Repertoire, die diffizile Wahl des richtigen Instruments und gutes Publikum.
Was macht den Reiz der Kammermusik für Sie aus?
Benjamin Grosvenor: Als Pianist verbringe ich viel Zeit alleine auf der Bühne, da ein Solorecital immer ein Monolog mit dem Publikum ist. Kammermusik bedeutet hingegen die pure Kommunikation mit anderen Musikern. Ich wachse dabei in der Kunst des Zuhörens, das Gespür für die Kollegen und die Koordination mit ihnen wird besser. Davon profitiere ich, wenn ich wieder ein Konzert mit Orchester spiele.
Wo fühlen Sie sich am wohlsten: Solorecital, Kammermusik oder Orchesterkonzert?
Grosvenor: Es geht nichts über den Nervenkitzel, gemeinsam mit einem Orchester diesen unglaublichen Klang zu erzeugen. Ein Solokonzert ist wie ein Marathon: körperlich, intellektuell und emotional sehr anspruchsvoll, man muss sich so viele Dinge merken. Das ist eine Herausforderung, ohne die ich nicht leben will und die ich wirklich genieße. Wenn in der Kammermusik die Chemie stimmt, fühlt man die Musik als eine Einheit und muss sich nicht abmühen, das ist wunderbar und manchmal auch leicht.
Sie haben mit Anfang dreißig bereits mehr als zehn Jahre internationale Bühnenerfahrung und hochgelobte Preise gewonnen. Wie bleiben Sie dabei bodenständig?
Grosvenor: Auszeichnungen freuen mich natürlich, sie sind aufregend, aber am Ende des Tages konzentriere ich mich auf das letzte und das nächste Konzert. Ich denke darüber nach, wie ich an diesem Abend besser spielen kann. Dafür lebe ich.
Sie sagten einmal, Ihre Inspiration käme eher von Pianisten aus der Generation eines Artur Schnabel oder György Cziffra denn von zeitgenössischen Kollegen.
Grosvenor: Oh, es gibt heutzutage ganz herausragende junge Pianisten! Dennoch glaube ich, dass wir viel von der alten Garde lernen können, wenn wir nur genau hinhören. Sie alle haben eine ganz eigene Ästhetik, sie machen nicht das, was ich tun würde. Die Liste an Pianisten, die ich bewundere, ist lang: Wilhelm Kempff, Arturo Benedetti Michaelangeli, Vladimir Horowitz, Alfred Cortot …
Wie studieren Sie neues Repertoire ein?
Grosvenor: Zunächst gilt es, technische Herausforderungen zu meistern und dabei nach und nach die Struktur des Stücks zu verinnerlichen. Ich lese viel über die Hintergründe des Komponisten, und letztlich hilft auch die Erfahrung, ein Werk in verschiedenen Sälen und vor unterschiedlichen Publiken aufzuführen. Es ist schwierig, nicht neugierig auf die Interpretation der Kollegen zu sein, aber das zögere ich lange hinaus. Ein Standardwerk wie eine Chopin-Ballade haben so viele Musiker aus so unterschiedlichen Blickwinkeln betrachtet, davon gibt es Aufnahmen aus mehr als hundert Jahren.
Was fasziniert Sie an der Romantik?
Grosvenor: Oh, es ist nicht so, dass ich diese Epoche bevorzugen würde, ich habe bisher nur viel aus ihr aufgenommen. Jeder Komponist ist so unterschiedlich, da will ich nicht allgemein werden. Aber mit Blick auf das Programm heute Abend: Frank Bridge wird unterschätzt, dabei hat er wunderschöne Melodien geschrieben, die es verdienten, öfter gespielt zu werden. Britten hat über sein Klavierquartett gesagt, es sei wie Brahms, glücklich gemischt mit Fauré.
Haben Sie Komponisten oder Werke auf Ihrem Wunschzettel?
Grosvenor: Viele sogar! Das ist ja das Schöne daran, Pianist zu sein: Das Repertoire ist riesig. Natürlich gibt es einige Beethoven-Sonaten, die ich einstudieren möchte, dazu noch mehr Bach. Aber wie es der Zufall so will, spielt man die Musik, die man meisten liebt, am wenigsten. Ich bewundere Debussy, habe aber fast nichts von ihm aufgeführt, im Gegensatz zu Ravels Werken. Und dann wären da noch all die fantastischen lebenden Komponisten. Von Brett Dean habe ich kürzlich ein Werk uraufgeführt.
Wie fühlt es sich an, als Interpret den Komponisten unmittelbar etwas fragen zu können?
Grosvenor: Großartig! Mit Brett habe ich früher schon zusammengearbeitet. Seine Einblicke sind unschätzbar wertvoll. Ich empfinde es als Privileg, ein Stück zum ersten Mal dem Publikum vorzustellen. Gemeinsam erleben wir etwas ganz Neues, das ist aufregend. Standardrepertoire ist stets mit einer Reihe an Traditionen behaftet, und jeder Zuhörer hat womöglich eine bestimmte Interpretation im Kopf.
Was zeichnet denn ein gutes Publikum aus?
Grosvenor: Die Qualität des Zuhörens lässt bisweilen Rückschlüsse auf das Publikum zu. Das hat etwas mit Ruhe und Aufmerksamkeit zu tun. Als Musiker gehen wir auf die Bühne und vollbringen unglaublich Schwieriges aber auch Großartiges. Das macht uns bis ins Mark verletzlich. Wenn ein Publikum am Ende mit Begeisterung darauf reagiert, wird mir warm ums Herz.
Bevorzugen Sie einen bestimmten Klavierbauer?
Grosvenor: Puh, alle großen Marken haben ihre Vorzüge. Es gibt ganz hervorragende Bechsteins und Faziolis, die neueren Bösendorfer haben einen ausgefeilteres Klangbild als früher und Yamahas Stärke liegt im kontinuierlichen Experimentieren. Am Ende schätze ich die besten Steinways. Ihre über hundert Jahre gewachsene Präsenz auf den Bühnen kommt nicht von ungefähr.
Was erwarten Sie vom Instrument im Konzertsaal?
Grosvenor: Da ich sehr unterschiedliches Repertoire spiele, brauche ich einen Flügel, der mir dynamisch eine riesige Bandbreite ermöglicht, mit einem komplexen Pedal, das feinste Subtilitäten zulässt und etwas zum Sound, den ich erzielen will, beiträgt. Der Klang muss funkeln können. Aber letztlich brauche ich ein Instrument, das zu den besonderen Gegebenheiten des jeweiligen Saals passt und passionierte Techniker.
Gehen Sie gerne ins Konzert?
Grosvenor: Absolut! Wenn ich mit einem Orchester auftrete, höre ich mir die zweite Hälfte des Abends immer im Saal an. Ich gehe gerne zur Kammermusik, aber das ist angesichts meiner vielen Reisen schwierig. Ich schätze zwar auch Musik jenseits der Klassik, aber höre nicht aktiv zu. Vielleicht weil sie überall zu hören ist. Als Teenager habe ich die Songs von Queen geliebt.
Haben Sie vor Aufritten eine bestimmte Routine?
Grosvenor: Vor einem Soloabend brauche ich einen Rückzugsort, an dem ich ungestört an das denken kann, was ich gleich auf der Bühne machen werde. Immerhin bin ich auf mich allein gestellt und muss ganz präsent sein. Doch generell versuche ich, kein bestimmtes Ritual zu haben, denn wenn das mal nicht funktioniert, käme zusätzlicher Stress auf.
Gibt es auch mal Tage ohne Klavier für Sie?
Grosvenor: Ich versuche, einmal im Jahr eine Woche im Urlaub nicht zu spielen. Das ist wichtig zur Regeneration, und um schlechten Gewohnheiten vorzubeugen.
Sie sollen eine Vorliebe für Yoga und Monty Python haben.
Grosvenor: Die Yoga-Geschichte hat nicht lange angehalten, aber Monty Python liebe ich immer noch. Ich habe all ihre Sketche gesehen. Bei guter Comedy kann ich wunderbar abschalten, zum Beispiel mit den Nummern von Stephen Fry und Hugh Laurie.