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Blind gehört Konstantin Krimmel

„Oh, das war aber eine schöne Kadenz!“

Konstantin Krimmel hört und kommentiert Aufnahmen von Kollegen, ohne dass er weiß, wer singt.

vonMaximilian Theiss,

Man trifft sich am Probengebäude der Bayerischen Staatsoper, wo Konstantin Krimmel Ensemblemitglied ist. Auf freischaffendem Wege ist der Bariton auch im Lied- und Sakralrepertoire international gefragt. Höchste Zeit also für ein „Blind gehört“. Nach einer ausschweifenden Tour durch die Katakomben des Nationaltheaters geht’s auch gleich los.

Schubert: Die schöne Müllerin – „Gute Ruh“

Schubert: Die schöne Müllerin – Die schöne Farbe Christoph Prégardien, Andreas Staier (Hammerklavier)
dhm

Das ist Christoph. Ist das das Album mit dem schwarzen Cover, mit Staier? – Mit dieser Aufnahme habe ich immer gelernt, habe sie zeitweise auf jeder Autofahrt gehört. Ich habe viele Einspielungen verglichen, aber mit dieser kann ich am meisten anfangen. Ganz generell hat Christoph technisch irgendetwas richtig gemacht, denn er singt auch heute noch auf unglaublich hohem Niveau. Ich finde diese Aufnahme sehr flexibel, sowohl dynamisch als auch hinsichtlich des Tempos. Auch bin ich ein großer Freund von der einen oder anderen Verzierung, die Christoph da macht. Andreas Staier am Hammerklavier spielt so berührend! Großartig auch, was er an Klang aus diesem Instrument herausholt. Er und Christoph, das passt einfach, das ist von vorn bis hinten eine ehrliche, authentische, hoch künstlerische Aufnahme.

Loewe: Balladen

Thomas Quasthoff, Norman Shelter (Klavier)
Warner Classics 1989

Schönes Tempo. Quasthoff. Einer der wenigen Loewe-Interpreten, die ähnliche Tempovorstellungen haben wie ich. Viele Loewe-Lieder werden für meinen Geschmack viel zu schnell gesungen. Einmal habe ich eine Aufnahme von „Archibald“ gehört, die fast schon im Marschtempo gespielt und gesungen wurde. Ich meine, der Mann kommt nach sieben Jahren zurück, trägt seit sieben Jahren diese Bürde eines Verstoßenen und will nun um Vergebung bitten: Der kommt doch nicht locker-fröhlich dahergelaufen! Bei Quasthoff kommt zum Tempo aber noch eine weitere Ebene hinzu, nämlich mit genau dem richtigen Tonfall die Aussage des Stücks zu treffen.

Schubert: Der König in Thule D 367

The Erlkings
VerdeFish Records 2016

Bryan Benner von den Erlkings. Ich finde megacool, was die machen! Die Übersetzungen sind in eine schöne Reimform gesetzt, speziell dieses Lied hier, und das alles in diesem Singer-Songwriter-Stil. Wobei das überhaupt nicht nach einer Adaption klingt, sondern so, als wäre genau dieses Stück hier das Original. Wäre man nicht von der Branche, würde man wahrscheinlich nie auf die Idee kommen, dass es sich um ein Kunstlied von Schubert handelt. Ich finde es ganz spannend, dass es durchaus Kunstlieder gibt, die mit Gitarre sehr gut, wenn nicht sogar besser klingen als mit Klavier.

Album Cover für Liszt: Die Loreley

Liszt: Die Loreley

Jonas Kaufmann, Helmut Deutsch (Klavier)
Sony Classical 2021

Kaufmann mit seiner Liszt-Platte, oder? – Helmut Deutsch spielt, ja? – Das Klavier ist für meinen Geschmack ein bisschen sehr präsent. Die Liszt-Vertonung der „Loreley“ finde ich grandios, gerade im Vergleich zu den anderen Aufnahmen, die es gibt. Auch was Liszt dem Klavier für eine brillante Stimme gegeben hat, was er dem Klavierpart an Bildern einschreibt – das Instrument ist auch bei ihm keinesfalls nur Begleitung. Für Sänger ist Liszt recht fordernd, aber ich persönlich finde es sehr schön zu singen, gerade die „Loreley“, auch wenn die einen sehr hohen Tonumfang hat. Aber das macht für mich auch den Reiz aus, weil man dann voll einsteigen kann. Es plätschert eben nicht so vor sich hin.

Silvestrov: Farewell, O World! Farewell, O Earth!

Sergey Yakovenko, Ilya Scheps (Klavier)
ECM 2004

Mit dieser Aufnahme habe ich mir viele Nächte um die Ohren geschlagen, als ich den Zyklus einstudiert habe. Leider spreche ich kein Russisch, aber das muss ich ändern, denn es ist auch eine sehr schöne Sprache. Ich finde es unglaublich, wie der Sänger hier es schafft, wirklich alles in diesem Säuseln, fast schon Jammern zu belassen … Silvestrov hat zahllose Stellen im Piano, Pianissimo und so weiter notiert, eine „vertonte Stille“, wie er es ausgedrückt hat. Aber das macht’s halt auch so anstrengend. Es ist ein bisschen so, wie wenn man die Zügel von einem Pferd dauernd festhält und nie loslässt. Trotzdem habe ich größten Respekt, wie der Sänger die „Silent Songs“ hier umsetzt, das ist wunderschön anzuhören. Und doch gibt es in mir eine Stimme, die sagt: Jetzt sing doch mal bitte!

J. S. Bach: Matthäus-Passion

Mark Padmore, Gabrieli Consort, Paul McCreesh (Leitung)
Archiv 2002

Das ist Peter Kooij. Halt, doch nicht … (Choral setzt ein) Das ist ja solo gesetzt! Ein bisschen dicker musiziert, als man es kennt. Eine solistische Besetzung des Chores bei der „Matthäus-Passion“ hat schon seine Daseinsberechtigung, es ist halt anstrengend für die Leute. Aber wenn das gut musiziert ist, dann kann das in einem bestimmten Raum sehr schön klingen – und vor allem sehr schön wirken. Ich habe die „Matthäus-Passion“ zweimal mit Herreweghe gemacht. Außer Jesus und dem Evangelisten singen bei ihm alle Solisten auch im Chor. Ich hatte zuvor schon lange nicht mehr in einem größeren Ensemble gesungen, insofern war es für mich wieder ein sehr schönes Erlebnis.

R. Strauss: Ariadne auf Naxos – „Lieben, hassen, hoffen, zagen“

Olaf Bär, Gewandhausorchester, Kurt Masur (Leitung)
Phillips 1988

Ich kenne die Stimme … – Wie ich’s finde? Schön! Woher kenne ich nur diese Stimme? – Ob man das heute noch so singen würde? Ich denke schon. Das Tempo gefällt mir … Ich habe letzten Sommer in Salzburg den Dichter in Strauss’ „Capriccio“ gesungen. Christian Thielemann hat dirigiert, und bei ihm lernt man selbst als Muttersprachler das Deutsche noch einmal besser kennen. Er sagt, dass die Sänger so deutlich artikulieren müssten, dass Übertitelungen in Opernaufführungen nicht mehr nötig sind. Genau das ist bei dieser Aufnahme hier richtig gut gelungen. Wenn überhaupt, könnte man sich überlegen, ob hier ein bisschen mehr Linie in dem Stück guttäte. Aber ich muss da sehr aufpassen. – Olaf Bär singt, na klar!

Mozart: Le nozze di Figaro – „Non plù andrai“

Bryn Terfel, English Baroque Soloists, John Eliot Gardiner (Leitung)
Archiv 1994

Bryn! Diesen Stimmklang hat nur er. Ich finde, Bryn Terfel ist ein schönes Beispiel dafür, dass man eine große, runde Stimme haben und zugleich textverständlich singen kann. Es heißt, dass für das Abschlusskonzert von Bryn Terfel an der Hochschule die Leute Schlange gestanden hätten. Normalerweise ist das ja eher eine Veranstaltung für Freunde, Familie und die Prüfer … Oh, das gerade eben war aber eine schöne Kadenz. Ich habe ihn einmal live bei einem Liederabend gesehen. Wenn Bryn auf der Bühne steht, dann ist die voll, und das meine ich keinesfalls nur in körperlicher Hinsicht. Er ist einfach eine Erscheinung.

Schubert: Die schöne Müllerin – „Gute Ruh“

Peter Pears, Benjamin Britten (Klavier)
Decca 1958

Eine alte Aufnahme. Ich komme nicht drauf, wer das ist. – Peter Pears. Was für eine Stimmkontrolle! Auch die Phonetik – einfach toll! Obwohl das so eine alte Aufnahme ist: Die Stimme ist absolut präsent. Und das Klavier ist so mulmig, als ob es hinter einem Vorhang oder Teppich stünde … Benjamin Britten und Peter Pears, die beiden hätten alles machen können. Die haben sich blind verstanden, da ist die Empathie und das Zuhören des jeweils anderen von Natur gegeben. Und man hört, was für ein toller Pianist Britten war. Meisterhaft.

Album-Tipp:

Album Cover für Mythos – Werke von Schubert & Loewe

Mythos – Werke von Schubert & Loewe

Konstantin Krimmel (Bariton), Ammiel Bushakevitz (Klavier) Alpha

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