Frau Milliken, in „Night Shift – The Rehearsal“ soll das Publikum zum Akteur werden. Die Produktion wird in London und Berlin gezeigt – werden dies dann zwei völlig verschiedene Konzepte? Schließlich hat jede Stadt ihr eigenes Publikum mit ganz individuellen Eigenheiten.
Cathy Milliken: Die bestimmenden Themen lehnen sich in beiden Städten an Shakespeares „Mittsommernachtstraum“ an, auch Mauern sind ein zentrales Thema. Dazu hat jede Stadt ihren individuellen Zugang. Es gibt unsere eigenen Mauern, es gibt Mauern innerhalb einer Beziehung, es gibt politische oder geografische Mauern – oder auch die Berliner Mauer, das kann man in dieser Stadt natürlich nicht verschweigen. Imagination und Traum spielen auch eine große Rolle an diesem Abend, gerade weil das Publikum ja auch aktiv teilnehmen soll an den Vorstellungen. Es wird also auch um die Lust am Klang und das Mitspielen gehen – das ist dann universell und nicht mehr stadtspezifisch.
Warum haben Sie sich eigentlich für den „Sommernachtstraum“ als zentrale Vorlage für „Night Shift“ entschieden?
Milliken: Weil ich finde, dass der „Sommernachtstraum“ einen sehr lockeren Zugang schafft, um gemeinsam mit unbekannten Menschen Musik zu machen, mitzuerleben, mitzuspielen. Und die Probensituation im „Sommernachtstraum“ ist einerseits lustig und entspannt, andererseits aber auch leidenschaftlich. Das gefällt mir sehr gut.
Stellt am Ende „Night Shift“ eine öffentliche Probe dar oder ist die Produktion eine öffentliche Probe?
Milliken: Das ist genau dazwischen! Das Publikum wird sich hoffentlich fragen: Ist das jetzt alles nur gestellt oder nicht? Es gibt ein Libretto, einen ausformulierten Ablauf, aber es gibt auch Momente, in denen tatsächlich geprobt wird. Und da wird man sich schon als Publikum fragen: Bin ich auch Darsteller?
In diesen Zeiten ein Stück auf die Bühne zu bringen, in dem die Interaktion zwischen Künstler und Publikum eine zentrale Rolle spielt, ist freilich pikant: Einerseits steht vermutlich die ganze Produktion auf wackligen Füßen, weil jederzeit Restriktionen aufgrund der Pandemie entstehen können, andererseits ist eine solche Interaktion genau das, was all jene wollen, die monatelang nicht mehr ins Konzert gehen konnten.
Milliken: Tatsächlich wurde die Uraufführung dauernd verschoben, wir haben auch einige Varianten schon durchgespielt. Aber das Stück läuft nun mal im Rahmen von „Connect – das Publikum als Künstler“…
…einer europaweiten Initiative bzw. Kooperation von Ensemble Modern, London Sinfonietta, Asko|Schönberg und Remix Ensemble, in der Hierarchien zwischen Publikum und Interpreten aufgelöst und das Publikum ins Zentrum gestellt werden soll.
Milliken: Genau. Diese Initiative basiert auf Interaktion mit dem Publikum. Natürlich müssen wir bei der Berliner Uraufführung Regelungen beachten, die sich bis zum 1. September, dem Tag der Uraufführung, jederzeit ändern können.
Sie hatten eben von einem Libretto gesprochen: Gibt es bei „Night Shift“ eine Handlung, einen roten Faden?
Milliken: Es ist ein Abend mit sogenannten Szenen: Die verschiedenen Sommernachts-Bezüge ordnen sich nach Themen, etwa Mauern oder Umwelt. Es gibt auch das Thema Imagination, bei dem es darum geht, dass man in die Realität verschiedene Möglichkeiten imaginieren, hineinspinnen kann.
Soll der Zuschauer die Bezüge zum Sommernachtstraum erkennen?
Milliken: Ich denke, dass es den Abend sehr schwer machen würde, wenn man erwartet, alles zu verstehen. Ich glaube schon, dass man als Zuschauer mit offenen Fragen aus der Vorstellung geht. Es ist ein Abend, an dem sich verschiedene Menschen mit völlig verschiedenen Erfahrungen treffen und gemeinsam musizieren.
Gibt es dann überhaupt noch Zuschauer und Musiker oder sind am Ende alle Mitwirkende und Zuhörer zugleich?
Milliken: Das Ensemble spielt zum Teil mit dem Publikum mit oder das Publikum mit dem Ensemble, der Chor spielt mit dem Publikum und hat auch seine eigenen Teile: Es ist in der Tat alles sehr durchmischt.
Und wer applaudiert am Ende wem?
Milliken: Wir applaudieren uns allen (lacht).