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Blind gehört Mandelring Quartett

„Die Bratsche ist süffig“

Andreas Willwohl und Sebastian Schmidt vom Mandelring Quartett hören und kommentieren CDs von Kollegen, ohne dass sie erfahren, wer spielt

vonEcki Ramón Weber,

Auf einen Kaffee in Berlin: Zwei Mitglieder des Mandelring Quartetts treffen sich mit concerti an einem winterlichen Vormittag in den Räumen ihrer Künstleragentur zum „Blind gehört“-Termin. Primarius Sebastian Schmidt kommt gerade aus Hamburg, wo er als Professor für Violine an der Hochschule für Musik und Theater tags zuvor unterrichtet hat. Nach dem Interview geht es mit der Bahn weiter nach Neustadt an der Weinstraße, dem Stammsitz des Mandelring Quartetts. Andreas Willwohl hat es nicht so weit zum Termin: Der ehemalige Solobratschist des Rundfunk-Sinfonieorchesters Berlin wohnt hier. Seit 2011 ist er Professor an der Hochschule für Musik in Nürnberg, 2015 stieg er beim Mandelring Quartett ein. Beide Musiker diskutieren gutgelaunt ihre Höreindrücke.

Verdi: Streichquartett e-Moll, 1. Satz
Vogler Quartett
BMG/RCA 1991





Andreas Willwohl: Verdi mit dem Vogler Quartett. Ich habe das kurz darauf auch live gehört mit ihnen, im Berliner Konzerthaus.
Sebastian Schmidt: Das ist natürlich ein ganz wunderbares Stück. Schon dieser Anfang, der eine Tür öffnet, der nimmt einen gleich mit. Macht Lust, mehr zu hören. Schmidt: Ein dichter Ton …
Willwohl: … der aber hier wunderbar passt. Ein hervorragendes Timing und eine unglaubliche Klangqualität.

Beethoven: Streichquartett Nr. 9 C-Dur „Rasumowsky-Quartett“, 1. Satz
Alban Berg Quartett
EMI 1984



Schmidt: Das Werk ist klar, Nummer 9 von Beethoven. In der Intonation ist es allerdings höher als das, was ich gewohnt bin. Ist das eine digital überspielte Analog-Aufnahme? Irgendwie ist das etwas angespannt, und auch das Tempo im schnellen Teil nach der Einleitung ist ziemlich zackig. Und manchmal auf Kosten der Deutlichkeit. Das Klangbild ist für mich eigentlich nicht warm, sondern relativ kühl. Eher eine jüngere Formation? Es hat ein bisschen sportlichen Charakter. Beethoven – bei aller Stringenz, die dieses Stück hat – muss auch Zeit haben zum Atmen.
Willwohl: Ich finde das auch mutig, wenn man es so spielt. Alban Berg Quartett? 1984? Nein, Hammer! Die waren ja damals noch jung.

Schubert: Streichquartett Nr. 13 a-Moll „Rosamunde“, 2. Satz
Artemis Quartett
Virgin Classics 2012



Schmidt: Diese Interpretation nimmt sich Zeit für Schönheiten, spielt Details aus. Das ist bei solch einem Stück allerdings auch riskant, wenn man das zu viel macht. Es darf nicht Überhand nehmen, dann würde man den Fluss durchbrechen. Aber in dieser Präsentation finde ich es stimmig.
Willwohl: Ich finde es hier auf jeden Fall sehr gesanglich gespielt. Das geht für mich in Richtung Artemis Quartett, in der Art, wie sie spielen. Es ist dann die Frage, ob man das die ganze Zeit durchhält als Quartett, ob sich zum Beispiel der schöne Ton nicht irgendwann erschöpft. Ich würde es ein wenig schlanker spielen.

Debussy: Streichquartett g-Moll, 2. Satz
Amaryllis Quartett
Genuin 2015



Willwohl: Was sie auf jeden Fall haben, ist eine sehr gute Intonation, auch in den Pizzicati. Ein bisschen wie Paco de Lucia auf der Gitarre, sehr griffig und tolle Farben und eher ein flotteres Tempo, sehr viele Obertöne.
Schmidt: Ich finde es auch gut gespielt. Aber die französische Leichtigkeit, das Parfüm, die sind zugunsten einer starken Präsenz aller Instrumente atmosphärisch in den Hintergrund geraten. Und ich meine, dass man die Pizzicati individuell noch unterschiedlicher gestalten kann. Der Fokus ist hier auf Präzision, Zusammenspiel, man hört alles sehr gut, insgesamt ist es farbig, aber in der Pizzicato- Arbeit würde ich mir wünschen, dass es noch ein bisschen tänzerischer ist.
Willwohl: Also ich persönlich würde dieses Parfüm eher in den dritten Satz legen.

Tschaikowsky: Streichquartett Nr. 1 D-Dur, 4. Satz
Kuss Quartett
Onyx 2012



Willwohl: D-Dur Nummer 1!
Schmidt: Vom Klangbild schlank, filigran, gut ausbalanciert, sehr gut gespielt. Was bei Tschaikowsky sonst in die Vollen geht, das ist es jetzt hier nicht, sondern es bleibt relativ klassisch.
Willwohl: Also, ich habe das Stück eine Zeit lang sehr intensiv gearbeitet, als junger Musiker in vielen Meisterkursen. Sehr anständig gespielt, vom Klang her durchaus russisch. Das Cello klingt für mich hier eher direkt, die Bratsche ist sehr süffig.
Schmidt: Sie ist nicht breit, aber trotzdem fokussiert.
Willwohl: Eher so ein Bruckner-Bratschenklang. Und die erste Geige finde ich ziemlich straight, aber nicht ganz so farbig wie die Bratsche … Das Kuss Quartett, sagen Sie? Das hätte ich jetzt überhaupt nicht gedacht.

Schostakowitsch: Streichquartett Nr. 10 As-Dur, 1. Satz
Mandelring Quartett
audite 2009



Schmidt: Nr. 10!
Willwohl: Vom Klangbild gefällt es mir sehr gut, denn anders als bei vielen anderen Aufnahmen hat man das Gefühl, man säße mittendrin. Ist gut gelöst.
Schmidt: Es ist länger her, dass wir das aufgenommen haben. Ich glaube nicht, dass wir es sind. Es ist aber trotzdem unserem interpretatorischen Ansatz relativ ähnlich. Ich nehme mir heute mehr Freiheiten in der Zeit, genieße ein bisschen mehr die harmonischen Momente. Es ist nicht weit von meiner Idee entfernt. Eine sehr ernst zu nehmende Geschichte, dieses Dürre und dieses Präzise gleichzeitig. Es ist charakteristisch gespielt.
Willwohl: Man braucht bei Schostakowitsch immer Stringenz mit Charakter dahinter.
Schmidt: Wir sind es doch?! Interessant!

Borodin: Streichquartett Nr. 2 D-Dur, 1. Satz
Leipziger Streichquartett
MDG 2012



Schmidt: Bisschen straight einerseits für mich, bogentechnisch nicht so raffiniert, dafür mit Griff in den Schmalztopf bei manchen Dingen. Ja, es könnte raffinierter sein, ein wenig unterschiedlicher in der Atmosphäre. Alles sehr präsent. Ich habe eine etwas andere interpretatorische Vorstellung.
Willwohl: Borodin war ja Chemiker und lediglich Hobby-Compositeur, das aber auf relativ hohem Niveau. Ich glaube, er klingt trotzdem nicht ganz von alleine. Man muss dem Komponisten ein bisschen helfen: Wenn es sich zum Beispiel in der ersten Geige hochschraubt und ich das dreimal gleich spiele, ist es dann erschöpft. Da würde ich von der Farbigkeit des Spiels her viel raffinierter etwas zaubern. Wie bei einem guten französischen Essen.
Schmidt: Genau, der Frankreich-Aspekt fehlt mir etwas in diesem Russischen.

Suk: Streichquartett Nr. 1 B-Dur, 4. Satz
Minguet Quartett
cpo 2015



Willwohl: Schön auf jeden Fall. Ich kenne das Stück nicht.
Schmidt: Ich kenne es auch nicht.
Willwohl: Das ist sehr heikel für das Cello in der Harmonik, es geht ständig hin und her. Vielleicht Reger? Und trotzdem auch so etwas Tschechisches drin.
Schmidt: Josef Suk?! Aha! Welches Quartett? Und wer spielt es? Ich finde, es ist in der Intonation und ensembletechnisch sehr gut, sehr beweglich, sehr farbig. Macht Spaß zu hören. Klanglich reizvoll die erste Geige, die anderen Stimmen auch sehr präsent. Ein gutes Stück. Sind die anderen Sätze auch so gut?
Willwohl: Sehr gutes Quartett. Die Bratsche hat Kern, das Cello ist sehr gut. Wer spielt?

Beethoven: Streichquartett Nr. 16 F-Dur, 3. Satz
Hagen Quartett
Myrios Classics 2013



Schmidt: Hervorragende Einspielung!
Willwohl: So sauber! Schmidt: Super! Und variabel im Klang, jeder Klang sagt etwas.
Willwohl: Nicht zu wenig, nicht zu viel, man hört jedes Instrument ganz klar heraus. Alle vier Musiker sind sehr hochwertig im Spiel, sehr persönlich.
Schmidt: Ich wüsste jetzt zugegebenermaßen auch nicht, wer es ist, aber die Aufnahme ist toll.
Willwohl: Die muss ich mir kaufen!
Schmidt: Hagen? Sehr, sehr gut.
Willwohl: Also eine Kultur, die sucht man heute im Streichquartett!

Dvořák: Streichquartett G-Dur, 1. Satz
Signum Quartett
Capriccio 2015



Willwohl: Von Antonín Dvořák ist das, nicht wahr? Opus 106. Es ist auch eines meiner Lieblingsquartette von Dvořák, wird viel zu wenig gespielt.
Schmidt: Also los!
Willwohl: Das Alban Berg Quartett ist es auf keinen Fall, die haben es offensiver gespielt. Hier ist es feiner. Obwohl diese Stringenz diesem Stück nicht schadet.
Schmidt: Also ich vermisse hier nichts.
Willwohl: Farben ohne Ende, tolles Stück! Ich weiß nicht, wer es ist … Ah, das Signum Quartett!
Schmidt: Kompliment, eine wirklich schöne Auswahl an Aufnahmen!

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