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Blickwinkel: Sönke Lentz

„Ich halte es für wichtig, diesen Kulturaustausch fortzuführen und zu intensivieren“

Menschen zusammenbringen, Brücken bauen und Kulturen aneinander annähern: Für Sönke Lentz, Orchesterdirektor des Bundesjugendorchesters beim Deutschen Musikrat, geht das Hand in Hand mit der musikalischen Ausbildung der Jugendlichen. Diesmal liegt der Fokus dabei auf der deutsch-französischen Freundschaft.

vonIrem Çatı,

Das Bundesjugendorchester und das Bundesjugendballett sind in der Vergangenheit schon öfter gemeinsam aufgetreten. Was ist diesmal anders?

Sönke Lentz: Wir haben uns grundsätzlich vorgenommen, dass das Bundesjugendorchester und das Bundesjugendballett in größeren Abständen immer wieder zusammenarbeiten, weil es einfach zwei Kunstformen sind, die eigentlich sehr viel miteinander zu tun haben, in der Realität aber oft weit auseinander sind. Wir setzen uns für jedes dieser Projekte thematische Schwerpunkte. Im Januar werden wir Deutschland und Frankreich im europäischen Kontext in den Mittelpunkt stellen. Damit feiern wir das 30-jährige Jubiläum des Vertrags von Maastricht, in dem die Gründung Europäischen Union beschlossen wurde, sowie den 2019 unterzeichneten Vertrag von Aachen, dem Nachfolgeabkommen des Élysée-Vertrags. Der hat ja bekanntlich die deutsch-französische Freundschaft in ganz besonderem Maße begründet. Deshalb haben wir diesmal auch Gäste aus dem nationalen französischen Jugendorchester eingeladen und machen damit den Reigen der Kooperationspartner noch größer.

Warum ausgerechnet die deutsch-französische Freundschaft?

Lentz: Wir sind bei der Besprechung unserer Themen und besonders beim Thema Europa noch einmal darauf gestoßen, wie wertvoll eigentlich die deutsch-französische Freundschaft ist. Vielen jungen Menschen ist gar nicht bewusst, dass eine jahrhundertelange Feindschaft die beiden Länder getrennt hat und wie bemerkenswert es ist, dass Deutschland und Frankreich in der Nachkriegszeit mit dem Élysée-Vertrag den tiefen Hass überwinden konnten. Für mich ist das ein ganz starkes Symbol dafür, was Nationen bewegen können. Wenn wir auf die vielen Konfliktregionen weltweit blicken, macht es glücklich zu sehen, dass es möglich ist, einen anderen Weg zu gehen als den der Konfrontation. Deswegen freuen wir uns auch ganz besonders darüber, dass Claudia Roth als Bundesbeauftragte für Kultur und Medien das Projekt wesentlich unterstützt.

Bundesjugendorchester
BJO, Bundesjugendorchester in und ausserhalb der Tauber Philharmonie in Weikersheim

Wie waren die Reaktionen unter den Musikern?

Lentz: Die Jugendlichen sind es von uns gewohnt, dass wir solche Themen aufgreifen. Wir haben viele internationale Projekte, die sich in der jüngeren Vergangenheit aber eher auf entferntere Regionen fokussiert haben – das letzte große Kooperationsprojekt war eine Reise nach Südafrika. Im Herbst gab es eine trilaterale Begegnung mit Musikern aus dem St. Petersburger Konservatorium und unseren Freunden aus dem französischen Jugendorchester. Für die Jugendlichen ist es also nichts Neues, und ich halte es für wahnsinnig wichtig, dass wir diesen Kulturaustausch fortführen und intensivieren. Auch wenn sie solche Jubiläen wie jenes des Maastricht-Vertrags nicht im Bewusstsein haben, lassen sie sich sehr gerne darauf ein. Einige Jugendliche waren tatsächlich eher überrascht, weil im Schulunterricht die deutsch-französische Beziehung in erster Linie im Kontext der beiden Weltkriege gesehen, aber eben nicht umfassend beleuchtet wird. Das hat uns darin bestärkt, dass das genau das richtige Projekt ist, um die Besonderheit dieser Beziehung sowohl den Jugendlichen als auch dem Publikum zu verdeutlichen und ins Bewusstsein zu rufen.

Inwiefern kann Musik helfen, Brücken zwischen verschiedenen Nationen zu bauen?

Lentz: Ich glaube, es ist ganz wichtig, Begegnungen zu schaffen, weil nur durch den persönlichen Kontakt, durch Gespräche und durch gemeinsame Taten wird unser Blick geweitet, werden Vorurteile, die noch eventuell existieren, abgebaut. Das ist in der Musik- und Tanzwelt sowieso gegeben, auch bei uns im Orchester und im Bundesjugendballett gibt es viele Mitglieder, die aus anderen Staaten kommen und andere Nationalitäten haben. In diesem Fall geht es aber verstärkt um die Geschichte zweier Nationen. Das können wir leider nicht mit jedem Land machen, da wären wir 195 Jahre beschäftigt (lacht)! Aber eigentlich wäre es nötig.

Wie laufen die Proben mit den französischen Jugendlichen?

Lentz: Das erste Zusammentreffen war spannend, weil es nicht nur sprachliche, sondern auch musikalische Unterschiede zwischen beiden Ländern gibt. Das fängt schon damit an, dass es bei manchen Instrumenten technische Unterschiede sowie unterschiedliche Spielweisen und Traditionen gibt. Da bewegt man sich auf einander zu. Hinzu kommt, dass sich sowohl die deutschen als auch die französischen Jugendlichen mit Filmen vorbereitet haben und wir eine hochkarätige Podiumsdiskussion und Workshops zur deutsch-französischen Geschichte und Gegenwart durchgeführt haben. So bekommen sie neben dem Musikalischen auch lebendige Länderkunde. Es ist mir wichtig, dass wir alle eine gemeinsame Basis haben.

Bundesjugendballett
Bundesjugendballett

Das Programm besteht ausschließlich aus Werken von Richard Strauss und Maurice Ravel. Wieso haben Sie sich für diese beiden Komponisten entschieden?

Lentz: Das hat verschiedene Hintergründe: Wir haben das Programm augenzwinkernd „Brüder im Geiste“ betitelt, denn die beiden haben einige Gemeinsamkeiten, etwa in der virtuosen Orchestrierungskunst. Es gibt aber auch Trennendes zwischen den beiden, vor allem in ihren Lebensweisen. Auch charakterlich waren sie sehr verschieden. Trotzdem sind dies zwei Komponisten, die eine wichtige Rolle in der sinfonischen Musik der beiden Nationen spielen und die in ihren Kompositionen Geschichten erzählen. Das ist wichtig für die Tanzbarkeit der Choreografie, und so lag es für uns die Kombination von Strauss mit Ravel auf der Hand.

John Neumeier ist Intendant des Bundesjugendballetts und erarbeitet für das Projekt extra eine neue Choreografie für Strauss‘ „Der Bürger als Edelmann“. Wie interpretiert er das Thema „Internationale Freundschaft“?

Lentz: John Neumeier und das Bundesjugendballett gehen offen in die Entwicklung der Choreographie. Während das Bundesjugendorchester die fertigen Noten hat, bei denen es in erster Linie interpretatorische Freiheiten gibt, arbeitet das Ballett eher im Prozess. Verraten können wir, dass eine Gesamtdramaturgie entworfen wird. Es gibt also nicht nur die Choreografie von John Neumeier zu „Der Bürger als Edelmann“ und die des Bundesjugendballetts zum Klaviertrio von Ravel, auch die Übergänge zwischen den Werken sollen inszeniert werden. Wir sprechen intern  sogar von Akten und nicht von Konzerthälften. Es wird also eine große Geschichte der Freundschaft erzählt werden.

Hinweis: Das Konzert am 17. Janaur in der Berliner Philharmonie wird auch in der Digital Concert Hall der Berliner Philharmoniker übertragen.

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