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Blickwinkel: Bettina Schimmer

„Das wird uns noch mindestens die nächsten drei, vier Jahre belasten“

Bettina Schimmer, Gründerin und Geschäftsführerin von Schimmer PR, erläutert, warum es gerade junge Künstler durch das Auftrittsverbot so schwer haben.

vonSusanne Bánhidai,

Schimmer PR vertritt sehr viele junge Künstler, wie ist es dazu gekommen?

Bettina Schimmer: Da muss ich ein wenig ausholen. 2008 sind wir mit Markus Stenz und dem Gürzenich-Orchester gestartet, schnell kamen Alban Gerhardt und das Bergen Philharmonic hinzu. Ungefähr vier Jahre nach der Gründung dann der erste junge Künstler: Alexej Gorlatch, der gerade den ARD-Musikwettbewerb gewonnen hatte. Es brauchte zunächst eine gute Basis an Kunden, um sich den Jüngeren widmen zu können, denn man kann nicht dieselben Honorare ansetzen, das ist ja klar. Wir haben schon früh für Wettbewerbe gearbeitet und die Preisträger betreut wie beim Honens International Piano Competition. Das Schumann Quartett ist seit 2014 bei uns, wir haben die erste CD-Veröffentlichung mit der neu hinzugekommenen Bratschistin Liisa Randalu medial unterstützt, und schon für die vier gearbeitet, bevor das Impresariat Simmenauer sie aufgenommen hatte. Das Quartett hatte bereits unter anderem den Wettbewerb in Bordeaux gewonnen, aber es musste sich in dem doch ziemlich hart umkämpften Markt der ersten Streichquartettriege Stück für Stück einen Platz erarbeiten. Das haben wir mit unserer Arbeit begleitet. 2017 folgte dann Simon Höfele, ein Jahr nach dem 1. Preis beim Deutschen Musikwettbewerb. Seine Agentur freitag artists ist an uns herangetreten und wir haben ihn dann mit ihnen gemeinsam aufgebaut. Die ersten Jahre mit jungen Künstlern sind sehr intensiv, denn man muss viel Aufbauarbeit leisten und wieder und wieder Redaktionen und Journalisten auf sie aufmerksam machen. Es ist aber auch unglaublich lohnend.

Was für Hürden müssen junge Künstler denn allgemein im Musikgeschäft nehmen?

Schimmer: Ein guter Weg um herauszustechen ist nach wie vor die Wettbewerbsteilnahme. Junge Künstler haben zunächst vor allem das Instrument beziehungsweise die Stimme im Blick. Keine professionellen Fotos, keine ordentlich geschriebene Biografie, keine Website und so weiter. Gelingt es, erfolgreich bei einem Wettbewerb auf sich aufmerksam zu machen, kann dann eins ums andere folgen. Idealerweise findet man dann ein Management, das gemeinsam mit einer PR-Agentur das künstlerische Profil aufbaut und dies professionell sichtbar macht mithilfe des üblichen Marketing-Instrumentariums. Die Medienarbeit führt zu einer verstärkten Wahrnehmung in der Presse. Gemeinsam macht man sich dann auf die Suche nach einem Label, falls das in dem Wettbewerbspaket noch nicht mit enthalten ist.

Wie helfen PR-Agenturen dabei?

Schimmer: Wir verstehen uns als Botschafter unserer Künstler und Projekte. Wir wollen nichts künstlich überstülpen, das finde ich gerade bei den Jungen sehr wichtig. Es geht darum, den Kern der Persönlichkeit zu erkennen, zu destillieren, das Markante und Besondere zu betonen. Wir schauen uns alles um den Künstler herum an, den Auftritt, die Konzertkleidung, auch das Entgegennehmen des Applauses. Das sagt unheimlich viel aus, wird zusätzlich zur Kunstfertigkeit wahrgenommen. Sich in der Nische Klassik zu etablieren braucht schon einen langen Atem. Jeder Musiker bringt da unterschiedlichste Voraussetzungen mit, und dann muss man als PR-Agentur damit arbeiten. Das ist ein sehr schöner Prozess. Mir ist sensibles Gespür sehr wichtig im Umgang mit den Jungen.

Warum ist es mit den Corona Einschränkungen besonders schwer für junge Künstler?

Schimmer: Fast ein ganzes Jahr reguläre Konzerttätigkeit ist schon verloren, denn der Klassik-Markt ist international, und in Asien kamen schon früh in diesem Jahr die ersten Absagen. Und es ist leider nicht absehbar, wie lange es noch dauert, bis unsere Branche wieder gesichert planen kann. Das ist nicht nur finanziell teils ein echtes Desaster für Musiker. Auch die künstlerische Entwicklung und die Erfahrung, möglichst viel vor Publikum zu spielen, wird ausgebremst. Wer am Ende seines Studiums ist und mit seiner Musik seinen Lebensunterhalt verdienen will, kann jetzt nur unter äußerst erschwerten Bedingungen anfangen. Das betrifft nicht nur angehende Solokünstler, sondern ebenso Orchestermusiker, die sich über ein Vorspiel eine Stelle ergattern müssen.

Klarinettist Pablo Barragán war während des ersten Lockdowns online zu erleben
Klarinettist Pablo Barragán war während des ersten Lockdowns online zu erleben

Zudem ist Musizieren im Kern auf Nähe ausgerichtet, ist gemeinsames Atmen. All das ist beinahe unmöglich in dieser Zeit. Gerade die jüngeren Musiker sind mit viel Verve und Aktivität durch den ersten Lockdown gekommen, haben sich teils digital „gefunden“. Wir haben zum Beispiel unsere Künstler miteinander vernetzt, und so haben sich neue Kammermusikkonstellationen ergeben, etwa zwischen den Danae und Kiveli Dörken und Pablo Barragán. Viel Energie wurde in Hygienekonzepte gesteckt und in neue Formate. Benedict Kloeckner hat sein Festival kurzerhand umstrukturiert und fast alle Konzerte unter freiem Himmel veranstaltet. Der zweite sogenannte Lockdown „light“ hat sie nun wieder vor die Wand fahren lassen. Frühjahrsprojekte waren auf November und Dezember verschoben. Es kostet viel Zeit und Organisation, nun wiederholt neue Termine zu finden. Zudem haben die Jungen in der Regel keine feste Einnahmequelle durch Lehrtätigkeit. Wer eine Professur hat, steht natürlich ganz anders da.

Wie ist die Lage für Künstler- und PR-Agenturen?

Schimmer: Beim ersten Lockdown ging den großen, auch internationalen Künstler-Agenturen recht schnell die Luft aus, weil sie sehr hohe Fixkosten haben und vom Provisionsgeschäft leben. Ohne Kurzarbeit wären wohl viel mehr Agenturen in den Bankrott getrieben worden. Unsere PR-Branche hat es etwas später getroffen. Spätestens zur neuen Saison wurde klar, dass alle Künstler, Orchester und Opernhäuser wesentlich vorsichtiger kalkulieren müssen. Das hat für unsere Arbeit Konsequenzen. Durch die erneute Schließung des Konzertbetriebs und die Stornierung von Tourneeprojekten auch jetzt schon für Februar ist es wirklich schwer, das kommende Jahr zu budgetieren. Wir fahren also weiterhin auf Sicht so gut es geht.

Was wünschen Sie sich von der Politik?

Schimmer: Im internationalen Vergleich sind wir in Deutschland, was die Hilfen angeht, schon sehr gut aufgehoben. Ohne die vielen Förderungen würde es ein sehr direktes, sehr viel schnelleres kulturelles Sterben geben. Manche Maßnahmen sind aber auch äußerst kompliziert und variieren zudem je nach Bundesland. Mir ist bewusst, dass es ein echtes Bemühen gibt. Ich wünsche mir von der Politik dennoch mehr Ehrlichkeit und Transparenz. Denn für die Kultur ist es kein Lockdown light! Konzerte und Opernproduktionen kann man nicht von einem Tag auf den anderen an- und abstellen. Die Planungen sind langfristiger, die Disposition komplexer. Ein oder zwei Monate Lockdown wirbeln Künstlerkalender womöglich für Jahre durcheinander.

Und machen wir uns nichts vor: Das viele Geld, welches für die Corona-Hilfen bereitgestellt wird, muss ja irgendwo herkommen. Das wird uns noch mindestens die nächsten drei, vier Jahre belasten. Denn schon jetzt gibt es in den Kommunen Haushaltssperren und -kürzungen. Bamberg hat im Oktober eine Kürzung des Kulturetats von 25 Prozent angekündigt. Solche Meldungen werden wir wohl noch öfter hören. Das Budget für die „freiwillige“ Leistung Kultur wird oft zuerst beschnitten. Die aktuelle Lage ist eine Herausforderung, mit der wir möglichst optimistisch und kreativ umgehen sollten. Genau das hat unsere Branche auch getan. Dass das nicht ausgereicht haben soll, um kulturelles Leben stattfinden zu lassen, ist bitter.

Und wie geht es weiter? Wie sieht 2021 aus?

Schimmer: Zunächst noch ziemlich vernebelt. Aber ich glaube ganz generell an die Robustheit der Kunstform Musik und im Besonderen der Klassik. Ich schätze, dass es mit dem Frühjahr, dem wärmeren Wetter und den Impfungen einen sich normalisierenden Klassikbetrieb spätestens ab der kommenden Saison geben wird. Zumindest wird er wieder planbarer. 2021 wird hoffentlich insgesamt ein freundlicheres Jahr mit möglichst vielen, wieder unbefangeneren Konzerterlebnissen.

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