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Blickwinkel: Peter Ammer

„Diese Angst habe ich überhaupt nicht!“

Das Projekt „Singen – Orgel 4.0“ ergründet in Nagold, welche Möglichkeiten die Digitalisierung der Orgel für das Singen im Gottesdienst bietet. Peter Ammer, Kirchenmusikdirektor in Nagold und Vorsitzender des Verbands Evangelischer Kirchenmusik in Württemberg e. V., über Chancen, Möglichkeiten und Vorurteile.

vonJulia Hellmig,

Inwiefern sind Sie in das Projekt involviert? Und warum ausgerechnet Nagold?

Peter Ammer: Ich bin derjenige, der zu ergründen versucht, was man mit Digitalisierung alles machen kann. Denn an diesem Thema kommen weder Orgelbau noch Kirchenmusik vorbei. 2018 hatte die evangelische Landeskirche in Württemberg eine Digitalisierungskommission eingesetzt und einen Innovationsfonds für Projekte zum Thema „Kirche und Digitalisierung“ aufgelegt. Unsere Weigle-Orgel in Nagold war 2012 im Rahmen der Restaurierung schon mit Setzer, MIDI und großem Touchscreen ausgerüstet worden, sodass eine Weiterentwicklung dieses Themas nahe lag. Und jetzt kommen regelmäßig Interessierte, um die Orgel zu testen und ihre Möglichkeiten auszuprobieren.

Wie unterscheidet sich Ihre Orgel von anderen?

Ammer: Solche Orgeln gibt es in Deutschland aktuell eine gute Handvoll. Trotzdem gibt es bei uns ein paar Spezialitäten, die es sonst nirgends gibt. Aber im Prinzip ist sie eine ganz normale mechanische Orgel, deren Register elektrisch über Schleifenzugmagnete gesteuert werden. Über den MIDI-Recorder oder eine Software kann ich die Orgel spielen lassen. Entweder spielt sie komplett alleine, oder ich spiele eine Melodie und das Programm setzt dazu die Akkorde. Das ist aber noch nicht perfektioniert, weil die Harmonieführung momentan noch ziemlich einfach und logisch ist. Das wäre eine Aufgabe für die Künstliche Intelligenz, die dann überlegt, welcher Akkord zu welcher Melodie in der Romantik, im Barock oder in der Popmusik passt.

Gibt es auch Vorbehalte?

Ammer: Alle haben Vorbehalte! Vor allem viele Orgelbauer haben Angst, dass sie nicht mehr gebraucht werden, weil Mikrofone und Boxen immer besser werden. Diese Angst habe ich überhaupt nicht! Erstens steht in jeder Kirche eine Orgel, sie ist schlicht Teil der Architektur. Und mir ist bis jetzt noch kein anderes Instrument bekannt, mit dem ich allein so abwechslungsreich und effektiv Gemeinden begleiten kann. Allerdings muss ich die Orgel auch gut spielen können. Bei vielen Gemeindemitgliedern ist die Orgel unbeliebt, weil der Organist heillos überfordert ist und ihre – modernen – Kirchenlieder so totmacht, dass es einfach keinen Spaß mehr macht dazu zu singen. Deswegen wird auch der Beruf des Kirchenmusikers nicht überflüssig werden. Ein guter Organist spielt ja nicht bloß stur die Lieder runter, sondern passt sich der Gemeinde beim Singen an. Unterricht gibt die Künstliche Intelligenz auch nicht, und sie kann genauso wenig Begeisterung für das Instrument und überhaupt für die Musik weitergeben.

Wie wird eine Orgel digital?

Ammer: Ich will ja nicht, dass jede Orgel digitalisiert wird, sondern wir müssen bei jedem Instrument einzeln schauen, ob eine Digitalisierung sinnvoll und überhaupt realisierbar ist. Dabei muss ich mir genau überlegen, wie ich die Kirchengemeinde mit einbeziehe, muss ich mich fragen, was ich mit der Orgel überhaupt vorhabe – und ob ich überhaupt will, dass später zum Beispiel Jugendliche von ihrem Handy aus die Orgel für Musikexperimente steuern können.

Peter Ammer an der digitalisierten Weigle-Orgel in Nagold
Peter Ammer an der digitalisierten Weigle-Orgel in Nagold

Warum muss eine Orgel überhaupt digital werden?

Ammer: Wenn eine Orgel nicht gespielt wird, wird sie nicht erhalten, und dann zahlt erst recht keiner Geld dafür. Bei meinen Orgelführungen gibt es immer wieder Kinder, die noch nie in ihrem Leben eine Orgel gesehen oder gehört haben. Wir müssen dafür sorgen, dass wir das Instrument wieder bekannt machen. Das schaffe ich durch neue Zugänge, also dass ich eben übers Handy mein Lieblingslied von der Orgel vorspielen lassen kann, wenn ich will, sogar im Stil eines Bach-Chorals. Da gibt es wirklich schon ganz tolle Sachen. Aktuell haben wir 380 Studierende der evangelischen Kirchenmusik in Deutschland. Aber in ein paar Jahren können wir damit noch nicht mal alle Stellen nachbesetzen. Das heißt, ich muss mir Alternativen überlegen, damit trotzdem weiterhin jeden Sonntag zur Gemeindebegleitung gespielt werden kann. Und wenn eine Orgel da ist, sollte ich sie nutzen, im Zweifel lieber elektronisch-digital. Die Alternative wäre, dass gar nicht mehr gesungen wird – und das ist keine Alternative.

Das ist momentan ja leider aus anderen Gründen Realität …

Ammer: Und das ist für mich die Vollkatastrophe, das geht nicht! Bei Luther heißt es, die Verkündigung ist ein Teil des Priestertums aller Gläubigen, das heißt, die Gemeinde nimmt aktiv am Gottesdienst teil. Die Corona-Situation ist nicht das, was Gemeinde und Gemeinsamkeit ist. Deswegen ist es umso wichtiger, dass eine Orgel gut gespielt wird. Meine Frau, mit der ich mir die Kantorenstelle teile, macht aktuell unter der Woche Stimmpflege, damit die Leute wenigstens wieder regelmäßig singen. Das geht am besten mit der Orgel, weil man mit ihr einen stehenden Klang erzeugen kann. Und trotzdem bin ich nicht gegen das E-Piano, das ist bei mir auch regelmäßig im Einsatz – das können wir sogar vom Orgeltisch aus spielen! Und das eine schließt das andere nicht aus. Nur bedarf die Orgel einer größeren Aufmerksamkeit, damit sie nicht gänzlich in Vergessenheit gerät.

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