Woher kam die Idee zu „Stumme Künstler“?
Kilian Forster: Nachdem bereits unsere Klazz Brothers-Tournee abgesagt wurde, hatten wir auch keinen Erfolg bei der Stadt Dresden oder dem zuständigen Ministerium, die Jazztage Dresden zu retten. Das Problem war, dass wir den Soforthilfekredit nicht bekommen haben, weil nachträglich Gemeinnützigkeit ausgeschlossen wurde. Da war uns klar, dass wir handeln müssen, und haben sofort über unsere Website und Social Media-Kanäle kommuniziert, dass die Jazztage Dresden Insolvenz anmelden müssen. Obwohl es vielen ähnlich ging, gab es zwar Aktionen und Verbandsaktivitäten, aber bis dahin noch keine Demonstrationen. Uns war es vor allem wichtig, gemeinsam stark zu sein und zusammenzustehen. Wir waren positiv überrascht, dass, obwohl wir die Demo in der Nacht vorher ankündigt hatten, morgens bereits die ersten Politiker angerufen haben und vereinzelt zur Demo gekommen sind.
Wie hat sich alles entwickelt?
Forster: Anfangs waren nur fünfzig Teilnehmer genehmigt, aber das ist innerhalb der Bundesländer ganz unterschiedlich. In Sachsen dürfen inzwischen bis 1.000 Demonstrierende zusammenkommen. Das Problem ist, dass bei einigen Kollegen die Solidarität fehlt, weil ihnen – wie vielen Politikern – das ganze Ausmaß dieser Pandemie auf unsere Arbeit nicht bewusst ist. Es gibt Geringverdiener und Studenten, die mit einem erleichterten Zugang zur Grundsicherung und mit Stipendien gut zurechtkommen. Musiker aus städtischen und staatlichen Einrichtungen hatten am Anfang sogar 90% Kurzarbeitergeld verweigert und 100% Tariflohn bekommen. Hier fehlte oft die Solidarität. Da aber jetzt Vielen klar wird, dass es mit Mini-Besetzungen oder Streaming dauerhaft auch an die Substanz der Orchester und Institutionen geht, ist dies der Weckruf, der stärkere Solidarität erzeugt. Streaming ist der Tod unserer Kultur der Nähe und Unmittelbarkeit.
Welche Musiker sind denn tatsächlich von dieser Notsituation betroffen?
Forster: Das ist vor allem der Mittelstand, der unverschämterweise von Staatsministerin Monika Grütters in die Grundsicherung gedrängt wird. Denn mit dem Geld, das da am Ende rauskommt, können nur die wenigsten überleben, und das ist ein No-Go! Und wenn jetzt schon die ersten Instrumente verkauft werden und die Selbstmordrate bei Musikern steigt, kann man davor nicht die Augen verschließen. Außerdem kann man damit rechnen, dass jeder Monat, in dem ein freischaffender Musiker nicht spielen kann, mindestens ein Jahr seiner Altersvorsorge und -rücklagen kostet, sofern man als Selbstständiger überhaupt etwas ansparen konnte.
Unterstützen die Musiker aus staatlichen Orchestern Sie trotzdem?
Forster: Einzelne Musiker schon. Inzwischen ist auch angekommen, dass Kurzarbeit in den Orchestern notwendig ist, um den Stadt- oder Länderhaushaushalt zu entlasten. Damit haben die Städte mehr Geld zur Verfügung, um freischaffenden Musikern oder Veranstaltern Finanzhilfe zu ermöglichen. Ich würde mir aber mehr Solidarität von den Musikern in Kurzarbeit wünschen, indem sie in Kurzarbeit bleiben und nicht vor einem Bruchteil des Publikums spielen. Der Zuschuss steigt dadurch unverhältnismäßig bei gerade einmal 25% des Publikums. Privatwirtschaftlich funktioniert das ja auch nicht, selbst wenn man nur mit einem Teil der Musiker spielen würde, denn das zieht einen Rattenschwanz hinter sich her: Eigentlich dürften die Künstler nur 25% ihrer Gage bekommen, auch die Technik, das Hotel, Benzin, Caterer oder Mitarbeiter dürften nur noch so viel kosten. So müßten Mitarbeiter anstatt 60% Kurzarbeitsgeld für 25% voll arbeiten. Das macht niemand. Als Initiative „Stumme Künstler“ singen wir deswegen in Beethovens „Ode an die Freude“ ganz absurd nur 25% des Textes. Das klingt so, dass wir eine Silbe singen und drei Silben schweigen. Und so pervers wie das klingt, so pervers ist die wirtschaftliche Annahme, es bringe etwas, mit 25% zu spielen.
Wie kommt man aus diesem Teufelskreis wieder raus?
Forster: Man kommt da raus, indem die entsprechenden Hilfen zur Grundsicherung kommen und der entstandene Schaden ausgeglichen wird. Wenn es für die hochsubventionierten Institutionen geht, dann muss es auch solidarisch für die Freien gelten, auch wenn es in Summe zuerst einmal mehr kostet. Wichtig ist, gestandene Unternehmen zu retten, denn deren Erfahrung darf man nicht einfach aufgeben. Und sie sind es, die dann auch bald wieder Steuern zahlen.
Sind das auch Punkte, für die Sie demonstrieren?
Forster: Auch, aber nicht nur. Vor allem demonstriere ich für eine gewährleistete Grundsicherung durch Soforthilfeprogramme. In Belgien, Norwegen und Großbritannien ist man schon viel weiter, und das ist Ungleichbehandlung von Seiten Deutschlands. Wir wollen auch keine Überförderung oder eine Besserstellung zu anderen Berufen, aber die Soforthilfen müssen wenigstens an andere Länder oder an das Kurzarbeitergeld angepasst werden. Gespräche, die wir mit Politikern geführt haben, haben definitiv schon Wirkung gezeigt. Dennoch ist das Verständnis für die wirkliche Existenznot noch nicht so groß. Hier müssen wir einfach immer weitermachen.
Haben Sie das Gefühl, dass sich die Lage mittlerweile etwas verbessert hat?
Forster: In manchen Ländern schon. In Deutschland allerdings ist die Lage weiterhin eine Vollkatastrophe. Diese eine Milliarde Euro, die angekündigt wurde, ist gerade einmal die Summe der Sanierung der Stuttgarter Oper. Und damit will die Kulturstaatsministerin die Kultur in Deutschland retten. Es ist eine Farce. Der Bundesverband der Konzert- und Veranstaltungswirtschaft hat allein den Schaden in der Musik auf 580 Millionen Euro beziffert – und das nur für die ersten drei Monate. Anfangs dachten wir noch, dass sich die Lage spätestens Ende Mai wieder normalisieren würde. Jetzt rechnen wir mit einem kompletten Jahresausfall. Da braucht es ein Hilfspaket, das deutlich größer ist als das der Lufthansa, damit wir überleben können. Es ist Zeit, um über die Kultur nachzudenken und zu sagen, dass sie systemrelevant ist zum Wohle unserer psychischen Gesundheit.
Was möchten Sie noch erreichen?
Forster: Wir brauchen den Zusammenhalt der kompletten Kultur – von Schlager bis Klassik. Und das Verständnis füreinander. Alle Soloselbstständigen brauchen Zusammenhalt und eine Stimme, um ähnlich wie andere Gewerkschaften für ihre Sache einzustehen. Wir arbeiten nicht weniger als Angestellte – wir sind selbst und ständig unterwegs mit vollem Risiko. Hier muss es einen Zusammenschluss geben, der über die Kultur hinaus geht. Wir müssen im Gesamten denken, um kulturelle Vielfalt zu erhalten.