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Blickwinkel Spezial – Publikum des Jahres 2021 – Benedikt Stampa

„Die Solidarität ist extrem hoch“

Benedikt Stampa, Intendant vom Festspielhaus Baden-Baden, rückt Spielbetrieb und Publikum einander näher.

vonJohann Buddecke,

Sie haben laut ihrem Programm für 2022 die letzten Monate als Chance genutzt, um das Festspielhaus Baden-Baden fit für die Zukunft zu machen. Welchen Anteil hat das Publikumsverhalten an dieser Neuausrichtung?

Benedikt Stampa: Es hat zumindest einen sekundären Anteil, weil wir schon seit langer Zeit sowohl im Festspielhaus als auch im Klassikbetrieb insgesamt beobachten, dass sich das Publikum an eine Art Durchlaufbetrieb gewöhnt hat. Das Festspielhaus Baden-Baden ist ja eine besondere Einrichtung, also kein normaler Konzertsaal, wie man sie in vielen deutschen Großstädten findet und die eine Art Grundversorger für das regionale Publikum sind, das sein tägliches Konzert hören möchte. Das Festspielhaus Baden-Baden ist eher ein Hybrid. Das Schwergewicht liegt, wie der Name schon sagt, auf dem Festspiel-Gedanken. Baden-Baden wird in dieser Hinsicht sehr stark als Festspielstadt wahrgenommen. Das Publikum fragt da auch gerade in dieser Hinsicht nach, worauf wir natürlich reagieren. Die neue Programmstruktur ist darauf ausgelegt, dass viele Menschen nach Baden-Baden kommen, um mehrere Tage zu bleiben und auch Konzerte, Veranstaltungen und Opernaufführungen besuchen.

Der Tourismus wird also gezielter mit eingebunden?

Stampa: Der Tourismus ist ein Teil von Baden-Baden, den wir nicht ausblenden möchten. Es gibt natürlich verschiedene Arten von Tourismusströmen und unser Ziel und Wunsch ist es, dass wir sowohl die Menschen aus der Region inklusive der Schweiz und Frankreich ansprechen als auch ein Publikum aus Übersee oder aus weiter entfernten europäischen Ländern, beispielsweise mit den großen Festspielen wie im Herbst oder zu Ostern.

Wie verhält sich Ihr Publikum bezogen auf die derzeitige Lage?

Stampa: Trotz der schwierigen Situation verkaufen wir weiterhin sehr gut. Es gibt natürlich auch einige Veranstaltungen, die weniger gut laufen. Aber überraschenderweise sind wir sehr stabil. Gerade erreichte uns allerdings die Nachricht, dass das Land Baden-Württemberg jetzt wieder verschärfte Regeln umsetzt, sodass wir bei fünfzig Prozent Auslastung Schluss machen müssen. Das bedeutet, dass wir für viele Veranstaltungen, die bereits im Verkauf sind, das Kontingent verringern müssen. Das trifft natürlich leider gerade die großen Wintergastspiele etwa vom Mariinsky-Ballett und -Orchester, die erwartungsgemäß sehr gut im Vorverkauf laufen. Insgesamt aber – toi toi toi – ist unser Publikum stabil. Dazu muss man allerdings erwähnen, dass wir zwei Vorteile haben. Zum einen ist das Festspielhaus ein sehr großes Haus, mit einem Raumangebot von 2500 Plätzen, was ein subjektives Sicherheitsgefühl beim Publikum hervorruft. Zum anderen bietet Baden-Baden als kleiner Ort mit viel Natur ein hohes Maß an Sicherheit.

Welcher Teil des Publikums ist nach der Öffnung der Säle zurückgekommen, welcher Teil zögert und von wem muss man sich vielleicht endgültig verabschieden?

Stampa: Das Stammpublikum war ganz schnell zurück. Natürlich sind auch unter denen viele Menschen, die sehr vorsichtig sind und bis vor wenigen Wochen noch zögerten. In der Tat haben wir das internationale Publikum verloren, vor allem das aus Japan und Russland, Amerika und Kanada. Wobei wir unter den Buchungen für das neue Jahr bereits wieder Anfragen von internationalen Gästen haben. Sobald sich die Situation wieder nachhaltig stabilisiert, wird aber auch dieser Teil des Publikums wiederkommen. Wobei das wahrscheinlich noch ein paar Jahre dauert.

Sind neue Gruppen im Publikum zu beobachten? Zum Beispiel Spontanbesucher oder jüngere Menschen?

Stampa: Gerade was die jüngere Zielgruppe anbelangt, haben wir einen relativ großen Sprung gemacht. So bieten wir nun wesentlich offensiver Programme für junge Leute an, was zugegebenermaßen in den letzten Jahren wenig betrieben wurde. Da haben wir Nachholbedarf.

Damit verbunden ist es ihr Konzept, das Publikum stärker zu integrieren. Ist denn ein genereller Trend dahingehend bemerkbar, dass das Publikum näheren Kontakt zum künstlerischen Betrieb sucht?

Stampa: Ich glaube schon, dass gerade bei unseren Stammkunden die Bereitschaft und momentan auch das Bedürfnis besteht, näher an den künstlerischen Betrieb heranzurücken. Das geht durch alle Altersschichten hindurch. Deswegen haben wir bei uns ja auch den Begriff der Partizipation eingeführt und sprechen nicht mehr von Education. Wir versuchen nun, die Festspiele so zu konzipieren, dass das Thema Partizipation immer mitgedacht wird bei der Programmgestaltung und zwar nicht als Add-on oder Appendix, sondern so, dass es zum Teil unserer DNA wird. Eines unserer Festivals heißt beispielsweise „Takeover“. Das Programm richtet sich speziell an junge Menschen, die quasi unser Festspielhaus erobern und im Idealfall das Programm des nächsten Festivals mitgestalten. Andere Beispiele sind die Herbstfestspiele, bei denen es eine europäische Singschule mit Thomas Hengelbrock geben wird, oder die Osterfestspiele, wo die Berliner Philharmoniker Masterclasses für verschiedene Gruppen anbieten. So haben wir einen ganzen Strauß an Aktivitäten. Letztendlich muss man natürlich sagen, dass so etwas bei Festspielen besser umzusetzen ist als bei einem Normalbetrieb in der Philharmonie.

Welche Erfahrungen mit dem Publikum haben Sie während der Krise getragen?

Stampa: In Baden-Baden ist die Beziehung zwischen Publikum und Festspielhaus sehr speziell. Das Haus wird getragen von privaten Spenden, und zwar sowohl aus dem Freundeskreis als auch von verschiedenen Stiftern, die sehr viel Geld bezahlen. Mit anderen Worten heißt das, dass die Solidarität, auf die wir setzen müssen, extrem hoch war. Da es ja quasi das Haus des Publikums ist, das wir führen, ist der Draht zu den Besuchern naturgemäß sehr eng. Auch haben wir ein sehr gutes Verhältnis zu den meisten unserer Förderer. Ich bin ja hier noch relativ neu in Baden-Baden und ich muss sagen, es ist schon sehr intensiv. Durch das Stakeholder-Prinzip der Förderer, also einerseits Karten zu kaufen und obenderein dennoch zu spenden, erreichen wir eine einzigartige Kundenbindung.

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