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Blind gehört Avi Avital

„Da will man doch gleich eine Flasche Wein öffnen”

Der Mandolinist Avi Avital hört und kommentiert CDs von Kollegen, ohne dass er erfährt, wer spielt

vonJakob Buhre,

Während am 1. Mai auf den Straßen der deutschen Hauptstadt zu Polka und Punk getanzt wird, sitzt Avi Avital in seinem Arbeitszimmer in Berlin-Mitte und lauscht aufmerksam den Mandolinenklängen. Dass für den Interview-Termin diesmal ein Feiertag herhalten muss, erklärt ein Blick auf den großen Konzertkalender an der Wand, der kaum noch freie Tage aufweist. Seit seinem Debüt bei der Deutschen Grammophon 2012 ist der israelische Mandolinist weltweit gefragt, gerade erst ist er aus Japan zurückgekehrt, am nächsten Tag steht ein Konzert in Palermo auf dem Plan. Sein Handy hat Avital stets griffbereit, mehrmals benutzt er eine Musikerkennungssoftware, um die gehörte Musik für später abzuspeichern – allerdings erst, nachdem das Geheimnis um den Interpreten gelüftet ist.


Virtuoso Mandolin – Calace: Preludio No. II op. 49
Edith Bauer Slais (Mandoline)
Tuxedo 1969/2007

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Das ist ein Präludium von Raffaele Calace. Er war eine Art Paganini für die Mandoline, eine sehr wichtige Figur zur Hochzeit des Instruments im 19. Jahrhundert. Er hat für die Mandoline komponiert, als würde er eine Sinfonie schreiben, und hat zudem die Technik weiterentwickelt. Doch auch wenn er zu den großen Virtuosen gehört, seine Werke spiele ich nicht. Denn wenn man die beste Geigen- oder Klavierliteratur daneben hält – das ist einfach kein Vergleich! Die Aufnahme scheint mir sehr alt zu sein, aber es ist ein guter Interpret. Vielleicht Giuseppe Anedda? Alles ist sehr sauber gespielt, auch sehr romantisch, ausschweifend, episch. Das passt zu Calaces Zeit, wo die Mandoline der Stolz Italiens war. Ein bisschen kitschig, ein bisschen bombastisch – der Pathos, den der Komponist im Kopf hatte, kommt hier gut durch. Man spielt es so, als hätte man ein ganzes Sinfonieorchester in der Hand. Ich tippe auf eine italienisches Instrument, es könnte sogar sein, dass diese Mandoline von einem Enkel Calaces stammt. Denn Calace war nicht nur Komponist sondern auch Begründer einer Dynastie von Mandolinenbauern.

Hummel: Mandolinenkonzert G-Dur, 1. Satz
Dorina Frati (Mandoline), I Solisti Fiesole
Dynamic 1994

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Das hier ist süß. Das meine ich positiv, denn die Musik soll so klingen! Ich habe das Hummel-Konzert lange gemieden, weil ich es zu einfach und nicht interessant fand. Doch dann haben mich mehrere Orchester gefragt, also habe ich es in mein Repertoire aufgenommen und schließlich auch einen Zugang dazu gefunden. Für mich ist dabei der Kontext wichtig: Johann Nepomuk Hummel war einer der letzten Klassizisten in Wien, als Beethoven in die Stadt kam, er komponierte noch im alten Stil. Das machte nach Beethovens Ankunft aber niemand mehr, worunter Hummel auch etwas gelitten hat. Bei der Erarbeitung des Konzerts hat mir dieses Hintergrundwissen geholfen. Die Interpretation hier finde ich charmant. Ich spiele es aber etwas leichtfüßiger, etwas schneller – und humorvoller. Ich nehme es also nicht zu ernst, wenn ich es spiele, lächeln viele Leute im Publikum.

Ist das vielleicht Alison Stephens mit dem London Symphony Orchestra? Ah, Dorina Frati. Sie spielt auf einem italienischen Instrument, von Calace. Das ist historisch gesehen sogar korrekter. Der Klang ist zierlich, süß, hoch gestimmt – das ist die Ästhetik der italienischen Mandolinen-Musik, sie knüpft also an die Tradition an, das schätze ich sehr. Meine Mandoline ist ein modernes Instrument von einem israelischen Mandolinenbauer, hat einen ganz anderen Klang, ist weniger hell als ein italienisches, aber etwas weicher und reicher an Farben.


Vivaldi: Konzert für Mandoline RV 425, 1. Satz
Rolf Lislevand (Mandoline), Kapsberger Ensemble
naive 2010

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Aha, das hier ist eine Barock-Mandoline, keine neapolitanische. Das merke ich daran, dass die Saiten hier mit einem Federkiel gezupft werden, vielleicht sogar mit der Hand. Ist das Duilio Galfetti? Oder Nigel North? Nein, Rolf Lislevand kenne ich nicht. Aber man hört, dass es ein großartiger Musiker ist, die Einspielung ist erfrischend. Ich mache natürlich einige Dinge anders. Zum Beispiel hat Vivaldi für alle drei Sätze die Anweisung „con tutti li violini pizzicati“ notiert. Das bedeutet, dass sämtliche Geigen pizzicato spielen sollen. Das war eine interessante Idee, denn dadurch entsteht im Hörer der Eindruck, die Geigen wären ebenfalls Mandolinen. Wenn ich das Konzert aufführe, folgen wir auch dieser Anweisung. Bei dieser Aufnahme wurde aber darauf verzichtet, man hört ja den Bogenstrich. Oder warten Sie … Aha, jetzt spielen die Geigen zumindest in den Wiederholungen pizzicato. Vivaldis Idee war für die damalige Zeit natürlich sehr neu, aber ich finde, es ist eine schöne Geste, eine Verbeugung des Orchesters vor der Mandoline.


Mozart: Sonate A-Dur KV 331 (Arr. Tewes/Bagger)
Detlef Tewes (Mandoline), Björn Bagger (Gitarre)
Antes Edition 2005

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Wundervoll! Diese CD möchte ich für meinen Sohn haben. Die Mandoline hat ja viele Gesichter und es gibt verschiedene Assoziationen. Hier höre ich die Mandoline als sehr intimes Instrument. Etwas, was direkt an dein Herz geht. Das ist sehr kammermusikalisch, klingt charmant, wunderbar. Ich höre hier keine Ambitionen, die Welt zu erobern oder eine Arena zu füllen. Die Mandoline war ja zu Beginn vor allem Salon-Instrument in der Aristokratie. Bilder von der damaligen Zeit zeigen oft junge Frauen mit einer Mandoline im Salon. Die erhielten auf dem Instrument ihre musikalische Erziehung, genauso wie auf der Harfe oder dem Cembalo. Und die Musiksituation war sehr intim. Diese Aufnahme erinnert mich an diese Ursprünge. Ist das Caterina Lichtenberg? Ach, Detlef Tewes, natürlich! Ich kenne ihn auch persönlich, sehr angenehmer Mensch.


Abt: In Venice Waters aus „Serenata Veneziana”
Ugo Orlandi (Mandoline)
Nuovo Era 2002

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Das Stück kenne ich nicht. Ich vermute aber, dass der Komponist selbst Mandolinist war. Es ist die typische Art und Weise, wie man die Mandoline Ende des 19. Jahrhunderts spielte. Wobei hier auch schon die Polyphonie zu vernehmen ist, man hört den Bass und andererseits die Melodie im Tremolo, das geht schon in Richtung 20. Jahrhundert. Wer spielt das? Ach, das ist Ugo Orlandi. Also, am Anfang habe ich noch kurz überlegt ob er es sein könnte.

Er war ja mein Lehrer, ich habe drei Jahre bei ihm in Italien studiert, weil ich die traditionelle Technik und das Original-Repertoire lernen wollte. Und dafür war er der Mann. Ich wollte auch in Italien leben um alles drumherum zu absorbieren, um die Mandoline möglichst authentisch kennen zu lernen. Bis zu dem Moment hatte ich ja nur bei anderen Pädagogen gelernt, von Geigenlehrern zum Beispiel. Im Moment spiele ich ein Stück wie dieses hier nicht in meinen Konzerten. Ich will die Mandoline ja auf ein anderes Level bringen, weg von dem, was sie bisher repräsentiert hat. Ich lasse die Tradition hinter mir und möchte es als klassisches Konzert-Instrument neu erfinden und etablieren. Andererseits – wenn ich darüber nachdenke und auf dieses Repertoire zurückblicke: Als Zugabe könnte ich so ein Stück schon spielen.


Monk: Round Midnight
Edin Karamazov (Laute)
Aquarius 2004

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Oh, das ist sehr cool! Ist das eine Gitarre? Nein, das klingt eher wie eine Laute. Ist das Edin Karamazov? – Ich habe ihn schon live gehört, ich kenne natürlich auch seine Aufnahmen mit Sting und mit Andreas Scholl. Ich finde, man hört hier, dass es ein sehr persönliches Musizieren ist, Edin hat einen sehr individuellen Zugang zum Instrument, er nutzt es für persönliche Reflektion. Und er gehört zu den Musikern, die neue Wege gehen, das gefällt mir.


Calleja: Canción Triste
Zsófia Boros (Gitarre)
ECM 2013

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Traumhaft! Ich mag dieses Repertoire, spanische Elegien, nostalgisch, berührend – so etwas könnte ich den ganzen Tag anhören. Ich merke hier wieder, dass die Gitarre wie auch die Mandoline sehr direkt sind, wie sie dich unmittelbar berühren können. Bei der Aufnahme fühlt es sich so an, als würde jemand direkt in mein Ohr spielen. Sehr romantisch, vom Stil her könnte es durchaus Andrés Segovia sein, doch dafür klingt die Aufnahme einfach zu neu. Julian Bream vielleicht? Zsófia Boros kenne ich nicht. Aber sie spielt fantastisch.


Satie: Gymnopédie Nr. 1
Dominic Miller (Gitarre)
Decca 2014

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Aha, Satie. Also, persönlich ist das hier nicht mein Geschmack. Ich liebe Satie, ich respektiere auch diesen Cross-over-Gedanken, Musik aus verschiedenen Welten miteinander zu verbinden, ich schätze die Geste dahinter. Aber wenn ich das hier höre, verspüre ich eher das Verlangen, die Klavier-Version aufzulegen, weil ich mich erinnere, wie sehr ich das Original mag. Ich ziehe meinen Hut vor der Kreativität, auch weil ich finde, dass es da kein richtig oder falsch gibt. Aber in meinem Auto werden Sie diese Aufnahme nicht finden. Ach, das ist Dominic Miller? Ja, als Gitarristen bewundere ich ihn wirklich. Doch diese CD ist, glaube ich, nichts für mich.


Debussy/Almeida: Clair de Lune Samba
Laurindo Almeida (Gitarre)
Concord Jazz 1979

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Debussy auf der Gitarre – warum nicht? Mir gefällt das, jeder kennt dieses Stück, und so kann man es mal auf einem anderen Instrument hören. Ich mag den Klang hier, er bringt mich in eine Stimmung, in der ich am liebsten eine Flasche Wein aufmachen und Kerzen anzünden würde. Oh, jetzt macht er einen Bossa Nova daraus! Das überrascht mich. Naja, ich hätte es besser gefunden, er wäre beim Original geblieben. Das Problem bei Crossover ist ja auch: Diese Versionen haben oft ein Verfallsdatum. In dem Moment, in dem sie veröffentlicht werden, bringen sie etwas Neues, eine neue Perspektive, sie sind insofern auch interessant und berühren einen. Aber nach einer Weile klingt die Musik plötzlich altmodisch, weil sie einen Zeitstempel hat. Das ist ihr Fluch.

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