Alexander, wie kam die Idee zustande, einen Pop-up-Store in der Fußgängerstraße zu eröffnen?
Alexander Hollensteiner: Wir haben im letzten Jahr erfahren, dass zufällige Begegnungen etwas Schönes sein können. Im Rahmen unserer Reihe „KAPmobil“ sind wir mit Duos und Trios ausgeschwärmt und haben auf Spielplätzen, Flächen von Wohnungsbaugenossenschaften oder der Stadt über hundert Konzerte gegeben. Dabei trafen wir auf Leuten, die wahrscheinlich nie in unsere Konzerte im Nikolaisaal gekommen wären und die klassische Musik und Kultur gar nicht auf dem Schirm haben. Aus dieser Idee heraus ist der Gedanke entstanden, den Schritt Richtung Publikum noch entschiedener zu gehen. Dann habe ich zwei Eigentümer gefunden, die uns ihren leerstehenden Laden in der Brandenburger Straße 19 für die Monate Juni, Juli und August zur Miete zur Verfügung gestellt haben.
Wie präsentiert sich die Kammerakademie Potsdam in diesem Laden?
Hollensteiner: Wir präsentieren eine Art „Orchestra in a Nutshell“ mit Angeboten für Leute, die uns kennen und wiedertreffen möchten, aber auch für Menschen, die uns nicht kennen. So haben wir in der Corona-Zeit ein Virtual-Reality-Projekt produziert, mit dem wir das auratische Erlebnis eines Konzertbesuchs mit technischen Mitteln zu realisieren versuchen. Für REFLECT haben wir eine künstliche Intelligenz programmiert, die zuerst von den Musikern lernt und dann danach auf das Spiel der Musiker reagiert. Wenn man mit VR-Brille und Kopfhörern der 20-minütigen Performance beiwohnt und sich im Raum dreht, ändern sich Bild und Ton entsprechend. Außerdem präsentieren wir auf zwei iPads unsere Audio- und Videoaufnahmen.
Gibt es auch ein Angebot für Kinder?
Hollensteiner: Wir haben die Bastelelemente aus unseren Education-Projekten ausgekoppelt, in denen wir aus Naturmaterialien Rasseln, Flöten oder andere Instrumente bauen. So gibt es jede Woche eine andere Bastelstation. Zudem haben wir zwei Pappfiguren aufgestellt, hinter die sie sich Kinder stellen und als Bassist oder Geiger fotografieren lassen können.
Gibt es auch Live-Musik vor Ort?
Hollensteiner: Ja, fast jeden zweiten Tag bieten wir kleine Konzerte mit Musikern des Orchesters an, die im Duo, Trio oder Quartett spielen.
Mussten die Musiker ihren Sommerurlaub zurückbuchen, um im Store präsent zu sein?
Hollensteiner: Nein. Da wir die „KAPmobil“-Reihe in diesem Sommer in Potsdam fortführen, sind von den knapp 35 Kolleginnen und Kollegen der Kammerakademie sowieso immer welche vor Ort.
Wie groß ist der Laden?
Hollensteiner: Er hat drei hintereinanderliegende Räume. Wir bespielen aber nur den vorderen Teil, so dass momentan vier Leute mit Corona-Abstand eingelassen werden können. Unsere Musiker stellen sich deshalb bei Konzerten oft in die Tür oder ganz nach draußen. Später können die Leute dann nach und nach den Laden betreten, der dienstags bis samstags jeweils von 14 bis 19 Uhr geöffnet hat.
Wird im KAPladen auch etwas verkauft?
Hollensteiner: Wir haben uns dagegen entschieden, bitten allerdings um eine freiwillige Spende. Damit haben wir in der Corona-Zeit gute Erfahrungen gemacht. Wir möchten Kunst und Kultur nicht einfach verschenken, sondern darauf hinweisen, dass sie einen Wert haben.
Werden die positiven Erfahrungen dazu führen, dass Projekte wie „KAPmobil“ und der Pop-up-Store auch über Corona hinaus angeboten werden?
Hollensteiner: Diese Wege wollen wir weiterbeschreiten, denn unsere Aufgabe ist es, Menschen zu erzählen, dass es uns gibt und dass unsere Musik etwas Schönes, Anregendes und Spannendes ist. Der Reiz des Stores liegt aber ganz klar im Temporären und in der Überraschung. Nicht aus jedem Projekt muss gleich eine Institution werden. Aber wir werden immer wieder neu überlegen, wie wir unser Publikum erreichen wollen.
In welche Richtung zielen denn die neusten Überlegungen?
Hollensteiner: Wir wollen sehr viel aktiver in den Kiezen, in den Quartieren und Nachbarschaften spielen, wo das Publikum sehr divers ist: von sehr arm bis sehr reich, von sehr links-alternativ bis sehr bürgerlich. In Potsdam kommen wie unter einem Brennglas viele Gegensätze zusammen. Unser Selbstverständnis besteht darin, Menschen über Musik zusammenzubringen. Wir haben auch eine Partnerschule in einem Brennpunktviertel mit viel Kinderarmut und arbeiten mit den Sozialträgern zusammen. Schon vor Corona war das ein Thema bei uns, aber die Pandemie hat uns noch stärker dafür sensibilisiert.