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Blind gehört Maurice Steger

„Das geht gar nicht!“

Der Blockflötist Maurice Steger hört und kommentiert CDs von Kollegen, ohne dass er erfährt, wer spielt

vonChristoph Forsthoff,

Maurice Steger liebt diese Rubrik! So wie der Schweizer auch daheim die Radiosendung „Diskothek“ auf SRF 2 Kultur stets einschaltet, wo zwei Gäste im Blindtest verschiedene Aufnahmen eines Werkes vergleichen und am Ende die beste küren. Einen Sieger gab‘s bei seinem Besuch in Hamburg nicht – dafür aber reichlich Kritik.

 

Air

Michala Petri (Blockflöte), Lars Hannibal (Klavier)

1996, BMG Music 

Daraus: Satie: Gymnopédie Nr. 3

Das ist eine ganz liebe Kollegin von mir, Michala Petri, mit ihrem früheren Ehemann und ständigen Duo-Partner. Das Tolle bei ihr ist, dass sie es geschafft hat, der Blockflöte im 20. Jahrhundert klanglich eine sowohl interpretatorisch als auch repertoiremäßig eigenständige Identität zu geben: Das ist schon eine Leistung für eine Interpretin. Sie kommt nicht aus der Alten Musik und versucht auch gar nicht, die Blockflöte so zu spielen, wie es denn damals geklungen haben könnte, sondern sie geht davon aus: Was könnte ich mit meinem Instrument tun? Als ich noch klein war, war sie eine führende Interpretin und sehr viele wunderschöne Erinnerungen meiner Kindheit sind mit ihr verbunden.

Quantz: Concerto D-Dur für Flöte, Streicher, Basso continuo QV 5:46, 3. Satz

Eckart Haupt (Querflöte), Dresdner Barocksolisten

Capriccio

Das ist eine sehr alte Aufnahme – andernfalls müsste man die Musiker rügen, denn so darf man eigentlich gar nicht mehr spielen. Es ist wirklich schade, dass vieles interpretatorisch auf der Strecke bleibt. Es ist alles noch sehr nivelliert gespielt, die Streicher versuchen nicht einmal, einen leichteren Bogen zu nehmen. Peinlicherweise kenne ich die Musik nicht: Stilistisch könnte ich mir ein spätitalienisches Konzert vorstellen, es ist sehr neapolitanisch im Duktus … Quantz? Wirklich? Interessant – der Mann ist stilistisch wirklich rumgekommen, das merkt man bei ihm immer wieder.

 

J.S. Bach: Französische und Englische Suiten

Stefan Temmingh (Blockflöte & Leitung), Domen Marinčič (Gambe), Axel Wolf (Laute)

2011, Oehms classics

Daraus: Englische Suite Nr. 2  a-Moll BWV 807, Courante

Das ist ein ehemaliger Schüler von mir, der vieles tut, um die Blockflöte einerseits historisch, andererseits von einer neueren Sichtweise darzustellen: Das finde ich einen interessanten Ansatz, es gefällt mir auch klanglich ganz gut. Eine schöne Aufnahme, die übrigens mit unserem Equipment produziert wurde – ich glaube, ich habe die sogar noch abgehört und mitgeschnitten (lacht). Und im Gegensatz zu Michalas Satie-Bearbeitung finde ich dies eine sinnvolle Form, mit barocker Materie umzugehen – Bach selbst hätte das ja fast so setzen können. Es eröffnet dem Repertoire neue Hörmöglichkeiten, die ich gerade mit Blockflöte, Laute und Gambe doppelt interessant finde, fristen diese Instrumente doch bei Bach eher ein stiefmütterliches Dasein.

 

Around The World

Emmanuel Pahud (Querflöte)

Christian Rivet (Gitarre)

2013, Warner Classics

Daraus Händel: Sonate op. 1 Nr. 2 HWV 360, 3. Satz

Jeder Blockflötenspieler hat dieses Stück in seiner Jugend spielen müssen, weil es einfach ein ganz tolles und zugleich auch süßes Stück ist – das hier aber etwas aus der Art schlägt, denn gerade bei Händel finde ich doch den Bezug zum Tasteninstrument sehr naheliegend. Und wenn man das auf allen Ebenen so verdünnt wie hier, finde ich es etwas an der Musik vorbeigespielt, weil einfach harmonisch ganz viel fehlt. Wobei es ein sehr, sehr guter Flötist ist: Der kann schon kochen, nur hat er die falschen Gewürze gewählt.

German Wind Quintets

Quintette Aquilon

2012, Crystal Classics

Daraus Klughardt: Quintett C-Dur op. 95, 1. Satz

Wahnsinn, super –Sie lieben moderne Bläser! Ist unser Thema Bearbeitungen (lacht)? Diese feine Bläserbesetzung finde ich jetzt wunderbar, muss aber gestehen, dass ich das Stück nicht kenne, zumindest nicht so, wie es hier gespielt wird; ich könnte mir aber vorstellen, dass es eine Bearbeitung ist. Es sind unglaublich gute, nicht solistisch spielende Bläser: Die Gruppe ist es offenbar gewohnt zusammenzuspielen, es ist fast rein … ein sehr interessanter, völlig unbrillanter Flötenklang, der mir sehr gefällt … die Oboe sehr viel ungehobelter, die Klarinette immer zu hoch, was mich sehr nervt. Von Klughardt ist das Stück, sagen Sie? Interessant, das ist also tatsächlich im Original so gesetzt – ich hätte wirklich gedacht, dass es für diese Bläserbesetzung arrangiert ist.

J. S. Bach: Doppel- und Trippelkonzerte

Katy Bircher (Querflöte), Rachel Podger (Violine & Leitung), Marcin Swiatkiewicz (Cembalo) u. a.

2013, Channel Classics

Daraus: Konzert a-Moll für Cembalo, Flöte, Violine und Streicher BWV 1044,  2. Satz

Bachsche Trio-Sonate, eine der 520er, ich tippe auf d-Moll, der Mittelsatz. Wenn Sie jetzt den ersten Satz laufen lassen, kann ich es Ihnen genau sagen … oh nein, ich war falsch, sorry – so schlecht, schrecklich. Aber die Mittelsätze sind bei Bach auch alle so ähnlich, finden Sie nicht? Mir gefällt es nicht, es hat keine Aussage: Die Musiker versuchen erst gar nicht, diese Bachsche Musik sprechen zu lassen. Es ist eine Art von wunderschöner Klanglichkeit: Ja nicht zu viel rechts, ja nicht zu viel links, ja nicht zu schnell – alles sehr neutral, was die Musik zwar schön darstellt, aber aufregend oder so spannend, dass ich es sofort kaufen möchte, ist es nicht. Die Geige finde ich große Klasse, die Flöte langweilig, das Cembalo auch etwas – ich könnte mir vorstellen, dass es englische Musiker sind.

Extra Time

Amsterdam Loeki Stardust Quartet

1989, Decca

Daraus Mancini: The Pink Panther Theme

Ein sehr berühmtes Stück! (lacht) Ich nehme an, es ist das größte Blockflötenquartett –das Loeki Stardust Quartet: Jeder ist klanglich in gewisser Weise auf den Nachbarn abgestimmt – allein wäre das vielleicht zu limitiert, um ein großer Interpret zu sein, aber darum geht es in diesem Ensemble auch nicht. Mit Henry Mancini verbinde ich im übrigen, dass ich Fan des Neapolitaners Francesco Mancini bin und viele junge Leute nach den Konzerten zu mir kommen und sagen: So geil wie der richtige Mancini ist deiner nicht, aber dafür bist du geil (lacht).

 Delight & Disorder

 Pedro Memelsdorff (Blockflöte), Andreas Staier  (Cembalo)

 1995, BMG Music

Daraus Purcell: Ground in d

Das ist wieder eine Bearbeitung, gell? Das ist eine der Grounds für Cembalo von Purcell,  ganz hervorragend gespielt! Sehr leidenschaftlich nach innen musiziert – ich glaube, das  ist mein alter Lehrer Pedro Memelsdorff mit seinem damaligen Freund Andreas Staier … ach, das ist großartig: Als Junge habe ich das natürlich geliebt – wunderbar! Als ich 16 war, habe ich Pedro kennengelernt, das war für mich ein tolles Aha-Erlebnis, dass da jemand sagte: Schau mal, so kann die Blockflöte klingen –ich war wie hypnotisiert! Wenn man sich vorstellt, ich bin in den Schweizer Bergen aufgewachsen und dann hört man so etwas … Dann hatte ich das Glück, dreieinhalb Jahre sein Schüler gewesen zu sein. Er war wie ein Jugendlehrmeister, dem ich viel mehr zu verdanken habe als das Blockflötenspiel: Ich habe gelernt, auf was es ankommt in der Musik.

 The Ultimate Recorder Collection

 Michala Petri (Blockflöte), Hanne Petri (Cembalo),  David Petri (Violoncello)

 1988, BMG Music

Daraus Telemann: Sonate Nr. 3 f-Moll, 1. Satz

Sehr berühmt, die f-Moll-Sonate von Telemann, der erste Satz „Triste“ – wovon leider gar  nichts zu hören ist. Und so wie die begonnen haben, so führt diese Art des Musizierens  bei diesen barocken Werken zu keinem Erfolg. Aber es ist ja auch schon eine Zeit her, und Michala ist eine liebe Kollegin und ich sage kein schlechtes Wort über sie. Einst hat man sie hoch gehoben und gesagt: Das ist die Blockflöte! Und dann hat die historische Art zu spielen, Überhand genommen und plötzlich war alles schlecht. Dabei hat sie unglaublichste Möglichkeiten, das Instrument zu behandeln, nur eben nicht so, wie wir es heute gewohnt sind, Alte Musik zu spielen.

 Telemann: Sämtliche Werke für Blockflöte Vol. 2

 Clas Pehrsson & Dan Laurin (Blockflöten)

 1987, BIS

Daraus: Sonate für 2 Blockflöten B-Dur TWV 40:118,  1.Satz

Jetzt geht es zu weit – das geht gar nicht! Das Duett ist eine Form, die ich fantastisch  finde, das Weiterführen einer komplizierten Materie mit Durchführungen und in anderen  Tonarten –und der Kanon ist da die höchste Form der Nachahmung. Wenn man das dann aber einfach so spielt und artikuliert, dass es plötzlich ein Duell wird, dann finde ich es an der Musik vorbei

 Flötenkönig

 Emmanuel Pahud (Querflöte), Trevor Pinnock  (Cembalo)

 2011, EMI Classic

 Daraus C. P. E. Bach: Sonate G-Dur Wq 133, 1. Satz 

 Das finde ich jetzt ein richtig gut gemachtes Beispiel mit neuen Instrumenten. Der Flötist  intoniert schon wie bei Alter Musik, es ist sehr galant – in einem schnellen Satz würden  vielleicht etwas die Sturm- und Drangelemente fehlen – aber sehr gut gespielt. Zu gut, als dass es nur aus dem Bauch heraus käme. Ah, es ist Pahud? Hier klingt er viel barocker als vorhin – seine Freunde haben ihm einfach genau beigebracht, wie man es machen muss: Der kann es einfach! Was jetzt nichts damit zu tun hat, weil oft gesagt wird, die beiden größten Flötisten für ältere Musik kämen aus der Schweiz: Das ist Quatsch – aber der Emmanuel ist schon hervorragend.

 Albinoni: 8 Concertos

 Michala Petri (Blockflöte), I Solisti Veneti, Claudio  Scimone (Leitung)

 1990, BMG Music

 Daraus: Konzert B-Dur op. 7 Nr. 3, 2. Satz

 Das können Sie mir nicht antun: dreimal die Petri von zwölf! Auch wenn ich sagen muss:  Ich finde es geschmacklos, aber so schön! Und ihr ist diese Art von Oberflächlichem,  diese gefällig-noble Stil absolut gegeben – und wie dieses geschmacklose Orchester so fantastisch den emotionalen Wert dieser Musik erkennt und wiedergibt, da geht mein Herz auf! Ja, ich stehe dazu, dass ich auch ein Faible für Kitsch habe!   

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