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Blickwinkel: Gernot Rehrl

„Ein Haus für alle“

Die Konzerthaus-Initiative Stuttgart nimmt neue Fahrt auf. Dafür wurde 2019 der Verein Konzerthaus Stuttgart e. V. gegründet, der sich Anfang November mit einer gelungenen Auftaktveranstaltung der Öffentlichkeit präsentiert hat. Gernot Rehrl, Vorsitzender des Fördervereins, spricht über die Möglichkeiten und Herausforderungen eines solchen Vorhabens.

vonJulia Hellmig,

Wie war es, das Projekt zum ersten Mal in der Öffentlichkeit vorzustellen?

Gernot Rehrl: Es war durchaus positiv! Einer der wichtigsten Aspekte ist ja, dass unsere Begeisterung auch die Politik erreicht, selbstverständlich auch die Stadtgesellschaft. Zunächst aber muss die Politik erkennen, dass dieses Konzerthaus notwendig ist, auch aus gesellschaftspolitischen Gründen. Hierzu versuchen wir zu vermitteln, dass es eben nicht ein Haus werden soll, in dem sich drei Sinfonieorchester die Klinke in die Hand geben, sondern viel mehr. Aber mit der Renovierung der Staatsoper stehen zunächst andere Vorhaben und Kosten im Fokus. Bei unserem Projekt müssen wir deshalb umso mehr vermitteln, dass es dabei um eine Plattform der Kultur für eine neue Zeit im digitalen Zeitalter geht. Denn wir brauchen analoge Treffpunkte, wo man sich treffen und austauschen kann.

Sie kennen beide Seiten der Musikwelt: Als Geiger einerseits und als Orchester- und Kulturmanager andererseits haben Sie bei den renommiertesten Institutionen gearbeitet. Was ist für Sie bei der Konzerthaus-Initiative Stuttgart am wichtigsten?

Rehrl: Wir haben eine ausführliche Konzeption ausgearbeitet und versucht, auch wichtige Persönlichkeiten in Stuttgart zu gewinnen, darunter zum Beispiel der Konzertveranstalter Michael Russ, der als Erster schon vor etwa zehn Jahren die Idee zu einem neuen Konzerthaus hatte. Aber auch die Cellistin Sol Gabetta, And.Ypsilon von den Fantastischen Vier, der ehemalige Vorstandsvorsitzende der Daimler AG Dieter Zetsche, der Rapper Maeckes, die Sängerin Fola Dada, den einstigen Präsident des VfB Stuttgart Erwin Staudt, den Unternehmer Reinhold Würth aber auch den ehemaligen EU-Kommissar Günter Oettinger und noch andere mehr. Wir haben mit den Kulturinstitutionen überlegt, was das Konzerthaus eigentlich an Inhalten vermitteln soll. Es hat sich herausgestellt, dass wir ein Haus für alle brauchen, ein lebendiges Musikzentrum mit vielen Räumlichkeiten, in das man sich einmieten kann. Denn in Stuttgart fehlt es beispielsweise auch massiv an Proberäumen.

Wie sind Sie bei der Gründung des Fördervereins „Konzerthaus Stuttgart e. V.“ vorgegangen?

Rehrl: Wir drei, also Felix Fischer, Orchesterchef des SWR Symphonieorchesters, Ralf Püpcke, Geschäftsführer des Vereins, und ich, waren uns einig, dass die Zeit reif ist und Stuttgart jetzt ein neues Konzerthaus braucht. Dafür gab es ja schon einige Anläufe. Wir waren uns auch im Klaren, dass wir dafür alle Musikinstitutionen und viele Kulturschaffende gewinnen mussten. Wir nahmen zunächst mit der Stadt Kontakt auf, um Geld zu akquirieren und haben uns professionell durch eine Kanzlei beraten lassen. Daraufhin wurde im Herbst 2019 der Verein gegründet, und es traten nahezu alle Musikinstitutionen als Mitglieder bei, da wir doch schnell überzeugen konnten, samt dem Landesmusikverband Baden-Württemberg mit seinen sage und schreibe fast eine Million Mitglieder. Wir nutzten die Pandemie, um die vorab erwähnte ausführliche Konzeption zu erarbeiten, haben während dieser Zeit die Öffentlichkeit aber ganz bewusst gemieden.

Inwiefern hat die Pandemie Ihre Konzeption beeinflusst?

Rehrl: Die Innenstädte verändern sich rapide, egal ob es das Einkaufsverhalten oder Büroflächen betrifft. Die Pandemie hat so manches beschleunigt. Und wir müssen uns fragen, wie wir eigentlich unsere Innenstädte gestalten wollen. Wir glauben, dass Kultur und Musik im digitalen Zeitalter für die nächsten Generationen ein ganz entscheidender Faktor des sozialen Miteinanders sein kann. Was eine Stadtgesellschaft braucht, ist die analoge Plattform der Kommunikation. Dafür haben wir dieses Haus entworfen und konzipiert. Wir wollen die Stadtgemeinschaft davon überzeugen, dass es ein Haus für alle werden soll.

Warum wird Stuttgart als Kulturhauptstadt so oft unterschätzt?

Rehrl: Als Münchner darf ich das sagen: Mich hat diese Frage immer wieder beschäftigt und verwundert. Es ist vielleicht doch eine schwäbische Eigenheit, die Dinge eher bescheiden für sich zu leben. Ich bin immer wieder in Berlin und wenn ich erzähle, dass Stuttgart schon zweimal zur Kulturhauptstadt gewählt wurde, dann weiß davon kaum jemand. Das ist bedauerlich, zumal Stuttgart darüber hinaus zu den vier Landeshauptstädten gehört, die drei große Sinfonieorchester beheimaten – neben München, Berlin und Hamburg. Es ist also auch unter diesem Aspekt ein hoher Raumbedarf da, denn die Liederhalle ist heillos überbucht. Wir kennen viele frustrierte Ensembles, denen es einfach nicht möglich ist, drei Jahre oder noch länger im Voraus zu planen und demzufolge einen Saal anzumieten.

Was wünschen Sie sich jetzt von den Kulturschaffenden in Deutschland?

Rehrl: Wir sollten uns auch einmal bewusst machen, dass wir eine unendliche kulturelle Vielfalt haben. Es gibt so viele Festivals und Möglichkeiten, wo jeder seinen Platz findet, auch in der freien Szene. Das sollte man sich bei allen jetzigen Schwierigkeiten auch mal bewußt machen. Das ist keine Selbstverständlichkeit. Jetzt, nach diesem Einschnitt wünsche ich mir natürlich, dass vieles wieder zurückkommt, doch dazu brauchen wir unser Publikum. Und wir müssen diesem Publikum Zeit geben, denn es ist im Moment ein sehr Zögerliches. Die Gründe dafür sind unterschiedlicher Natur, sie liegen mit Stand heute auch wieder in den rapide steigenden Inzidenzwerten, womit ich eigentlich so nicht gerechnet hatte. Es bleibt nichts anderes, als sich in Geduld zu üben. Wir sind nun einmal eine Solidargesellschaft und ich hoffe, dass wir nächstes Jahr wieder zu der bereits angesprochenen Vielfalt endgültig zurückkehren werden.

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