Wie haben Sie die Corona-Situation in Israel erlebt?
Jenny Hünigen: Sicherlich war es in Israel genauso dramatisch wie in den meisten Ländern. Anfangs sah es noch ganz gut aus, aber dann wurde die Situation auch hier sehr schlimm. Die Zahl der Infizierten stieg ständig und es wurde dann auch ziemlich schnell alles dicht gemacht. Wir hatten wirklich mehrere sehr harte Lockdowns, bei denen wir eigentlich nur zum Einkaufen rausgehen durften. Wenn ich das über die Medien und meine Familie in Deutschland richtig mitbekommen habe, waren die Maßnahmen in Israel über den Sommer viel strenger als in Deutschland. Das Orchester musste auch einige Monate in Kurzarbeit, so dass wir gar nicht musizieren konnten. Im Sommer haben wir angefangen, in kleiner Besetzung zu spielen: die Streicher natürlich mit Masken und mit ordentlich Abstand zwischen den Pulten. Wir haben viele Streaming-Konzerte gegeben und Aufnahmen gemacht und trotz der Situation richtig viel gearbeitet.
Wie war der Zusammenhalt im Orchester?
Hünigen: Der war über die ganze Zeit da, am Anfang haben wir Zoom-Treffen organisiert, da war das ganze Orchester mit dabei sowie unser neuer Chefdirigent Steven Sloane und unser neuer Manager Ofer Amsalem. Wir haben auch eine WhatsApp-Gruppe, in der fast alle Orchestermitglieder sind, über die wir uns auch viel ausgetauscht haben. So sind wir über die Kurzarbeitsmonate eigentlich gut in Kontakt geblieben. Vermisst haben wir uns trotzdem! Es macht schon einen Unterschied, wenn man nur telefoniert oder in der Pause gemeinsam einen Kaffee trinkt.
In Israel ist die Impfkampagne ja wesentlich schneller gelaufen als in Deutschland. Ist das Orchester schon geimpft?
Hünigen: Ja. Anfang Januar haben schon die ersten Orchestermitglieder die erste Impfdosis bekommen. Die, die am schnellsten waren, waren Ende Januar also schon voll geimpft. Von da an ging es auch ganz schnell und bis Ende Februar waren wahrscheinlich alle Musiker geimpft – bis auf eine Kollegin, die sich nicht impfen lassen möchte. Sie muss seither zweimal die Woche einen negativen Test vorlegen. Trotzdem tragen wir Streicher bislang noch immer eine Maske, spielen aber immerhin wieder in voller Besetzung. Und das ist ein tolles Gefühl, endlich wieder die Gruppe zu hören, ein Pult zu teilen und die Kollegen so viel näher neben sich zu haben.
Gab es denn im Orchester auch eine Impfpriorisierung?
Hünigen: Wir wurden nicht über das Orchester, sondern über die Krankenkassen geimpft. Das ist in Israel wirklich super gelaufen, weil die Infrastruktur der Krankenkassen ganz anders aufgestellt ist als in Deutschland, wo es Arztpraxen gibt. In Israel hat jede Krankenkasse sozusagen ihre eigene Klinik mit Ärzten aus verschiedenen Fachgebieten. Dadurch konnte auch der Impfstoff sofort viel schneller verteilt werden. Das hieß aber auch, dass sich jeder selbst bemühen und zu seiner Krankenkasse gehen musste. Anfangs gab es auch bei uns eine Priorisierung, aber möglicherweise nicht ganz so streng wie in Deutschland. Ich habe beispielsweise meine Schwiegermutter zur Impfung begleitet und wurde dann gleich selbst mitgeimpft. Ein weiterer Unterschied zu Deutschland ist, dass es hier diese massiven Testungen gar nicht mehr gibt. Schnelltests kennen wir kaum. Seitdem es die Impfung gibt, braucht man die wahrscheinlich auch immer weniger.
Können solche Impfstrategien das Orchesterleben zum Positiven verändern?
Hünigen: Absolut! Bei uns hat es wirklich dazu geführt, dass wir wieder vollbesetzt spielen dürfen und sich die Kollegen wieder umarmen. Wir spielen auch wieder vor fast ausverkauftem Haus. Allerdings dürfen nur Menschen ins Konzert, die einen sogenannten grünen Pass haben, den man nur bekommt, wenn man vollständig geimpft oder genesen ist. Es gibt in Israel aber immer weniger Menschen, die keinen grünen Pass haben, außer diejenigen, die eine Impfung verweigern.
Kann das Orchester auch wieder frei reisen?
Hünigen: Soweit ich das verstanden habe, muss jeder, der geimpft wurde, jeweils zwei Test bei der Aus- und Einreise nach Deutschland beziehungsweise nach Israel machen. Es gibt aber für Geimpfte keine Quarantäne-Pflicht mehr. Wir hoffen also, dass wir im Juni ohne Probleme nach Deutschland reisen können. Allerdings sind wir alle nach diesem Corona-Jahr sehr vorsichtig mit Erwartungen geworden. Hier in Israel sagt man: Der Mensch plant und Gott lacht.
Im Rahmen des Festjahrs „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ spielen Sie im Juni Konzerte in Berlin und Bochum. Wann hat das Orchester zuletzt in Deutschland gespielt?
Hünigen: Wir waren das letzte Mal 2009 in Deutschland und haben damals das Bachfest Leipzig eröffnet.
Wie wichtig ist dieses Jubiläum für die deutsch-jüdische Freundschaft?
Hünigen: Die jüdisch-deutschen Beziehungen sind natürlich sehr wichtig, auch in kultureller Hinsicht. Viele junge israelische Musiker studieren und leben in Deutschland. Und was verbindet mehr als Musik?
Haben Sie schon angefangen zu proben?
Hünigen: Noch nicht. Aber schon in wenigen Tagen erwarten wir unseren Chefdirigenten Steven Sloane zurück in Jerusalem und dann werden auch die Proben beginnen.
Worauf freuen Sie sich am meisten auf Ihrer Tournee?
Hünigen: Für mich persönlich ist es natürlich ein ganz besonderes Highlight, mit meinem Orchester in Berlin auf der Bühne zu stehen. Ich habe als Kind in genau diesem Saal mein erstes Konzert mit einem grossen Orchester erlebt und dann natürlich noch unzählige andere. Es ist unheimlich aufregend für mich mit dem Jerusalem Symphony Orchestra in meine Heimatstadt zurückzukehren. Und ich kann es kaum erwarten meine Familie nach anderthalb Jahren Corona wiederzusehen. Und ganz besonders freuen wir uns darüber bei den Bochumer Symphonikern zu Gast zu sein zu dürfen und mit ihnen zusammen Mahlers zweite Sinfonie aufzuführen.