Kürzlich lauschte ihm ein Millionen-Publikum – nicht auf der Bühne, sondern im Fernsehen: Für den mehrfach ausgezeichneten Tatort „Im Schmerz geboren“ mit Ulrich Tukur hatte Frank Strobel nämlich mit dem hr-Sinfonieorchester 23 Ausschnitte aus Werken von Bach bis Tschaikowsky eingespielt. Dass die Wahl dabei auf den Bayer fiel, verwundert nicht, gilt der Dirigent doch als Experte im Bereich Filmmusik, der sich schon durch fast alle großen Werke der (Stumm-)Filmgeschichte „geschlagen“ hat. Beschränkt ist sein Interesse auf dieses Metier jedoch nicht.
Panzerkreuzer Potemkin – Schlachtschiff
Mark Chaet (Violine), Sergej Sweschinskij (Bass), Alexander Gutman (Klavier)u. a. 2001, Fliegende Bauten
Ich weiß überhaupt nicht, was das ist … das könnte alles Mögliche sein. Dieses Repetitive, Minimal-mäßige ist eigentlich Michael Nyman-Stil … und das ist echt ein Film? Do schaust her – was ist es denn nun? Panzerkreuzer Potemkin? Okay, eine der 50 verschiedenen Fassungen, doch diese kenne ich nicht.
Schnittke: Historia von D. Johann Fausten
Hamburger Philharmoniker, Chor der Hamburgischen Staatsoper, Gerd Albrecht (Leitung)
1996, BMG Classics
Daraus: „Doctor Fausti höllische Verschreibung“
Mit dem Komponisten habe ich mich jüngst auf einem Symposium beschäftigt. Das ist ein Werk an der Schwelle von Alfred Schnittke, vor und nach seinem zweiten Schlaganfall entstanden: Das Leben mit einem Idioten, oder? Nein, nicht? Die Historia von D. Johann Fausten: Naja, fast parallel entstanden. An diese Hamburger Produktion kann ich mich gut erinnern, denn ich habe die Aufführung gesehen, als auch Schnittke selbst da war – bei der Premiere war er ja noch krank gewesen und hat erst eine der späteren Vorstellungen besucht, und da kam ich mit. Das war eine gute, bildgewaltige Produktion. Der Kompositionsstil ist nach seinem zweiten Schlaganfall ja sehr fragmentarisch geworden, sehr reduziert von seiner Sprache – weil eben auch sein Zustand dementsprechend war: Er konnte nur noch mühsam sprechen und entwickelte ein ganz anderes Zeitverständnis. Dinge, die für ihn vom Tempo her ganz normal waren, waren für uns sehr gedehnt – er befand sich da wirklich in einem anderen Bewusstseinszustand für zeitliche Abläufe.
Quadro Nuevo: CinéPassion
Quadro Nuevo: Mulo Francel, Robert Wolf, Heinz-Ludger Jeromin, D. D. Lowka u. a. 2002, Fine Music
Daraus: „Georgia“ aus dem Film „Goldrausch“
Das kommt schon wieder so groovig daher … klingt, als wandelte ich gerade an der Seine entlang – doch vielleicht liegt es daran, dass ich momentan zuviel in Frankreich bin. Aber das ist auch nicht mein Fachgebiet, denn es spielt ja kein Orchester. Goldrausch mit Charlie Chaplin, sagen Sie? Aber das ist nicht die Originalmusik, denn die stammt von ihm selbst, und da kenne ich jede Note, weil ich die bestimmt 30-mal dirigiert habe! Dies hingegen ist eine freie Musik – na gut, das Thema, aber das ist schon sehr weit weg und kaum zu erkennen. Im Original ist das orchestraler Schmelz pur … das ist aber wirklich fies und richtig anstrengend: Da werde ich ja hier aufs Glatteis geführt. Also, dann gehen wir weiter zum nächsten Film, den ich nicht kenne …
Wagner: Die Meistersinger, Hans Sachs
Wiener Philharmoniker, Wiener Staatsopernchor, Norman Bailey u. a., Sir Georg Solti (Leitung). 1975, Decca
Daraus: „Verachtet mir die Meister nicht“
… das ist Wagner – aber sehr flott und entschlackt in den Tempi. Der Klang hingegen ist ein ganz satter, deutscher dunkler Klang … wer ist es denn? Ah, die Wiener, das habe ich mir schon gedacht, denn der Klang ist nicht ganz so finster und dunkel, es kommt ein leichter Schmäh da rein. Und, klar, Solti: Der dirigiert immer zupackend und schnell – da bin ich ein großer Fan. Für mich ist die Solti-Einspielung des Ring auch immer noch eine der Referenz-Aufnahmen, weil er einen ganz eigenen, sehr dramaturgischen Stil hat. Seine Ring-Aufnahme steht bei mir übrigens als Schallplatte – was gerade beim Ring mühsam ist, da man andauernd umdrehen muss. Aber wenn ich die Platten dann auflege, merke ich: Die Schallplatte ist für mich klanglich nach wie vor unübertroffen – da nehme ich auch das Knistern in Kauf.
Strauss: Rosenkavalier
Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, Lorin Maazel (Leitung)
1995, BMG Classics
Daraus: Suite op. 59
Eine sehr zarte Fassung … das ist von den Streichern her unglaublich durchsichtig musiziert – aber ich kann nicht sagen, wer das gespielt hat … ist das wirklich das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks? Das hätte ich jetzt nicht erwartet, muss ich ganz ehrlich sagen.
Cello Cinema
Eckart Runge (Violoncello), Jacques Ammon (Klavier)
2003, Ars Musici
Daraus: Bernhard Herrmann: Psycho
Klingt ein bisschen erratisch – fast wie eine Tonleiter … also aussagekräftig finde ich diese Musik nicht … ah: Ich habe es mir schon gedacht – das ist aber nicht das Original, denn das ist für Streichorchester: Psycho. Aber eigenartig: In dieser Besetzung klingt es leer. Wenn man den Beginn mit Streichorchester macht, entstehen spezielle Schwebungen, die diesen Herrmann-Sound ausmachen und wo es einem kalt den Rücken runterläuft. Und in dieser Fassung für Cello und Klavier kann sich dieses Gefühl nicht einstellen. Da sieht man auch, was die Instrumentationskunst ausmacht, gerade in der Filmmusik. Für mich war der Beginn dieser Psycho-Musik belanglos – obwohl die für mich eigentlich eine der genialsten Filmmusiken ist. Von wem ist diese Fassung? Ach, guck an: Das muss aber zensiert werden, denn ich mag meinen Freund Eckart Runge sehr, er ist wirklich ein großartiger Musiker und super Cellist! Nun gut, das war ja nur der Hitchcock, da sind ja noch viele andere Titel drauf, die bestimmt besser funktionieren. Jetzt muss ich aber meine Zunge hüten: Wer weiß, was da noch kommt …
Wagner: Tannhäuser
Chor und Orchester der Bayreuther Festspiele, Anja Silja u. a., Wolfgang Sawallisch (Leitung)
1962, Philips
Daraus: „Dich, teure Halle, grüß ich wieder“
Das ist ein Live-Mitschnitt, nicht wahr? Eine historische Aufnahme, die phrasieren ganz anders, drängen auf dem Ton ständig noch ein Stück weiter, wodurch so ein extremes Legato entsteht. … Worüber ich gerade gerätselt habe und deswegen auch verstummt war, weil ich schon vermutete, der Mitschnitt sei von den Bayreuther Festspielen: Es ist alles andere als perfekt. Da sind Intonationstrübugen ohne Ende – und auch Unsauberkeiten. Heutzutage würde das doch gar nicht mehr gehen!
Honegger: Les Misérables
Slowakisches Radiosinfonieorchester, Adriano
1989, Naxos
Naja, Filmmusik ist das natürlich … vom Klang her hört es sich wie eine Komposition aus den 40er Jahren an – was ist es denn? Ach, die Honegger-Musik – ja, ich muss zugeben, ich bin kein Freund davon. Und Les Miserables mag ich auch vom Stoff her nicht … Mir ist dies hier auch immer ein bisschen zu unterkühlt, das hat eine sehr große Sprödigkeit. Honegger hat tolle Sachen geschrieben, auch in der Filmmusik: Ich finde etwa dieses kurze Stück Pacific 231 wirklich gut, aber das hier ist mir zu kühl – nichts für Wintermonate.
Schostakowitsch: Hamlet
Russisches Philharmonisches Orchester, Dmitry Yablonsky (Leitung)
2003, Naxos
Diese ganz trocken gesetzten Streicher-Pizzicati von den Celli und Bässen hören sich nach Schostakowitsch an, auch dieses Klarinettensolo … das ist kein sinfonisches Werk, sondern eine Filmmusik – doch nun wird es natürlich schwierig, denn er hat ja über 30 Filmmusiken geschrieben: Ich schwanke da zwischen zweien, weil ich die auch immer verwechsle – Hamlet oder King Lear? Das erstere? Hat Claudio Abbado das nicht auch in seinem Abschiedskonzert mit den Berliner Philharmonikern gespielt? Für mein Metier war das damals ein Meilenstein, dass die Berliner in ihrem letzten Konzert mit Abbado Filmmusik in der Philharmonie spielten: Das hat uns danach in der Argumentation immer wieder geholfen. Denn als ich anfing, kam immer die blöde Frage: Warum machen Sie eigentlich als Dirigent Filmmusik – haben Sie das nötig? Damals in den 80er Jahren war das hierzulande noch längst nicht so selbstverständlich wie in Mittel- oder vor allem Osteuropa, wo Film seit jeher als eine der Künste zählt und Komponisten selbstverständlich alle auch Filmmusik geschrieben haben.
Prokofjew: Romeo und Julia-Suite op. 64
Toronto Symphony Orchestra, Jukka-Pekka Saraste (Leitung)
2002, Warner Classics
Ja, es ist immer wieder ein geniales Stück: Man sieht sie auf dem Balkon… Wir hatten jüngst die Diskussion über die Einschätzung von Schostakowitsch im Vergleich zu Prokofjew, da man ja Prokofjew bei uns im Westen immer noch nicht so ganz ernst nimmt: Hier ist nicht er einer DER Komponisten des 20. Jahrhunderts, sondern Schostakowitsch. Doch wenn man dann nur mal Romeo und Julia nimmt, muss ich sagen: Leute, bitte hört euch das doch mal an, diese so bildhafte und zugleich tiefgehende Musik! Und auch von der Instrumentierung: Wie raffiniert gemacht – plötzlich geht es eine Oktave höher und bekommt binnen Kürze eine enorme Intensität, ohne dass es kitschig ist, denn dafür ist es immer noch einen Tick zu rau. Wobei sich Saraste hier viel Zeit lässt, für meinen Geschmack könnte es zielgerichteter sein.