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Blickwinkel: Burkhard Bastuck

„Zurzeit versucht jeder Künstler, sich ins Bewusstsein des Publikums zu bringen“

Auch der Internationale Dirigentenwettbewerb Sir Georg Solti in Frankfurt musste sich den aktuellen Hygienebestimmungen anpassen. Wettbewerbsleiter Burkhard Bastuck erzählt, wie der Wettwerb trotz Krise stattfinden kann.

vonIrem Çatı,

Wie findet der Wettbewerb in diesem Jahr statt?

Burkhard Bastuck: Der Solti-Wettbewerb besteht aus drei Runden: der Vorrunde, dem Halbfinale und dem Finale. Die ersten beiden Runden im hr-Sendesaal mit dem hr-Sinfonieorchester sind kaum von der derzeitigen Ausnahmesituation betroffen, da sie nicht öffentlich sind und wir eine kleine Besetzung haben, denn wir müssen das Orchester für den ganzen Tag ja teilen. Das öffentliche Finalkonzert in der Alten Oper hingegen ist sehr stark von der neuen Situation betroffen: Traditionell sieht es so aus, dass die drei Finalisten insgesamt sechs Werke präsentieren, nämlich jeweils ein zugelostes und ein gemeinsames, von jedem dirigiertes Werk. Darauf folgt eine Pause, in der der Publikumspreis ausgewertet wird und sich die Jury berät. Danach werden die Preise verkündet und auf der Bühne überreicht und es gibt ein Siegerstück. Insgesamt dauerte der Ablauf immer ungefähr drei Stunden. Nach dem Hygienekonzept der Alten Oper haben wir das Format in diesem Jahr so abgeändert, dass es zwei 60-minütige Konzerte geben wird mit einer 90-minütigen Pause, in der der Saal gereinigt werden kann. Im ersten Wettbewerbskonzert werden die drei Finalisten mit dem Frankfurter Opern- und Museumsorchester jeweils einen Satz aus Beethovens siebter Sinfonie dirigieren. Im zweiten Preisträgerkonzert werden die Preise sowie der Publikumspreis überreicht und dirigiert jeder Preisträger ein vorher zugelostes Werk, und der Gewinner dirigiert das Preisträgerstück.

Was ist noch anders?

Bastuck: In der Alten Oper ist auch die Größe des Orchesters auf der Bühne begrenzt. Das Frankfurter Opern- und Museumsorchester, das das Finale bestreitet spielt mit 38 Musikern. Deswegen können wir auch nur mit dieser Besetzung auf die Bühne der Alten Oper. Dadurch können wir groß besetze Werke, wie sie für das Finalkonzert vorgesehen waren, nicht verwirklichen. Beethovens siebte Sinfonie war eigentlich für das Halbfinale geplant. Die drei Finalisten sollten dann drei Beethoven-Ouvertüren sowie die erste Suite aus Ravels „Daphnis et Chloë“ präsentieren. Ravel ist viel zu große besetzt. Es wird aber noch verrückter: Die Beethoven-Ouvertüren, die wir ausgesucht hatten, haben alle vier Hörner und Posaunen. Die Finalbesetzung des Museumsorchesters beinhaltet aber keine Posaunen, deswegen mussten wir zwei Ouvertüren austauschen. Ich kann Ihnen jetzt fast alle klassischen und romantischen Ouvertüren aufsagen, die keine Posaunen haben (lacht).

Sind Sie zufrieden mit dem Alternativ-Programm?

Bastuck: Ich finde, wir haben das gut gelöst. Mir war immer wichtig, dass der Wettbewerb auf jeden Fall stattfindet. Er ist immer ein Highlight im Konzertkalender gewesen und ein Leuchtturm der Frankfurter Kultur. Deswegen mussten wir das Beste daraus machen und das Format an die Möglichkeiten anpassen, die im Moment gegeben sind.

Nach welchen Kriterien wählen Sie die Finalisten aus?

Bastuck: In der Auswahlphase haben wir zunächst die Bewerbungen eingesammelt und gesichtet. Es waren insgesamt 437 Bewerbungen aus 56 Ländern – so viele wie seit zehn Jahren nicht mehr! Danach mussten wir diejenigen herausfiltern, die wir zum eigentlichem Wettbewerb nach Frankfurt einladen. In dieser ersten Phase haben wir sehr genau auf die Leistung geachtet, aber auch darauf geschaut, aus welchen Ländern die Bewerber kommen. Uns war klar, dass Bewerber aus China, den USA oder Venezuela Probleme bei der Einreise haben könnten. Deswegen haben wir dreizehn statt zehn Bewerber eingeladen, weil uns klar war, dass einige nicht kommen können. Übrigens hätte ich mir insgesamt eine höhere Frauenquote unter den Bewerbern gewünscht. Unter den Bewerbungen waren es nur 59, genau dieselbe Quote wie beim letzten Wettbewerb. Momentan haben die Karrieren vieler jungen Dirigentinnen so an Fahrt aufgenommen, dass ich gehofft hatte, dass deren Vorbildfunktion stark genug ist, um den Nachwuchs zu motivieren. Deswegen würden wir uns wirklich über mehr Bewerberinnen beim nächsten Mal freuen.

Valentin Uryupin, Gewinner des Internationalen Dirigentenwettbewerbs Sir Georg Solti 2017, mit Lady Valerie Solti
Valentin Uryupin, Gewinner des Internationalen Dirigentenwettbewerbs Sir Georg Solti 2017, mit Lady Valerie Solti

Gab es einen Moment, in dem der Wettbewerb auf der Kippe stand?

Bastuck: Nein, der Wettbewerb stand nie auf der Kippe. Als die Ausschreibung im Januar veröffentlicht wurde und die ersten Bewerbungen bei uns eingetroffen sind, hat auch noch niemand über Begrenzungen im Herbst nachgedacht. Als dann die Corona-Krise hereinbrach, war die Tür schon geöffnet. Wir haben den Verlauf aber im Blick behalten und den Bewerbern, die wir eingeladen haben, gesagt, dass nichts gesichert ist und wir sie auf dem Laufenden halten. Als das Hygienekonzept der Alten Oper im Juli feststand, haben wir uns sofort überlegt, wie wir den Wettbewerb daran anpassen können.

Wie wichtig sind Wettbewerbe für junge Dirigenten?

Bastuck: Es gibt sicherlich verschiedene Wege, eine Karriere aufzubauen. Manche beginnen immer noch als GMD an einem kleineren Haus. Aber Wettbewerbe sind nach wie vor sehr beliebt, um sich ins Rampenlicht zu dirigieren. Wir sehen das bei Preisträgern der früheren Jahre, die wir später noch einmal einladen, dass ein Preis im Solti-Wettbewerb immer noch als ein ganz wichtiger Meilenstein im Lebenslauf steht.

Wie wichtig sind Wettbewerbe ganz allgemein derzeit?

Bastuck: Zurzeit versucht jeder Künstler, sich ins Bewusstsein des Publikums zu bringen, denn die Auftrittsmöglichkeiten sind so begrenzt. Leider haben die Musiker auch mehr Zeit und können sich besser auf Wettbewerbe vorbereiten. Und man braucht auch immer ein Ziel, auf das man hinarbeiten kann. Es ist wichtig, sich vorzubereiten und etwas zu einem bestimmten Zeitpunkt fertig zu haben. Ich glaube, das sind Gründe, die zu der großen Anzahl an Bewerbungen beigetragen haben.

Worauf achtet die Jury bei den Finalisten?

Bastuck: Wir haben uns einen Kriterienkatalog aufgeschrieben. Das ist keine mathematische Bewertungsliste, aber wir wollten uns bewusst machen, nach welchen Kriterien wir arbeiten. Besonders wichtig sind uns die Schlag- und die musikalische Technik, künstlerische Qualität, Kommunikationsfähigkeit und Autorität, Probentechnik und letztlich die Ausstrahlung und Gesamtwirkung, das was man „Charisma“ nennt.

Wofür steht der Georg Solti-Wettbewerb?

Bastuck: Wir wollen Potenzial für eine Karriere als großer Künstler entdecken. Bei uns ist die Durchführung des Wettbewerbs in besonderer Weise professionell und attraktiv, da wir zwei hervorragende Sinfonieorchester haben – das hr-Sinfonieorchester und das Frankfurter Opern- und Museumsorchester –, die von der ersten Runde an dabei sind. Was den Wettbewerb außerdem auszeichnet, ist die Einbeziehung des Publikums und dass wir das Finale als öffentliches Konzert gestalten. Das ist immer eine schöne Erfahrung für die Teilnehmer und das Publikum. Deswegen wünsche ich mir auch in diesem Jahr, dass das Publikum zahlreich erscheint und mit unseren Finalisten mitfiebert. Dieses Format ist immer ein besonderes musikalisches Erlebnis.

concerti-Tipp:

Internationaler Dirigentenwettbewerb Sir Georg Solti
7. – 11. Oktober 2020
Alte Oper

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