Herr Fritzsch, wie kamen Sie auf die Idee, 2700 Liter Grauburgunder während der Reife mit klassischer Musik zu beschallen?
Thomas Fritzsch: Ich bin vor vielen Jahren auf einen Bildband des Japaners Masaru Emoto mit Fotos von Kristallen schockgefrorenen Wassers gestoßen. Emoto beschallte Wasserkristalle einerseits mit Musik von Mozart oder Beethoven, andererseits mit Lärm oder Heavy Metal und stellte fest, dass man auf diese Weise die Strukturen der Kristalle und damit die Qualität des Wassers positiv oder negativ beeinflussen kann. Damit wollte er beweisen, dass Wasser Informationen aufnehmen kann.
Ist eine solche Beeinflussung wirklich plausibel?
Fritzsch: Diese Fotos haben mich beeindruckt, weil sie an etwas anknüpften, dass meiner eigenen Beobachtung entspringt. Ich spiele seit vielen Jahren ausschließlich 250 bis 300 Jahre alte Instrumente und habe immer wieder die Erfahrung gemacht, dass sie eine Klangqualität mitbringen, die nicht von einem einzelnen Spieler herrühren kann. Ich profitiere also von den Erfahrungen, die das Instrument vor meiner Zeit gemacht hat. Vor Jahren hatte ich diesbezüglich ein Schlüsselerlebnis: In einer Meisterklasse ließ ich einen meiner Studenten ein paar Minuten auf meinem Instrument spielen. Die nächsten drei Tage hat meine Gambe wie gestört geklungen. Ich merkte es zum Beispiel daran, dass Saiten in der Amplitude nicht mehr gleichmäßig schwangen, sondern einen „Mecker-Effekt“, den sogenannten Wolfston aufwiesen, der dadurch entsteht, dass die Frequenz kurzzeitig zusammenbricht. Das waren keine Dinge, die man sich einreden kann.
Und was hat das mit ihrem gegenwärtigen Experiment zu tun?
Fritzsch: Ich habe mich gefragt, welche physikalische Gegebenheit des Instruments ist für die Aufbewahrung seiner Erfahrungen verantwortlich? Die Antwort lautet: Das Wasser, das sich in dem Holz befindet und ohne das das Instrument sofort zerfallen würde. Deshalb achten wir Musiker ja immer darauf, dass die Luftfeuchtigkeit für das Instrument nicht zu niedrig ist.
Und wie kamen Sie vom Wasser im Gambenholz zum Wein im Fass?
Fritzsch: Meine Frau und ich kamen auf den Gedanken, dass sich solcherlei Wirkungen auch im Wein niederschlagen müssten. Wir sind hier in Freyburg an der Unstrut ja von Wein umgeben, und als Sonderbotschafter des Burgenlandkreises habe ich viel mit diesem Thema zu tun. Also habe ich beschlossen, ein Experiment zu machen und Wein mit Musik zu beschallen. In der Winzervereinigung Freyburg habe ich dafür den richtigen Partner gefunden.
Wie stellen Sie sicher, dass der Wein Ihre Musik überhaupt richtig „hört“? Er befindet sich ja in einem Fass.
Fritzsch: Ich hatte das Glück, Professor Micky Remann von der Bauhaus-Universität in Weimar kennen zu lernen. Er hat den „Liquid Sound“ erfunden, mit dem die Unterwasserbeschallung der „Toskana-Thermen“ in Bad Sulza, Bad Schandau und Bad Orb vorgenommen wird. Dort liegen die Leute mit den Ohren unter Wasser und hören Musik, die sie in einen angenehmen Halbschlaf fallen lässt. Das Beschallungsverfahren besteht im Kern aus einem Lautsprecher, der für den Unterwasserbetrieb gebaut ist. Im Wasser verbreitet sich der Schall ja fünfmal schneller als in der Luft, es gibt keinen Stereoeffekt und die Frequenzen werden unterschiedlich angehoben beziehungsweise abgeschwächt. Diesen speziellen Lautsprecher haben wir in unser Weinfass eingesetzt.
Also bekommt der Wein eine Aufnahme vorgespielt?
Fritzsch: Es gab im Januar ein Live-Konzert im Weinkeller, das ins Fass übertragen und zusätzlich aufgezeichnet wurde. Als wir die Aufnahme dann über den „Unterweinlautsprecher“ abgespielt haben, war ich total überrascht, dass ich plötzlich die Musik mitten im Keller hörte – und zwar in einer Qualität, die einem guten Studiolautsprecher entsprach. Noch besser: Ich hörte sie so, wie ich sie sonst hinter meinem Instrument sitzend höre mit der räumlichen Verteilung der hohen und tiefen Saiten. Und dieser Klang kam aus dem Fass heraus. Das hat mich echt geplättet. Drei Monate lang wird an jedem Dienstag die Anlage eingeschaltet und das einstündige Konzert über den Tag verteilt mehrmals abgespielt.
Und was erwarten Sie sich davon?
Fritzsch: Im Weinfass gibt es auf dem Grund ein Hefe-Depot. Durch die Schallabstrahlung innerhalb des Fasses, die in einer moderaten Lautstärke stattfindet, beginnen die feinsten Teilchen der Hefe zu schweben, die wiederum für die Sauerstoffbindung verantwortlich sind. Damit wird auch der Geschmack des Weins beeinflusst. Im April kommt er dann auf die Flasche, wie die Winzer sagen. Dann wird er mit demjenigen aus einem unbeschallten Referenzfass in einer Doppelblindverkostung verglichen, um herauszufinden, ob die Weine unterschiedlich schmecken und wenn ja, ob der beschallte Wein ein besserer ist. Dazu haben wir geschulte Weinverkoster der Weinbruderschaft Saale-Unstrut gewinnen können, die das Experiment mit einem erheblichen Geldbetrag überhaupt erst ermöglich hat.
Wenn Ihr Experiment lediglich auf den Bewegungen aufbaut, die Musik im Wasser verursacht, würde es dann nicht genügen, den Wein entsprechenden Vibrationen auszusetzen? Anders gefragt: Ist die Musik nicht nur eine wohlklingende Verpackung für eine eigentlich sehr nüchterne physikalische Versuchsanordnung?
Fritzsch: So simpel lässt sich das nicht reduzieren. Ich denke, dass es überhaupt nicht egal ist, welche Art von Schallwellen den Wein erreichen. Dabei gehe ich davon aus, was Musik in mir als Mensch auslöst. Das ist natürlich eine sehr subjektive Komponente.
Warum haben Sie sich für Musik von Telemann entschieden?
Fritzsch: Natürlich sind Telemann-Fantasien auf der Gambe nicht die einzig denkbare Art, um mit ihr eine Flüssigkeit positiv zu beeinflussen. Für mich spielt aber eine Rolle, dass Telemann selbst eine durchaus starke Affinität zu Wein gehabt hat. Er hatte in seiner Frankfurter Dienstzeit selbst eine Ausschankkonzession, und seine Schwiegereltern in zweiter Ehe besaßen einen Weinberg in der Nähe von Frankfurt am Main. In seiner ersten Autobiografie vergleicht er die Anregung durch die Liebe zu seiner ersten Frau mit der Anregung durch Wein auf Geist und Körper und nennt den Wein „Reben-Balsam“. Zugleich warnt er aber auch vor dem Missbrauch des Weins. Ich hatte auch überlegt, Carl Friedrich Abels Gabenmusik für die Beschallung zu benutzen, weil mein Name ja sehr mit diesem Komponisten verbunden ist. Da er aber zu den schwersten Alkoholikern in London in der Mitte des 18. Jahrhunderts zählte, habe ich davon Abstand genommen.
Warum spielen Sie dem Wein nicht einfach Ihre CD mit den zwölf Telemann-Fantasien vor, die Sie schon vor Jahren aufgenommen haben?
Fritzsch: Ich denke, dass es einen Unterschied macht, ob ich dem Wein eine Studioaufnahme vorspiele oder ob ich ihn tatsächlich live beschalle. Live-Beschallung heißt in diesem Fall, dass die Live-Aufnahme im Weinkeller nicht nachbearbeitet wurde und somit eine ganz andere Lebendigkeit hat, als eine Studioaufnahme.
Sie sind nicht der Erste, der eine Beeinflussung von Musik auf die Qualität von Wein vermutet …
Fritzsch: Nein. Ich habe von einem Winzer in Sizilien gelesen, der in seinem Weinberg Lautsprecher aufgestellt hat. Auch Beschallungen im Weinkeller haben schon stattgefunden, indem einfach CDs abgespielt wurden. Und ich weiß von Kompositionsprofessor Klaus Fessmann am Mozarteum in Salzburg, dass er Weinfässer mit Klangsteinen beschallt. Dieser Wein erfreut sich großer Nachfrage. Wir strahlen aber den Schall direkt in die Flüssigkeit ab, um die denkbar stärkste Beeinflussung zu erreichen. Die Idee ist also nicht ganz neu, aber unser Verfahren ist neu. Und wenn am Ende ein Wein entsteht, von dem wir sagen, er schmeckt toll, dann hat sich der ganze Aufwand gelohnt. Falls nicht, muss ich das Fass allein austrinken.