Glückwunsch, Herr Hänssler. Nicht nur Sie als Person haben etwas zu feiern, hänssler CLASSIC blickt auf viele erfolgreiche Jahre zurück. Wie ist der Stand der Dinge?
Günter Hänssler: Viele meiner Kollegen klagen über die Rückgänge bei der Nachfrage von physischen Produkten. Dieser Bereich ist bei uns relativ stabil, das digitale Geschäft entwickelt sich natürlich. Nach wie vor interessieren sich viele Menschen für klassische Musik und erkennen, dass es ein Privileg ist, den Schatz von Jahrhunderten hören zu dürfen.
Der Tonträger-Markt verändert sich ständig. Ist die Digitalisierung eine Chance oder birgt sie eher Gefahren?
Hänssler: Wir nutzen sie als Chance, aber die Bedingungen haben sich geändert. Laut der Pareto-Regel mache ich mit zwanzig Prozent der Künstler achtzig Prozent Umsatz. Das Verhältnis ändert sich im digitalen Bereich, da sind nur zehn Prozent für neunzig Prozent des Umsatzes verantwortlich. Es wird vor allem für die Künstlerinnen und Künstler anstrengender, vorne mitzuschwimmen. Ich sehe vor allem die Gefahr, dass Streaming-Dienste großen Einfluss bekommen, was auf die Playlisten gelangt. Die KI wird natürlich keine Matthäus-Passion komponieren. Doch wenn irgendwann einmal KI-generierte Musik in Playlisten nach oben gespült würde, wäre das katastrophal.
Sie sind in Ihre Tätigkeit über die verlegerische Tätigkeit Ihres Elternhauses hineingewachsen. Aus welchen Quellen können Sie schöpfen?
Hänssler: Ich habe viel mitbekommen! Allem voran den Namen, der schon durch meinen Großvater in die Musikbranche eingeführt und von meinem Vater weiterentwickelt wurde. Somit bin ich Namensträger und Markenzeichen, das macht es leichter, identifizierbar zu sein. Allerdings gibt es ja keine ungebrochene Erfolgsgeschichte von hänssler CLASSIC. Wenn man nur Höhen gesehen hat, fehlt einem ja auch das gesamte Bild. Ich habe bewiesen, dass ich auch Täler durchschreiten kann. Besonders wichtig – und auch ein Geschenk meiner Vergangenheit – ist eine intensive Beziehung zu unseren Künstlerinnen und Künstlern. Letztlich ist das ein wichtiger Baustein für den Erfolg eines Labels, weil nur mit einer feinfühligen Repertoire-Beratung erfolgreiche Alben entstehen können.
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Bei Ihnen ist immer Bach-Jahr – welche Projekte stehen außerdem noch an?
Hänssler: Tatsächlich stehen die Bach-Kantaten 1723 und 1724 mit Hans-Christoph Rademann im Fokus. Ihm gelingt ein wahnsinnig transparenter Chorklang, außerdem hat er die Stars der Alten Musik Szene im Orchester vereint. Auch noch nicht abgeschlossen ist der Bruckner-Zyklus von Gerd Schaller, der alle Fassungen dessen Sinfonien aufnehmen will. Hänssler / Profil plant eine Edition mit den Werken von Carl Philipp Emmanuel Bach auf 68 CDs, er war einer der begabten Bach-Söhne und seine Wertschätzung in Gänze, vor allem auf dem Plattenmarkt, steht noch aus.
Sehen Sie sich auch als Anwalt von Künstlern und Komponisten, die über das Live-Geschehen wenig Aufmerksamkeit bekommen, aber es aus Ihrer Sicht verdienen?
Hänssler: Ja, wir empfinden eine große Verpflichtung gegenüber Neuer Musik, auch wenn das „Kassengift“ ist, also wirtschaftlich nicht interessant. Wir arbeiteten mit Tan Dun, Sofia Gubaidulina und Wolfgang Rihm, um nur einige zu nennen. Die letzten Töne, die Alfred Schnittke komponiert hat, hat er für uns geschrieben. Allerdings weiß ich aus der Musikgeschichte, dass es manchmal etwas dauert, bis man sich für bisher verschmähte Musik begeistert. Wir präsentieren auch überdurchschnittlich viele Komponistinnen.
Was treibt Sie sonst noch um, außer Künstlern eine Plattform zu geben und klassische Musik in höchster Qualität zu verbreiten? Sie leisten sich soziales Engagement…
Hänssler: Wenn es einem gut geht, sollte man sich für diejenigen einsetzen, die nicht so gute Startbedingungen hatten. Zusammen mit meiner Frau, die Ärztin ist, unterstütze ich Schulen in Indien und Bangladesch. Da geht es konkret um die Verbesserung von Bildungschancen. Musik möchte ich dort nicht vermitteln. Es erdet mich, wenn ich sechs Stunden auf Feldwegen an Slums vorbeifahre oder Kastenlose auf der Verkehrsinsel leben sehe. Auf mich wartet hier in Stuttgart immer viel Arbeit. Doch wenn man dort ist, wird man auf anderer Ebene beschenkt. Mir geht das Herz auf, wenn ich erfahre, dass einige „unserer” Schulabgänger Karriere machen konnten.