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Blickwinkel: Detlef Grooß

„Seit fünfzig Jahren wissen wir, dass wir etwas tun, das auf Dauer nicht funktioniert“

Über Klimaschutz wird heutzutage zwar viel gesprochen, aber immer noch wenig getan. Nicht so beim Verein Orchester des Wandels. Bratschist und Gründungsmitglied Detlef Grooß spricht im Interview über Nachhaltigkeit in der Musikbranche, Initiativen des Vereins und warum Klimaschutz nur in der Masse funktioniert.

vonIrem Çatı,

Inwieweit ist die Musikbranche ein Klimasünder?

Detlef Grooß: Das ist eine komplexe Frage. Es ist aber eine der Hauptaufgaben unserer Organisation, das zu eruieren und einen Fußabdruck zu erstellen. Also vielleicht können wir diese Frage in zwei Jahren beantworten (lacht).

Wie hat sich die Situation seit der Corona-Krise verändert?

Grooß: Im Musikbereich ist natürlich alles komplett eingebrochen. Es finden gar keine öffentlichen Auftritte oder Reisen mehr statt. Insofern ist die Kultur als einer der stärksten Wirtschaftsfaktoren unseres Landes komplett am Boden. Dennoch ist sie immer relevant, und es wird auch immer relevant sein, Bruckner, Mozart oder Bach zu spielen. Gleichzeitig muss sich die Kultur aber auch mit den wichtigen Themen der Zeit auseinandersetzen. Wenn wir das nicht tun und uns aus dem Prozess der Transformation der Gesellschaft zu einer nachhaltigen Lebensweise heraushalten, kann es sein, dass die Kultur tatsächlich einen Teil ihrer Relevanz verliert. Da muss von unserer Seite ein ganz klares Bekenntnis her. Wir müssen auch die Diskussion vorantreiben, die Sehnsucht nach einer nachhaltigen Lebensweise wecken und vor allen Dingen mit gutem Beispiel vorangehen. Wir sind als Künstler ja Menschen, die mit Emotionen arbeiten, und wir müssen das Thema Nachhaltigkeit positiv angehen und nicht mit Katastrophenszenarien arbeiten oder den Zeigefinger erheben.

Was ist denn eigentlich das Orchester des Wandels?

Grooß: Angefangen hat alles vor zehn Jahren mit dem Hornisten Markus Bruggaier und der Staatskapelle Berlin. Markus Bruggaier, Magdalena Ernst, Johannes Wache, Jan Bauer und ich haben jetzt den deutschlandweiten Verein Orchester des Wandels gegründet und uns gefragt, wie die Orchesterlandschaft zu dem Thema Klimaschutz steht und was wir dazu beitragen können. Alle denken darüber nach, wie man Emissionen einsparen kann. Worüber sich bisher aber niemand konsequent den Kopf zerbrochen hat, ist, dass wir Klimaschutz und Nachhaltigkeit in unseren Kulturauftrag nehmen müssen. Wir müssen Flagge zeigen und das Thema in der Gesellschaft voranbringen. Mitglied bei uns kann jedes Orchester und jeder Musiker werden, der diese Idee unterstützen will.

Wie ist die Resonanz unter den Musikern zu Ihrem Verein?

Grooß: Soweit ich weiß: überwältigend (lacht). Die Leute sind total berührt und dankbar, dass ihnen jemand zeigt, wie sie sich engagieren können. Denn seit fünfzig Jahren wissen wir, dass wir etwas tun, das auf Dauer nicht funktioniert. Die erste Weltklimakonferenz war 1979, und seitdem wurde immer nur an Symptomen herumgedoktert anstatt aufzustehen und zu handeln. Wir erreichen dadurch auch ganz neue Publikumsschichten.

Sie beschreiben Ihre Konzerte als originelle Konzertformate, die für alle Sinne erlebbar sind. Wie kann man sich das vorstellen?

Grooß: Es gibt da sehr viele Möglichkeiten. Uns ist wichtig, die Kreativität unserer Musiker zu nutzen. Ein schönes Kleinformat hat beispielsweise die Staatskapelle Berlin entwickelt: Als Umweltinitiative, beispielsweise als Bioladen, kann man sich für ein Hofkonzert bewerben, um auf diesem Weg Unterstützung und Aufmerksamkeit zu bekommen. In Bremen wiederum gibt es Kleinstkonzerte, die ersteigert werden können. Die Einnahmen fließen direkt in unser Projekt auf Madagaskar. Für ein großes Format will die Staatskapelle Berlin in einem Heizkraftwerk ein Filmkonzert über einen Gletscher geben. Da wird also mit dem Kontrast „Heizkraftwerk vs. Gletscherschmelze“ gespielt, um die Klimaerwärmung emotional erfahrbar zu machen.

Wie kämpft das Orchester des Wandels für das Klima?

Grooß: Unsere Arbeit basiert auf vier Säulen. Die erste ist, den Klimaschutz durch entsprechende Konzerte in den Kulturauftrag zu nehmen. Die zweite sind Umweltprojekte wie auf Madagaskar. Dort pflanzen wir nicht nur Bäume, sondern fördern auch die Biodiversität, den Klima- und Artenschutz sowie das Bewusstsein der dortigen Bevölkerung für nachhaltige Landwirtschaft. Die dritte Säule beschäftigt sich mit unserem eigenen Fußabdruck und damit, dass wir uns in unseren Mitgliedstheatern und -orchestern um den Klimaschutz kümmern. Das tun wir, indem wir einen grünen Leitfaden erarbeiten und überlegen, an welchen Stellen man Emissionen einsparen kann. Wir sind dafür sehr eng mit dem Aktionsnetzwerk Nachhaltigkeit in Kultur und Medien (ANKM) verbunden, die versuchen, Aspekte des Umwelt- und Klimaschutzes im gesamten Kultur- und Medienbereich stärker zu verankern. Die vierte Säule ist die Vernetzung untereinander, also der Austausch von Ideen und Know-how, aber auch das Sichtbarmachen unserer Aktionen auf der Website.

Im Rahmen des Madagaskar-Projekts ist der Verein aktuell im Masoala-Nationalpark tätig. Worum geht es ihnen dabei?

Grooß: Madagaskar ist eine ziemlich in Mitleidenschaft gezogene Region. Daran hat die Bevölkerung nicht die größte Schuld. In den Wäldern von Madagaskar wachsen Ebenholz und Palisander, die seit langer Zeit als beliebte Möbelhölzer gelten und unverzichtbar im Instrumentenbau sind. Deswegen ist über die letzten hundert Jahre Raubbau betrieben worden, so dass heute nur noch weniger als zehn Prozent der ursprünglichen Waldfläche erhalten ist. Unsere Idee ist, diese Hölzer und viele andere endemische Pflanzenarten wieder aufzuforsten und die Biodiversität vor Ort wiederherzustellen. Außerdem investieren wir in die Bildung vor Ort und beteiligen die Einheimischen im Wiederaufbau des Waldes, indem wir in den Randregionen des Waldes hochwertige Nutzpflanzen wie Vanille, Gewürznelken und Kakao pflanzen, von denen die Menschen gut leben können. So schaffen wir eine Modellregion, in der eine nachhaltige Lebensweise für die Bevölkerung eingeführt wird, die mit den natürlichen Ressourcen vor Ort ein gutes Leben haben kann. Das geht Hand in Hand mit den Themen „Empowerment of Women“ sowie der selbstbestimmten Familienplanung. Denn nur wenn man ein Projekt so umfangreich und in all seinen Aspekten denkt, kann das wirklich nachhaltig sein. Nur dann können in achtzig Jahren noch die Bäume stehen, die wir da pflanzen.

Haben Sie sich vorher schon privat für den Naturschutz engagiert?

Grooß: Ja, ich habe ein sehr gut isoliertes Energiesparhaus, esse wenig Fleisch und fahre nur mit dem Fahrrad oder mit der Straßenbahn zur Arbeit. Es wird einem aber relativ schnell bewusst, dass diese Beiträge unterm Strich immer im Grundrauschen untergehen. Jacob Sylvester Bilabel vom ANKM hat sehr schön gesagt: „Klimaschutz ist ein Teamsport.“ Das geht nur zusammen. Wenn man wirklich etwas erreichen möchte, dann muss man sich auf einer großen Ebene bewegen, und durch ein Konzert kann man tausend oder zweitausend Leute erreichen. Wenn man da Fragen stellt, ist der Effekt gleich ein ganz anderer. Denn wenn diese Menschen ernsthaft Fragen stellen, wird der Druck auf die Politik groß genug sein, um wirklich etwas zu bewirken. Jeder trifft jeden Tag Entscheidungen für oder gegen Nachhaltigkeit. Und die Reichweite, die wir in der Kultur haben, müssen wir nutzen, um das Thema voranzubringen.

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