Das Bayer Erholungshaus wird als Impfzentrum eingerichtet. Ist das das Ende der Kultur in Leverkusen?
Christoph Boehmke: Ganz im Gegenteil! Die Kultur in Leverkusen ist sehr lebendig, immerhin wurden aus dem Erholungshaus mitten im Lockdown im vergangenen November die Jazztage live übertragen, und wir sind ein Teil des gesamten Angebots. Es war uns aber wichtig, ein Signal in die Stadtgesellschaft hinein zu senden: Wenn ihr uns braucht, sind wir für euch da. Wir verfügen über die entsprechenden Facilitys vor Ort. Als Anbieter von Kultur tun wir von Bayer etwas, das dazu beiträgt, möglichst schnell wieder in die Realität zurückzukehren, die uns allen fehlt. Es ist also nicht das Ende der Kultur, sondern ein Schritt in Richtung Neuanfang.
Wie hat man sich das vorzustellen?
Boehmke: Die Malteser haben hier im positiven Sinne das Regiment übernommen. Wir haben den großen Saal und konnten im leergeräumten Parkett vier Impfstraßen aufbauen. Weil hier im Haus aber auch die Proberäume für die Bayer-Ensembles sind, suchen wir jetzt dafür und natürlich für die Konzerte des Festivals im April und Mai alternative Spielstätten. Das ist eine große Chance, weil wir dadurch eine viel größere Sichtbarkeit in Leverkusen bekommen werden.
Wohin wird die Kultur ausweichen?
Boehmke: Wir mussten für sehr unterschiedliche Projekte von der Kammermusik bis zur Tanzperformance Räume finden. Für Letztere sind wir zum Beispiel im Veranstaltungszentrum der Stadt zu Gast, dem Forum. Die Tanz-Compagnie von Aterballetto aus Italien braucht eine große Bühne und das entsprechende Equipment. Für kleiner besetzte Konzerte haben wir den Scala-Club gefunden, die Heimspielstätte der Leverkusener Jazztage. Auch versuchen wir, wieder „bei Bayer einzuziehen“ und das Kasino, die Mitarbeiterkantine im altehrwürdigen Gründerzeit-Bau, als Veranstaltungsort zu reaktivieren.
Das stARTfestival ist ja ein Neuanfang für Bayer Kultur. Was war der Impuls dazu?
Boehmke: Das Erholungshaus von Bayer in Leverkusen ist Stein gewordene Kulturförderung, die es schon seit über hundert Jahren gibt. Es wurde als multifunktionale Veranstaltungsstätte gebaut und später zum Theater umgestaltet. Zahlreiche Veranstaltungen verschiedener Sparten mit eigenen Abo-Systemen prägten nach dem Zweiten Weltkrieg das Angebot. Als Gastspielort waren wir überregional bekannt. Nun hatten wir hier – auch nach einer Publikumsbefragung – den Eindruck, dass sich die Nachfrage verändert hat. Es war an der Zeit, die unternehmerische Kulturförderung neu zu denken. Gleichzeitig mit der Corona-Pandemie haben wir eine Wende eingeläutet.
Wie ist das Konzept des stARTfestival?
Boehmke: Es soll vor allem die Plattform für die von uns geförderten Künstlerinnen und Künstler sein, die aus der stARTacademy kommen. Sie dürfen neue Ideen entwickeln und umsetzen, und die Kulturförderung in eine neue Zeit führen.
Und das Festival geht aus Leverkusen heraus …
Boehmke: Das ist uns sehr wichtig. Bayer Kultur war mit dem Erholungshaus in Leverkusen und Wuppertal sichtbar, aber wir haben ja viele Tausend Mitarbeiter in ganz Deutschland und weltweit. Die Kulturförderung gehört zur Unternehmens-DNA. Das hat nichts mit Imagepflege zu tun, dafür sind wir zu klein. Es ist unser Selbstverständnis. Seit Galileo Galilei weiß man: Wer in Wissenschaft investiert, sollte auch in Kunst investieren. Dass wir auch in anderen Bayer-Standorten in Berlin und Bitterfeld sind, macht die Kultur für mehr Menschen in Deutschland erlebbar. Und wer weiß, irgendwann eben weltweit.
Wie stellt sich das Festival auf die Hygieneregeln ein?
Boehmke: Wir haben das gesamte Festival schon durch die Corona-Brille geplant. Die Kontingente an Karten sind überschaubar, denn wir wissen noch nicht, wie die Situation im April und Mai sein wird. Auch bei der Wahl der Räumlichkeiten haben wir an die Sicherheit aller gedacht.
Wie kann man überhaupt als Pharmakonzern zu Konzerten einladen, wo doch gleichzeitig die Parole gilt: Bleibt zu Hause, bleibt gesund!
Boehmke: Das Unternehmen sorgt sich um die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und ermöglicht eine sehr hohe Homeoffice-Quote. Und natürlich laden wir im Lockdown nicht zu Veranstaltungen ein. Wir sind da sehr behutsam und haben zum Beispiel vor einem Jahr früher als andere Anbieter unsere Veranstaltungen abgesagt, um die Gesundheit der Besucher nicht zu gefährden. Momentan halten wir uns auch sehr zurück und bewerben das Festival nicht offensiv. Die Gesundheit der Menschen hat oberste Priorität und das sticht aus, dass wir auch schöne Erlebnisse schaffen und Menschen zusammenbringen wollen.
Warum planen Sie das Festival trotzdem?
Boehmke: Es ist wichtig zu signalisieren: Wir sind am Anfang eines Weges und den gehen wir. Es wird besser. Und wir wollen auch optimistisch nach vorne schauen und den Menschen eine Perspektive bieten. Als verlässlicher und langjähriger Partner von Kultur glauben wir daran und tun das, was nötig ist, um Kultur wieder zu ermöglichen. Zum Beispiel jetzt das Erholungshaus als Impfzentrum bereitzustellen.
Gibt es ein Highlight beim Festival, auf das Sie sich besonders freuen?
Boehmke: Das Antrittskonzert von Bar Avni, der neuen Chefdirigentin der Bayer Philharmoniker. Sie ist jung, motiviert und hoch talentiert. Sie leitet ein tolles Programm mit anderen stART-Künstlerinnen und -Künstlern. Es ist toll, dass die Philharmoniker auch hier einen Neuanfang wagen. Und ich freue mich auf Alexej Gerassimez und Omer Klein – eine wahnsinnige Symbiose aus Jazz und Schlagwerk.
Haben Sie auch an ein digitales Alternativprogramm gedacht?
Boehmke: Das Rettungsnetz ist ausgeworfen. Vielleicht gibt es eine digitale und analoge Form parallel. Ich wünsche mir aber, dass wir uns alle auf Abstand begegnen und gemeinsam Konzerte und Tanz erleben können. Danach sehnen wir uns alle.
Und wo bleibt die Kultur bis dahin?
Boehmke: Mein Traum ist, eine halbe Stunde am Tag „Impfen mit Musik“, also ein gewisser Zeit-Slot, an dem mit Live-Musik geimpft wird. Wir haben ja die Bühne. Wenn da ein Flügel stünde, könnte man etwas gefälligere Klaviermusik dazu anbieten. Nichts, was zu sehr von den medizinischen Prozessen ablenkt. Das Erholungshaus ist nach wie vor ein Theater, und Kunst muss hier weiterhin eine Rolle spielen.