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Blickwinkel: Laura Berman

„Am gefährlichsten ist es zu schreien“

Alles lief fantastisch für Laura Berman in ihrer ersten Spielzeit als Intendantin der Staatsoper Hannover – bis Corona kam. Besonderes Kopfzerbrechen macht ihr die Zeit nach der Krise.

vonSören Ingwersen,

Wie fühlt es sich an, als neue Intendantin der Staatsoper Hannover gleich mit einer Ausnahmesituation durch Corona konfrontiert zu werden?

Laura Berman: Es ist eine sehr schwere Aufgabe und mit so einer Ausnahmesituation habe ich natürlich nicht gerechnet. Während des Lockdowns haben sich alle Mitarbeiter*innen sehr solidarisch verhalten, wofür ich unglaublich dankbar bin. Aber nicht nur die Zeit der Quarantäne – auch die kommenden Monate werden schwierig und eine große Herausforderung. Die Verfassung der Künstler*innen und anderen Mitarbeiter*innen ist von Mensch zu Mensch ist sehr unterschiedlich, seitdem sie nicht mehr ins Haus kommen konnten. Manche sind ängstlich, manche verfallen in eine Art Lethargie, und wieder andere würden am liebsten alles ignorieren und wieder so haben, wie es vor Corona war. Diese unterschiedlichen Einstellungen und Empfindungen bereiten mir Kopfzerbrechen.

Hat die Politik mit der Schließung von Spielstätten angemessen auf Corona reagiert?

Berman: Ich denke schon – auf jeden Fall hier in Niedersachsen, wo unser Ministerium sehr auf die Kultur achtet. Am Anfang hätte ich mir einen intensiveren Austausch gewünscht, aber ich verstehe die Nervosität und anfängliche Ratlosigkeit. In der Oper und in Konzerten kommen viele Menschen, auch ältere Besucher*innen, zusammen. Da möchte man natürlich verhindern, dass etwas Schlimmes passiert und ein Cluster entsteht. Ein bisschen schwierig fand ich jedoch teilweise die Presseberichterstattung.

Inwiefern?

Berman: Es wurde oftmals hervorgehoben, wie gefährlich Singen und speziell das Singen in einer Gruppe sei. Dies führt dazu, dass der Begriff Chor nun lange Zeit negativ besetzt sein wird. Bei all diesen Fällen hat jedoch niemand nach dem Einfluss des sozialen Faktors gefragt: Was wäre passiert, wenn die Leute in einem geschlossenen Raum miteinander geredet statt gesungen hätten? Auch ist offen, wie nah sich die Chormitglieder beim sozialen Miteinander, das ja vor allem bei Laienchören einen wichtigen Teil der Zusammentreffen ausmacht, vor und nach den Proben kamen. Von einer erhöhten Ansteckungsgefahr durch den Gesang, kann man nicht unbedingt ausgehen.

Was sagen die Studien zu diesem Thema?

Berman: Beim Singen verteilen sich die Aerosole ähnlich wie beim Sprechen. Am gefährlichsten ist es zu schreien. Im Allgemeinen ist die Datenlage allerdings noch ausbaufähig. Darum hat zum Beispiel der niedersächsische Minister für Kultur und Wissenschaft inzwischen eine Studie über die Luftbewegung und die Umluft in den Aufführungssälen in Auftrag gegeben.

Was können oder sollten wir aus der Krise lernen?

Berman: Wir sollten aus der Krise lernen, wie fragil wir Menschen sind. Das unterschätzen wir manchmal. Wir vernachlässigen die Natur, ignorieren das Klimaproblem, fliegen ständig in der Welt herum. Die Natur rächt sich. Ich glaube aber auch, dass die Menschen gelernt haben, wie wichtig die Kultur für sie ist. Es sind viele Menschen auf mich zugekommen und haben gesagt: „Gehen sie einfach auf den Balkon des Opernhauses und musizieren Sie! Wir brauchen das!“

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