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Blind gehört Daniel Müller-Schott

„Da bleibt kein Auge trocken“

In der Reihe „Blind gehört“: Der Cellist Daniel Müller-Schott hört und kommentiert CDs von Kollegen, ohne dass er erfährt, wer spielt

vonMarie von Baumbach,

Daniel Müller-Schott studierte bei Walter Nothas, Steven Isserlis und Heinrich Schiff. Heute spielt er das „Ex Shapiro“ Goffriller-Cello, gefertigt in Venedig 1727. In seiner Schwabinger Altbauwohnung lehnt der weiße Cellokasten an der Wand im Wohnzimmer, ein Notenständer ist aufgeklappt, auf dem Schostakowitsch-Noten liegen.

Brahms: Cellosonate F-Dur op. 99 (Adagio affettuoso)

Jacqueline du Pré (Violoncello), Daniel Barenboim (Klavier) 

1968. EMI Classics

(sofort) Brahms F-Dur, eindeutig. Das sind Jacqueline du Pré und Daniel Barenboim. Das war eine der ersten Aufnahmen, die ich als Kind gehört habe. Man erkennt du Pré sofort am glissando, vor allem an der Art, wie sie zu den unteren Tönen wechselt. Ich habe ein Video von dieser Aufnahmesitzung gesehen, das war hochinteressant. Du Pré und Barenboim haben immer wieder mittendrin unterbrochen, sich Teile angehört. Es ist faszinierend, wie trotz dieser Unterbrechungen die Konzentration und diese besondere Intensität da ist. Eine Innenspannung, die nie nachlässt. Diese Art, Cello zu spielen, ähnelt der Tradition der alten Meister auf der Geige, Heifetz oder Kreisler zum Beispiel. Das ist eine bestimmte geschmackliche Richtung, die man heute nicht mehr so hört. Die Aufnahme hat ein gutes Timing, relativ langsam, und du Pré hat so etwas Großzügiges im Spiel, etwas Weltumspannendes. Wir können dankbar sein für all ihre Aufnahmen.

Piazzolla: Milonga del Angel aus: Angel Dances

Die 12 Cellisten der Berliner Philharmoniker

2005. EMI Classics

Das klingt nach Piazzolla. Sind das die 12 Cellisten der Berliner Philharmoniker? Ich finde es faszinierend, dass man bei den Philharmonikern hört, dass ein Cello nicht nur wie ein Bassinstrument klingt, sondern so viele Schattierungen hat. Ich habe am Anfang kurz überlegt, ob es ein Kammerorchester sein kann, weil das so obertonreich in den Höhen klingt und die pizzicato-Bässe so gut durchkommen. Ein tolles Ensemble. Eine sehr atmosphärische Aufnahme. Die Qualitäten des Instruments, dieses Meditative kommt sehr gut heraus. Die klingen wirklich wie ein Orchester.

Dvořák: Cellokonzert h-Moll op. 104 (Allegro)

Mstislav Rostropowitsch (Violoncello), Berliner Philharmoniker

1968. Deutsche Grammophon

Dvořák! Das ist ein tolles Gefühl auf der Bühne, mit dieser Orchestergewalt hinter sich, das ist nicht umsonst das berühmteste Cellokonzert. (Cello setzt ein) Rostropowitsch! Hätte ich nicht gedacht. Wegen des Orchesters, da habe ich wirklich gerätselt. Ist das die Karajan-Aufnahme? Wirklich? Das Orchester habe ich in noch besserer Erinnerung. Rostropowitsch erkennt man sofort am Zugriff, da bleibt kein Auge trocken. Ich habe ihn als Lehrer erleben können und ihm einige Werke vorgespielt, die ihm gewidmet wurden. Er brannte immer so sehr auf diesen Dvořák-Einsatz! Diese Riesenkontraste. Das Cello ist auch sehr gut aufgenommen, präsent, aber nicht zu vordergründig. Im Orchester ist nicht immer alles 100% technisch perfekt, aber es ist sehr homogen musiziert und es gibt diesen besonderen Karajan-Klang, der unvergleichlich war in der Zeit. Rostropowitschs Ton ist wie ein Fingerabdruck, den hört man immer heraus. Er hat so eine Strahlkraft und ist hoch emotional, kann sich aber auch zurücknehmen und die Musik einfach nur geschehen lassen. Er denkt immer die Partitur mit, weiß genau, was im Orchester passiert. Er war ja auch ein fabelhafter Pianist und Dirigent. Als Mensch war er sehr komplex, sehr stimmungsabhängig und fordernd, nie war etwas gut genug für ihn, und ich glaube, er war auch selbst nie zufrieden mit sich.

Haydn: Cellokonzert D-Dur Hob. VIIb:2 (Adagio)

Steven Isserlis (Violoncello), Chamber Orchestra of Europe

1996. Sony Classical

(nach wenigen Takten) Wie schön, Steven! Hier sind ja fast alle meine Lehrer vertreten. Das müsste das Chamber Orchestra of Europe sein. Ein tolles, wandelbares Orchester, ich habe mit ihnen zuletzt Schostakowitsch gespielt. Steven spielt so wunderbar schlicht, er bringt die Haydn’sche Unschuld in den langsamen Sätzen so gut zur Geltung. Er ist ein großer Verfechter von Darmsaiten, die er seit seiner Kindheit spielt. Sie sind fast doppelt so dick, da hat man eher das Gefühl, eine hohe Kontrabasssaite unter den Fingern zu haben. Ich habe einige Zeit auf seinem Cello gespielt und das Haydn-Konzert mit dem Montagnana-Cello aufgenommen. Aber mit Stahlsaiten. Da ist es gut, wenn man sich auf der Bühne auf sein Instrument verlassen kann. Wenn die Luftfeuchtigkeit oder die Temperatur ein bisschen anders ist, kann es vorkommen, dass man mit den Darmsaiten am Ende einen Viertelton ausgleichen muss. Aber Steven kommt bewundernswert gut damit zurecht, spielt damit auch Schumann und Dvořák und erzielt eine besonders intime Klangfarbe. 

Laurušas: Discorso concitato (Allegro con fuoco)

David Geringas (Violoncello), Lithuanian State SO

2008. Profil Edition Günther Hänssler

Das ist faszinierend. So stelle ich mir den Klang eines Planetensturms vor, ein sehr eruptives Werk. Das Stück höre ich zum ersten Mal. Spannende Musik. Beim Cellisten würde ich auf Geringas tippen. Ich habe ein paar Aufnahmen mit ihm von Pfitzner und habe einmal einen Kurs bei ihm gemacht. Daher kenne ich seine Klangsprache. Er ist jemand, der sich wirklich sehr intensiv auf die Moderne einlässt und sich dafür eingesetzt hat. Hier in München habe ich ihn mal mit einem türkischen Cellokonzert gehört, das war sehr spannend. Wie heißt der Komponist? Vytautas Laurušas, aus Litauen? Äußerst interessant.

Schostakowitsch: Cellokonzert Nr. 2 g-Moll op. 126 (Allegretto)

Sol Gabetta (Violoncello), Münchner Philharmoniker

2008. RCA/Sony Classical

(nach zwei Tönen) Das habe ich gerade geübt! (zeigt auf den Notenständer) Da liegt es! Das spiele ich in ein paar Wochen in Köln. Ein großartiges Konzert, eines der melancholischsten und vielschichtigsten, die es gibt. Später Schostakowitsch. Ich glaube, ich habe mit dem Cellisten schon gespielt, da hat es auch öfters geklappert. Ist das Arto Noras? Nein? Der hat die Saiten auch so dicht über dem Griffbrett und wenn man dann mit vollem Zugriff spielt, dann scheppert es manchmal. Es klingt nach einer Konzertaufnahme, sehr intensiv und unmittelbar. Man muss das mit dem nötigen Ernst spielen, ein einfaches Volksliedthema durchdrungen von resignativer Bitterkeit. Sol Gabetta mit den Münchner Philharmonikern? Sie hat hier in München mehrere Konzerte gegeben, in einem war ich auch. Aber die Aufnahme habe ich nie gehört. Die Klangsprache habe ich nicht sofort einordnen können. Bei allem, was wir vorher gehört haben, konnte man den Cellisten nach ein paar Sekunden erkennen. Einen Ton mit Wiedererkennungswert zu schaffen, ist wahrscheinlich das Wichtigste überhaupt.

Rimsky-Korsakow: Hummelflug, Schumann: Träumerei

Pablo Casals (Violoncello)

1956. EMI Classics

Hummelflug: (lacht) Schön! Der Pianist ist gnadenlos hinterher. Der lässt es gemütlich angehen, und das Cello rast dahin. Aber da kann jemand Cello spielen! Ist das Feuermann? Nein? Wahnsinn, die sind so auseinander, das gibt’s gar nicht. (Träumerei) Das ist Casals in seiner besten Zeit. Er hat einen Ton, der mit wenig Vibrato auskommt, aber unglaublich dicht gehalten ist. Das absolute Gegenteil zu dem, was wir vorher gehört haben. Er ist extrem in den Tempi. Ein ganz anderer Stil. Er hält die Töne, ohne sie mit der linken Hand zu färben. Ich glaube, Casals hat kraft seiner Persönlichkeit und politischer Ausrichtung unendlich viel bewirkt. Er hat ganze Generationen von Musikern inspiriert. Ich habe das Glück, ein Goffriller-Cello aus Venedig zu spielen, und Casals hatte auch sein Leben lang ein Goffriller. Er hat Goffriller so geschätzt, weil es so verlässlich und tragend im Ton ist. Diese dichte, dunkel getönte baritonale Färbung hört man deutlich heraus. Das Cello ist heute im Besitz seiner Witwe und wird ab und zu ausgeliehen an junge Cellisten. Ich habe es auch mal probiert, ein wunderbares Instrument, mit dem diese Aufnahme auch entstanden ist.

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