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Blickwinkel: Kamila Metwaly von MaerzMusik

„Ich bin nicht an künstlerischem Ego interessiert“

Seit zwei Jahren ist die Musikjournalistin, elektronische Musikerin und Kuratorin Kamila Metwaly Künstlerische Leiterin des Berliner Festivals MaerzMusik und bringt seitdem neue (Klang)Farben ins Festival.

vonIrem Çatı,

Wofür steht das Festival MaerzMusik?

Kamila Metwaly: Was mich bei MaerzMusik wirklich fasziniert – und das haben meine Vorgänger ganz hervorragend eingeführt – ist die Offenheit, neue Ideen zu akzeptieren oder neue Räume zu betreten, die durchaus auch außerhalb der Komfortzone eines Festivalleiters oder einer Festivalleiterin liegen und herausfordernd sein können. Aber es funktioniert! Es ermöglicht den Künstlerinnen und Künstlern mehr Freiheit und verschafft dem Festival diesen interdisziplinären und diskursiven Charakter.

Sie sind seit letztem Jahr künstlerische Leiterin des Festivals. Gibt es Herzensprojekte, die Sie bereits realisiert haben oder noch verwirklichen möchten?

Metwaly: Ich denke viel über die DNA des Festivals nach und über die Praktiken, mit denen wir uns beschäftigen. Ich persönlich bin mehr an Verbindungen und anhaltenden Beziehungen interessiert als einfach an Projekten. Ich frage mich zum Beispiel: Können sich Festivals umfassender mit Forschung beschäftigen? Kann man Kunst nicht nur produzieren, sondern sich auch intellektuell mit den Musikerinnen und Musikern sowie der Musik auseinandersetzen? Was ist unsere Aufgabe dabei? Diese Aspekte haben sich schon beim Fokus auf Lucia Dlugoszewski oder der Serie „Topographies of Hearing“ verdeutlicht, die beide die kuratorische Rollen neu definiert haben und tief mit wissenschaftlichen Herangehensweisen verbunden sind.

Hat sich das Festival unter Ihrer Leitung verändert?

Metwaly: Ich denke, dass manche Menschen, die in eine solche Position kommen, das Gefühl haben, viel verändern zu müssen, um sich zu beweisen und zu profilieren. Ich bin nicht an künstlerischem Ego interessiert. Meine Arbeit baut auf der Vergangenheit – den Versuchen, dem Scheitern, den Erfolgen – auf. Die Essenz liegt im Prozess, im Dialog und Austausch zwischen allen Beteiligten – hinter und auf der Bühne. Ich bin dankbar, mit einem fantastischen Team aus Gleichgesinnten zusammenarbeiten zu können, die mich jeden Tag auf’s Neue inspirieren.

Komponistin im Fokus: Lucia Dlugoszewski
Komponistin im Fokus: Lucia Dlugoszewski

Das Eröffnungskonzert wird eher ungewöhnlich, denn statt Musikern stehen Lautsprecher auf der Bühne. Wie können wir uns das vorstellen?

Metwaly: Mit den Lautsprechern als Instrumenten geben wir dem Publikum eine neue Hörerfahrung und konfrontieren sie damit, wie es ist, wenn es keine lebendigen Körper auf der Bühne gibt auf die man die Musik projizieren kann. Das macht es vielleicht verletzlicher. Aber natürlich geht es auch darum, diese Erfindung und den Menschen dahinter zu ihrem 50-jährigen Jubiläum zu feiern und zugleich hörbar zu machen, wie sich die Arbeit des Musikmachens für Lautsprecher durch junge Komponistinnen und Komponisten verändert hat. Dass das Eröffnungskonzert diese Konzentration im Zuhören in den Mittelpunkt stellt war reiner Zufall. Ich bin aber generell sehr am Konzept des Zuhörens interessiert und viele der Fragen rund um das Zuhören sind sehr eng mit meiner Arbeit verbunden. Ausgehend von der Arbeit von Pauline Oliveros – und jetzt mit Lucia Dlugoszewski – haben wir eine Menge interessanter Konzepte gefunden, die sich mit der Kontextualisierung des Zuhörens als etwas wirklich Kulturellem auseinandersetzen – darum wollen wir uns kümmern und mehr Aufmerksamkeit schenken.

Letztes Jahr hatten Sie Enno Poppe als Gastkurator an Ihrer Seite. Gibt es das auch in diesem Jahr eine Zusammenarbeit?

Metwaly: Dieses Jahr haben wir zwar keinen Gastkurator, aber wir arbeiten eng mit Christine Chapman und Marco Blaauw vom Ensemble Musikfabrik an unserem Schwerpunkt Lucia Dlugoszewski zusammen. Prinzipiell ist die Idee eines Gastkurators aber eine, mit der wir in Zukunft arbeiten und experimentieren wollen. Meiner Meinung nach ist es gesund, mit jemanden gemeinsam zu denken und Entscheidungen zu treffen und ich habe es im letzten Jahr sehr genossen, mit Enno Poppe zusammenzuarbeiten.

Sie haben schon erwähnt, dass Sie in diesem Jahr wieder den Fokus auf die Komponistin Lucia Dlugoszewski legen. Was fasziniert Sie so an ihr und was gibt es in ihrem Repertoire Spannendes zu entdecken?

Metwaly: Alles (lacht)! In diesem Punkt bin ich sehr voreingenommen. Ihre Musik ist so herausfordernd und anspruchsvoll für das Publikum und die Musikerinnen und Musiker, und gleichzeitig so faszinierend. Den ganzen Prozess und die Ideen zu einer neuen Partitur hat sie in so genannten „ästhetischen Karten“ zusammengefasst und sich philosophisch damit auseinandergesetzt. Sie war zu Lebzeiten relativ bekannt, ist aber irgendwie am Rand geblieben und ich interessiere mich sehr für Figuren, die niemand wirklich kennt. Vor allem aber war sie eine Frau in einem Raum voller männlicher Kollegen. Ich finde es wichtig, sich damit auseinanderzusetzen, denn das war und ist die Realität. In unserem Schwerpunkt geht es also nicht darum, sie wiederzuentdecken, sondern eher darum, ihre Musik zurückzugewinnen.

Das Black Page Orchestra zu Gast bei der diesjährigen Ausgabe von MaerzMusik
Das Black Page Orchestra zu Gast bei der diesjährigen Ausgabe von MaerzMusik

Was erwarten Besucher der Library of MaerzMusik?

Metwaly: Auch die Library of MaerzMusik fokussiert sich auf Lucia Dlugoszewski. Sie hat ja auch Instrumente gebaut, die wir im letzten Jahr nachgebaut haben und die das Publikum dort entdecken, selbst ausprobieren und experimentieren kann. Wir hatten auch die Möglichkeit, in den Archiven der Library of Congress in Washington zu forschen und möchten die Arbeit an den Partituren von Lucia Dlugoszewski präsentieren. Zudem hat sie in zwei Filmen mitgewirkt, unter anderem von Jonas Mekas, von denen wir einen zeigen werden. Außerdem finden dort vermehrt Gespräche mit Komponisten wie Sarah Nemtsov, Christina Kubisch und George Lewis statt und bieten damit Raum für einen offenen Austausch.

Was sind außerdem Ihre Highlights der diesjährigen Ausgabe?

Metwaly: Wir haben beispielsweise das b-l duo aus Singapur eingeladen, das ich schon seit langem präsentieren wollte und das auf sehr kreative und innovative Art ein ganzes Repertoire für eine Reihe an unterschiedlichen Tasteninstrumenten unter anderem auch Toypiano aufführen wird. Der Abend bringt Klassiker aber auch genreübergreifende Kompostionen wie von Alex Paxton. Wir haben zum ersten Mal das Black Page Orchestra aus Wien zum Festival eingeladen, das seit zehn Jahren existiert und starke und mitreißende Werke präsentieren wird. Ebenfalls seinen 10. Geburtstag feiert bei uns das EnsembleKollektiv mit einem besonderen Programm, das sich auch mit den Grenzen des Hörens auseinandersetzt u.a. mit einem Komposition von Helmut Lachenmann und einer Uraufführung von Michelle Lou. In der Reihe „Topographies of Hearing“ haben wir Audrey Chen, Hugo Esquinca, Christina Kubisch, Jessica Ekomane und Miya Masaoka eingeladen, Klanginstallationen zu präsentieren, Konzerte zu organisieren und in den Austausch mit dem Publikum zu treten.

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