Was hat Sie bewogen, sich beim Klavier-Festival Ruhr als neue Intendantin zu bewerben?
Katrin Zagrosek: Es gibt hier mehrere Aspekte, die man so schnell im deutschsprachigen Festival-Raum nicht nochmals findet: Die Bedeutung des Klavier-Festivals ragt weit über die lokalen Grenzen des Ruhrgebiets heraus, es wird international wahrgenommen. Dann hat mein Vorgänger Franz-Xaver Ohnesorg eine großartige, nachhaltig angelegte Education-Arbeit befördert, gerade auch in den Schulen. So ist es für mich ein Zusammenspiel verschiedener Faktoren. Großartige Künstlerinnen und Künstler hierher einzuladen und gleichzeitig über den Tag hinaus zu denken.
Damit haben Sie im Groben schon beschrieben, was Sie vorgefunden haben. Gibt es dennoch etwas, das Sie auch überrascht hat?
Zagrosek: Letztlich die Vielfalt. Oft wird ein Festival, und so ist es mir auch ergangen, vor allem über die „Stars“ wahrgenommen: Martha Argerich, Daniel Barenboim, Lang Lang etc. Doch im letzten Sommer habe ich dann gesehen: Hier gibt es beispielsweise auch ein Porträtkonzert York Höller, oder einen Schwerpunkt Lied mit jungen Sängerinnen und Sängern.
Nun hat Ohnesorg in einzelnen Fällen, wenn irgendwo ein Problem auftauchte, auch mal selbst zum Hörer gegriffen und eine Pianistin oder einen Pianisten direkt angerufen. Werden Sie das auch tun?
Zagrosek: Es gibt ja unterschiedliche Gründe, das zu tun. Es kann ein Konflikt sein oder eine kreative Frage. Grundsätzlich aber liebe ich die direkte Kommunikation. Eigentlich entstehen nur so neue, besondere Projekte, die das Festival ja letztlich ausmachen. In der Art und Intensität der Kommunikation möchte ich meinen eigenen Weg gehen.
Wie sind Sie im Ruhrgebiet aufgenommen worden?
Zagrosek: Sehr, sehr herzlich. Das gilt auch für die Sponsoren, denn das Klavier-Festival finanziert sich ausschließlich durch Einnahmen, Zuwendungen und Sponsorings, nicht durch Mittel der öffentlichen Hand. Da ist es wichtig, dass die Verbindung zu den Menschen, die sich für das Festival engagieren, nicht abreißt.Dabei spielt die tägliche Bildungsarbeit eine ganz wichtige Rolle, auch über kurzfristige Krisen hinweg.
Worauf darf sich das Publikum künftig einstellen?
Zagrosek: Weiterhin werden die „lebenden Legenden“ wie Evgeny Kissin oder Krystian Zimerman, um nur zwei zu nennen, hier regelmäßig zu hören sein. Etwas stärker in den Fokus geraten einige Pianistinnen und Pianisten der mittleren Generation, die vielleicht bislang etwas „unter dem Radar gelaufen“ sind, wie Leif Ove Andsnes oder Kirill Gerstein. Im Jazz sind in diesem Jahr ausschließlich neue Namen dabei. Grundsätzlich möchte ich nicht nur ein Füllhorn an Prominenz anbieten, sondern vermehrt Schwerpunkte setzen: So ist Kirill Gerstein in diesem Jahr unser Porträtkünstler und tritt in drei denkbar unterschiedlichen Veranstaltungen auf. Das verstehe ich als Angebot an das Publikum, um eine größere Nahbarkeit zu einzelnen Künstlern zu entwickeln. Auch die Verzahnung von international anerkannten Künstlern mit Menschen aus dem direkten Umfeld des Ruhrgebiets kann zu lohnenden Kooperationen führen.
Ist das eine Möglichkeit, finanzielle Ressourcen zu optimieren, wenn Künstler für längere Zeit am selben Ort bleiben?
Zagrosek: Da bin ich mir nicht sicher. Wenn ich dem Publikum einen Künstler mehrfach mit verschiedenen Konzerten anbiete, muss ich ja gleichzeitig mehr Interesse für denselben Künstler wecken. Solange ich jeden Tag ein anderes Angebot habe, kann ich jeden Tag eine andere Zielgruppe gewinnen. Es gehört schon ein gewisser unternehmerischer Mut dazu, jetzt hier solche Residenzen zu machen.
Nähe zu einer Künstlerin, einem Künstler herzustellen – kann das auch über neue Formate gelingen?
Zagrosek: Das spüre ich stark auf Seiten der Musikerinnen und Musiker, besonders seit der Pandemie. Ich stelle vermehrt fest, ohne es selbst zu forcieren, dass sie selbst Gedanken formulieren, wie man in eine intensivere Interaktion mit dem Publikum treten kann. Der direkte Austausch, auf und abseits der Bühne, ist dabei von ganz zentraler Bedeutung.