Er hätte ja gedacht, dass er aufgrund seiner Herkunft und seiner Beschäftigung mit Weltmusik lauter orientalische Musik vorgespielt bekäme, sagt Alon Sariel nach seinem „Blind gehört“. Doch kein einziges Stück für Oud befand sich auf der Playlist, die der in Israel geborene Mandolinist, Lautenist und Dirigent mit stupendem Sinn für die interpretatorischen Feinheiten seiner Kollegen kommentiert hat.
Vivaldi: Konzert für zwei Mandolinen G-Dur RV 532 – III. Allegro
Ugo Orlandi & Dorina Frati (Mandoline), I Soliste Veneti, Claudio Scimone (Leitung)
Apex 1984
Vivaldis Konzert für zwei Mandolinen, klar. Zuletzt habe ich es mit Avi Avital und dem Venice Baroque Orchestra aufgenommen. Unser Tempo war aber nahezu doppelt so schnell. Es fehlt hier die Leichtigkeit heutiger Barockorchester, damals wollte man vielleicht alle Details ausspielen und hat dabei die Form aus den Augen verloren. Ich höre neapolitanische Mandolinen, die erkennt man an ihrem silbrigen Klang. Vielleicht Dorina Frati und Ugo Orlandi? – Als Dirigent hat Claudio Scimone die Mandoline dem großen Publikum näher gebracht. Diese Aufnahme hat was Freudiges, auch wenn sie etwas verstaubt ist.
Hummel: Mandolinenkonzert – II. Andante con variazioni
Raffale La Ragione (Mandoline), Il pomo d’oro, Francesco Corti (Leitung)
Arcana 2021
Ein ganz süßes Stück, aber ein bisschen dogmatisch im Übergang zwischen den einzelnen Variationen. Bei Variationssätzen wie denen von Hummel muss man als Interpret selbst ein einheitliches Konstrukt bauen, sonst ist wieder die große Form weg. Das wurde auf einem historischen Instrument aufgenommen. Ist das Raffaele La Ragione? – Ich habe ihn kürzlich bei einem Festival in Italien kennengelernt. Er und Il pomo d’oro spielen sehr höflich. Einfach mit einem Glas Rotwein in der Hand genießen!
Biber: Der glorreiche Rosenkranz – Nr. 16 g-Moll (Passacaglia)
Daniel Sepec (Violine)
Coviello 2009
Dieses Stück gehört für mich zu den glanzvollsten Perlen der Klassik! Mit Tabea Debus habe ich es für Blockflöte und Laute arrangiert, zudem noch für Laute und Jazz-Kontrabass im Rahmen des Lamento Project. Bibers „basso di lamento“ ist zeitlos und ermöglicht uns Musikern viel Kreativität! Bisher haben mich nicht viele Aufnahmen auf der Geige überzeugt: zu virtuos, alles im selben Tempo. Aber das hier bewegt mein Herz. Dieser freie Umgang mit der Musik, das klingt wie eine Orgel aus Saiten. Großartig! – Daniel Sepec? Ich muss mir diese CD anschaffen.
Dowland: Forlorn Hope Fancy
Sting & Edin Karamzov (Laute)
Deutsche Grammphon 2006
Das ist Sting mit Edin Karamazov. Edin kennt keine Grenzen am Instrument und scheut sich nicht vor Geräuschen beim Anschlag. Einiges klingt bei ihm wie Slapping, eine Technik, die Lautenisten viel zu selten einsetzen. Es tut beim Anhören fast weh, was wiederum die verzweifelte Botschaft dieses Stückes überträgt.
Kapsberger: Intavolatura di chitarrone – Toccata VI
Luca Pianca (Theorbe)
Passacaille 2021
Ist das Luca Pianca? Sein harscher Klang ist einzigartig! Die Musik ist von Kapsberger. Luca spielt das sehr espressivo, wie ein Rockgitarrist: bravourös, mit Schwung und vielen Arpeggien. Ich bin mit seinen Aufnahmen aufgewachsen, als Lautenist war er lange mein Vorbild. Mittlerweile bevorzuge ich Kapsberger aber filigraner und eleganter gespielt, so als ob man bei den Medicis am Tisch säße.
Hasse: Mandolinenkonzert G-Dur op. 3/11
Anna Torge (Mandoline), Il cantino, Mayumi Hirsaki (Leitung)
CPO 2015
Das ist einfach: Anna Torge. Sie dürfte die einzige Interpretin dieses strahlenden Konzertes in der jüngeren Generation sein. Das spricht Bände! Von Hasse hört man viel zu wenig, obwohl er zu seiner Zeit ein Superstar gewesen ist! Er hatte wie Händel und Mozart ein fantastisches melodisches Talent. Der zweite Satz ist der Oberhammer! Anna spielt die ursprüngliche Fassung. Es gibt dazu auch einen Appendix, der aber bisher nicht eingespielt wurde. Ich muss das Konzert unbedingt aufnehmen, das kommt auf meine nächste Platte!
J. S. Bach: Partita c-Moll BWV 997 – III. Sarabande
Jadran Duncumb (Laute)
Audax 2020
Das ist die Sarabande aus Bachs BWV 997. Sehr schön gespielt. Jakob Lindberg? – Eine neue Aufnahme? Evangelina Mascardi? – (hört weiter zu) Jadran Duncumb! Wir haben bei Holland Baroque beide im Basso continuo gespielt. Seinen Bach habe ich noch nicht gehört. Das Tempo ist getragen, was gut zum ernsthaften Charakter dieser Suite passt, von der man nicht mit Sicherheit weiß, ob sie für die Laute komponiert wurde.
Ben-Haim: Drei Lieder ohne Worte – 2. Ballade
Talia Or (Sopran), bayerische kammerphilharmonie, Gabriel Adorján (Leitung)
CAvi 2021
Die Ballade aus Ben-Haims „Drei Lieder ohne Worte“. Diese Vokalise spiele ich selbst gerne auf der Mandoline. Ben-Haim ist der Vater der israelischen Kunstmusik, der alle Musiker seiner Zeit und in Konsequenz daraus auch mich beeinflusst hat. Geboren in München, wurde er später Assistent von Bruno Walter und Hans Knappertsbusch und hätte in Deutschland eine fantastische Karriere gehabt, wäre die Geschichte des 20. Jahrhunderts anders verlaufen. Als er nach Palästina gekommen ist, ließ er sich bewusst vom Instrumentarium vor Ort, von Landschaftseindrücken und Musikern wie der Sängerin Bracha Zefira inspirieren. Seine „Sonata a Tre“ für Mandoline, Gitarre und Cembalo habe ich als Weltersteinspielung aufgenommen. Ben-Haim will in seiner Musik die orientalische und westliche Welt zusammenbringen. Er gehört in den Kanon der wichtigsten Komponisten des 20. Jahrhunderts. Ich freue mich, dass seine Musik neuerdings auch außerhalb Israels stärker beachtet wird.
Bob Dylan: Don’t Think Twice It’s Alright
Chris Thile (mandolin & vocals), Brad Mehldau (piano)
Nonesuch 2016
Das ist Chris Thile. Er spielt auf einer amerikanischen Mandoline und hat ähnlich wie Edin Karamazov einen individuellen, direkten Ausdruck. Er ist kompositorisch enorm kreativ. In seinen Stücken hört man Jazz, Bluegrass, aber auch etwas Klassik. Ein großer Künstler. Das Lied hier kenne ich nicht. – Ah, „Don’t Think Twice It’s Alright“, das klingt auch genau so, oder? Don’t worry, be happy. Nach langen Probentagen höre ich gerne afroamerikanischen Jazz und Bossa Nova, das bringt mich runter …
Markus Stockhausen: Symbiosis
Tara Bouman (Klarinette), Markus Stockhausen (Trompete), Kammerakademie Neuss am Rhein, Lavard Skou Larsen (Leitung)
Aktivraum 2007
Schöne Erinnerungen: Markus Stockhausen und Tara Bouman mit „Symbiosis“. Das habe ich mit den beiden und dem Münchener Kammerorchester als 23-Jähriger dirigiert, als ich erst kurze Zeit in Deutschland gewesen bin. Ich hatte zuvor mit Markus musiziert, und er ließ mich ins kalte Wasser springen. Aus heutiger Sicht war das Unfug. Da sitzen absolute Kammermusikprofis vor mir und ich zähle meine fünf Achtel. Das Konzert lief gut, aber es hat mich auch viel Schweiß gekostet. Ich habe das Dirigieren in den letzten zehn Jahren sehr reduziert, vielleicht kommt das in Zukunft wieder mehr. Jetzt fühle ich mich reif genug, um vor Musikern wie denen des MKO zu stehen. Wenn ich jungen Musikern etwas vermitteln kann, dann: Jeder Schritt innerhalb einer Karriere hat seine Zeit. Man muss nicht zwingend schon mit siebzehn als Solist mit dem Concertgebouw Orchester auftreten.
Sariel: Mandolin Partita – III. Courante
Alon Sariel (Mandoline)
Pentatone 2021
Davon gibt es bisher nur eine Einspielung (lacht)! Eines Morgens hatte ich die Melodie des Präludiums im Kopf, und innerhalb von zweieinhalb Stunden war das Skelett der gesamten Partita zu Papier gebracht. Ich sehe mich eigentlich nicht als Komponist, aber das war etwas, das ich an diesem Tag einfach tun musste. Die Courante bezieht sich frei auf Bachs h-Moll-Partita für Solovioline. Während der Corona-Zeit habe ich mich viel mit seiner Musik beschäftigt. Er muss etwa in meinem Alter gewesen sein, als er die Cello-Suiten komponiert hat. Wir haben heute ein ernstes Bild von Bach, geprägt von seinen Passionen und dem Porträt von Elias Haussmann, aber er war sicherlich nicht so superkonform, wie wir vielleicht meinen. Ich habe die Partita auf einer neapolitanischen Mandoline von 1780 aufgenommen, für die es nicht viel genuines Repertoire gibt. Wenn ich einen kleinen Beitrag zu leisten konnte, ist das schön.