Luisa Neubauer, deutsches Gesicht der „Fridays-for-Future“-Bewegung, ist ein absoluter Medienprofi. Die studierte Geografin und Klimaaktivistin kann innerhalb kürzester Zeit ihre Botschaften klar vermitteln, wo sich andere Interviews noch ewig inhaltsarm in die Länge ziehen. Im Gespräch wirbt die 24-Jährige Hamburgerin mit Wohnsitz in Berlin für die Verantwortung jedes einzelnen zur Bewältigung der Klimakrise – auch in der Musikwelt.
Welche Berührungspunkte haben Sie mit der klassischen Musik?
Luisa-Marie Neubauer: Ich bin schon immer musisch erzogen worden, weil bei uns zu Hause sehr viel Musik gemacht wurde, mein Vater hat in einer Band gespielt. Ab dem Augenblick, da ich zwei Hände benutzen konnte, habe ich Instrumente bedient. In Hamburg gab es damals ein tolles Programm, dass jedes Grundschulkind Blockflöte lernen konnte, und damit habe ich damals auch angefangen. Später bin ich zur Querflöte gewechselt und habe auch im Orchester mitgespielt, danach folgte das Klavier. In der 7. Klasse haben wir eine Mädchenband gegründet, die schon eine Pianistin hatte, daher lernte ich noch Gitarre und Schlagzeug. Wo immer ich kann, spiele ich Klavier und nehme auch meine Ukulele mit.
Aber den Pianisten Igor Levit haben Sie über Ihre politische Arbeit kennengelernt?
Neubauer: Er wohnt in meiner Gegend und wurde mir ein sehr guter Freund, lange bevor ich seine Musik kannte. Dann habe ich eines seiner ersten Hauskonzerte miterlebt und war natürlich begeistert. Später erzählte ich ihm von meinen Erlebnissen im Dannenröder Forst, da wollte er gern mit, und wir haben überlegt, was wir dort für Zeichen setzen könnten. Musik ist ja ein sehr starkes politisches Instrument, wir haben bei unseren Streiks immer Künstler dabei.
Wofür nutzen Sie die Kraft der Musik?
Neubauer: Sie verbindet nicht nur bei Filmen in großen Momenten und transportiert Botschaften, für die sich keine Worte finden lassen. Sie kann Menschen auf andere Art berühren. Klang schafft Bewegung, nicht nur beim Tanzen. Dafür war Igor Levit prädestiniert.
Von einer jungen Protestgeneration würde man eher krasse Bands erwarten.
Neubauer: Einheizen kann man den Menschen mit jeder Art von Musik. Wer spielt sie wie und wo mit welchem Gestus? Wir wollen ja alle ansprechen, denn in dieser Krise sind auch alle gefragt und gebraucht, wir machen das ja nicht zur Selbstbespaßung. Kurz nachdem wir für den Streik eine Berliner Indie-Pop-Band angefragt hatten, lernte ich durch Zufall den Intendanten der Berliner Staatsoper kennen, und wir kamen ins Gespräch. Das Ergebnis war, dass sogar die Staatskapelle ein Streichquartett im Frack vorbeigeschickt hat.
War da die junge Streikgeneration nicht erstaunt?
Neubauer: Sicher kam das für viele unerwartet, aber es hat sie auch berührt: So kann Protest auch klingen. Die Klimakrise ist ja ein Problem der ganzen Gesellschaft aller Generationen, da wäre es fatal, wir würden von vornherein die klassische Musik ausklammern.
Als politische Stimme ist Igor Levit eher eine Minderheit innerhalb des klassischen Konzertbetriebs. Viele seiner Kollegen fühlen sich kaum berufen zu öffentlichen Botschaften. Fehlt Ihnen deren Verantwortungsbewusstsein?
Neubauer: Das würde ich mir nicht anmaßen. Im Moment haben die Künstlerinnen und Künstler ja eher mit der Bewältigung der pandemischen Kulturkrise zu tun. Was können wir dazu beitragen, um den Planeten zu retten? Diese Frage sollte sich jeder stellen. Wenn die vielen tausend Menschen, die bald wieder Abend für Abend das Privileg haben, in Frieden im Konzert zu sitzen, dabei nur ein einziges Mal die Botschaft vermittelt bekämen, dass sie gemeint sind, wäre schon viel geholfen. Das größte Problem der Klimakrise ist ja, dass die allermeisten denken, sie habe mit ihnen nichts zu tun oder sie könnten ohnehin nichts daran ändern. Aber in dieser schweigenden Masse gibt es niemanden, der nicht irgendwie davon betroffen ist.
Könnte die klassische Musik nachhaltiger sein, wenn sich die internationalen Künstler nicht dauernd auf 12.000 Metern Höhe begegneten?
Neubauer: Wir erleben eine Systemkrise, die nur systematisch bewältigt werden kann. Dennoch ist die Frage berechtigt. Aber ich mache mir die Forderung nach der Regionalisierung des Konzertwesens nicht zu eigen. Der musikalische Austausch ist sicher wichtig, auch global. Es ist eine Frage des Maßes: Können Tourneen nachhaltiger organisiert werden, statt für ein einziges Konzert über die Weltmeere zu fliegen? Können digitale Formate eine Unterstützung sein? Es gibt übrigens schon die lose Vereinigung „Artists for Future“, die sich mit genau diesen Fragen beschäftigt. Es braucht dringend Vorbilder, die ihre Bühne nutzen – in jedem Genre.
Sie sind weit mehr als das Gesicht der Fridays-for-Future-Bewegung, sondern machen Ihre Kritik auch am Wachstumswahn und dem Kapitalismus selbst fest. Geht das der eher konservativen Musikwelt möglicherweise zu weit?
Neubauer: Wenn man nur mit solchen Schlüsselworten arbeitete, hätte man sicher Verständnisprobleme. Wir versuchen aber schon, die Naturzerstörung reflektiert zu betrachten. Sie fiel ja nicht vom Himmel, sondern folgt handfesten Interessen einer privilegierten Minderheit zulasten der Mehrheit. Das ist im Übrigen keine neue Erkenntnis und wurde vom Club of Rome schon formuliert, bevor ich geboren wurde.
Jetzt ist also nur die Frage, wie wir damit umgehen.
Neubauer: Die allermeisten Menschen antworten auf die Frage, ob sie glauben, dass es ihren Kindern mal besser gehen wird, mit Nein, weil sie innerlich spüren, dass wir das Wachstum auf der einen und die Naturzerstörung auf der anderen Seite ausgereizt haben. Wir sind ja auf der Straße nicht, weil es die Klimakrise gibt, sondern weil es nicht zu spät ist, sie zu bewältigen. Die meisten Menschen nehmen sich selbst nicht wichtig genug, wenn es darum geht, einen Unterschied zu machen. Wären alle gleich verzagt, gäbe es keinerlei große Errungenschaften.
Wie motivieren Sie sich dann immer wieder zur Aufklärung?
Neubauer: Ich sehe jeden Tag, was passiert, wenn sich Menschen zusammenfinden, die nicht mehr alles hinnehmen wollen. All jenen, die behaupten, es lohne sich ohnehin alles nicht, gehen immer mehr die Argumente aus.