„Ich habe keine Ahnung“, warnt Maximilian Hornung lachend, während er einen Kaffee zubereitet. „Ich höre schon Klassik, aber keine Cellomusik, sondern eher Sinfonien und Konzerte für andere Instrumente. Ich bin ja den ganzen Tag mit dem Cello beschäftigt.“ Und mit spannender Lektüre wohl auch, wie man an einem Buch sieht, das auf dem Tisch in seinem Musikzimmer liegt: Julian Barnes „Der Lärm der Zeit“, ein Roman über das Leben von Dmitri Schostakowitsch. Es befinden sich auch drei ineinander verkeilte Stühle im Raum. „Die sind noch aus dem Augsburger Theater. Mein Vater ist dort im Orchester“, erzählt er. Er selbst war ebenfalls mehrere Jahre Orchestermusiker: als Solocellist beim Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks. Heute ist der 32-Jährige als freischaffender Musiker unterwegs und lehrt an der Musikhochschule in München.
Dvořák: Cellokonzert h-Moll, 2. Satz
Mstislaw Rostropowitsch, London Philharmonic Orchestra,
Carlo Maria Giulini (Leitung)
EMI Classics 1978
Ach, Dvořák, das habe ich mal gehört … Das mag ich so an diesen alten Aufnahmen, die haben diese wunderbare Sonorität. Man hat das einfach anders aufgenommen als heute. Es könnte Pierre Fournier sein. Nicht? Ich dachte gerade an eine Aufnahme von ihm, weil ich ihn als Kind oft gehört habe. Ist das schön, wie er sich dem Ton hingibt und sich dann ins Dramatische steigert! Er ist auch Dirigent? Wer mag das wohl sein? Ein anderer französischer Cellist? Nein? Das soll Rostropowitsch sein? Auf den wäre ich jetzt überhaupt nicht gekommen! Der hatte für mich eigentlich eine ganz direkte Art zu spielen, ein ganz spezielles Vibrato und einen unverwechselbaren Klang. Und dann diese spezielle Bogenführung. Interessant! Ich finde diesen persönlichen Zugang wunderbar, es ist unglaublich ausdrucksstark. Die Musik entsteht ja sehr viel aus dem Zusammenspiel zwischen Dirigent und Orchester. Es hängt sehr davon ab, wie hier der Klarinettist das Thema am Anfang charakterlich gestaltet. Davon hängt ab, in welcher Art der Cellist das Ganze weiterführen wird. Musizieren ist wie ein immerwährendes Gespräch.
Boccherini: Cellokonzert D-Dur, 3. Satz
Anner Bylsma, Ensemble Tafelmusik,
Jeanne Lamon (Leitung)
Vivarte, Sony Classical 1993
Das habe ich ja noch nie gehört. Ist das Boccherini? Das ist nicht die notierte Tonart, stammt bestimmt von historisch informierten Musikern. Super gespielt, sehr virtuos – einfach großartig! Das ist nämlich unheimlich schwer. Diese Leichtigkeit, diese Präzision! Jedes Detail ist wichtig. Und all die Musik ist oft in sehr hoher Lage notiert. Das macht es nicht einfacher. Sagen Sie mir nicht, dass das Anner Bylsma ist? Wirklich? Ich habe mal einen Kurs bei ihm gemacht. Er war so charmant, wieviel Liebe er in jedes kleine Tönchen packte! Und er konnte es so gut beschreiben. Und dann sein Humor! Einfach grandios.
Bach: Cellosuite Nr. 6, Sarabande
Pablo Casals (Violoncello)
1939 remastered EMI/
Warner Classics 2011
Das Rauschen … Das ist Casals! Ob er aus heutiger Sicht wirklich so bedeutend ist, fragen Sie mich? Ich habe mich nie wirklich mit seinem Leben auseinandergesetzt. Für uns Cellisten ist er eine Legende: der Erste, der die Bach-Suiten auf die Bühne gebracht hat. Wenn man über seine technischen Fähigkeiten urteilen soll, dann wird man wohl sagen können, es gibt bestimmt brillantere Cellisten. Aber musikalisch ist das so überzeugend! Andererseits muss man auch die Aufnahmetechnik berücksichtigen. Vieles wird durch das Rauschen überdeckt, viele Nuancen, auf die es beim Musizieren ankommt. Der Tonmeister ist für mich wie ein zweites Ohr. Er hat eine sehr große Verantwortung während der Aufnahmesitzung, ihm vertraue ich an, dass er meine Wünsche überträgt. Oft hört man sich selbst anders als es dann auf der Aufnahme klingt. Je mehr man allerdings aufnimmt, desto mehr findet man auch heraus, was die Mikros „brauchen“. Zum Beispiel können Live-Aufnahmen nur gut funktionieren, wenn man einen Tonmeister hat, der mit der Technik die Diskrepanz zwischen dem Spielen für den Saal und dem für die Mikrofone ausgleicht. Wichtig ist dabei, dass die eigene, unverwechselbare Stimme durchkommt.
Haydn: Cellokonzert Nr. 1, Adagio
Maximilian Hornung, Kammerakademie Potsdam,
Antonello Manacorda (Leitung)
Sony Classical 2015
Ah, Sie wollen testen, ob ich mich erkenne? Wir haben das so oft zusammengespielt. Bei Haydn muss man „machen“, darf aber nie übertreiben. Andernfalls verliert die Musik ihre Natürlichkeit. Wenn man allerdings nichts tut und kleinste Musikpartikel glattbügelt, dann wird es unendlich langweilig. Man muss einen guten Mittelweg finden.
Schostakowitsch: Cellokonzert Nr. 1, Allegretto
Heinrich Schiff, Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks,
Maxim Schostakowitsch (Leitung)
Philips 1985
Das ist Heinrich Schiff, das merkt man sofort! Dieser knackige Ansatz von der rechten Hand, diese typisch schiffsche Bogentechnik. Die ist einfach grandios! Es ging ihm nur um die Musik. Er hat das mit einer Ehrlichkeit und Überzeugung durchgezogen. Ein wirkliches Vorbild für mich.
Monsieur de Sainte-Colombe, Le retrouvé
Hille Perl (Gambe)
BMG 1997
Wenn ich ehrlich bin: Ich habe keinen blassen Schimmer, was das ist. Dennoch klingt die Gambe großartig. Es gab einen Film über den Komponisten mit Gérard Depardieu („Die siebente Saite“, Anm. d. Red.)? Den kenne ich leider nicht, sonst hätte ich wohl die Musik erkannt. Wie heißt das Stück eigentlich? Das interessiert mich. Damit müsste ich mich mal beschäftigen. Es klingt so pur, als würde die reine Harmonie gespielt. Ach, zeigen Sie mir doch das Cover! Ob ein Cellist Gambe spielen kann und umgekehrt? Als ich in Zürich an der Hochschule studierte, musste man für ein Semester ein sogenanntes „Variant Instrument“ spielen. Ich wählte das Barockcello. Eine Gambe mag zwar nicht im dreifachen Fortissimo spielen können, dafür ist ihr Klang sehr obertonreich und tragfähig. Der Klang einer Gambe hat etwas sehr Beruhigendes. Das Ohr wird wachgerüttelt, aber nicht so, dass Nervosität entsteht.
Lalo: Cellokonzert d-Moll, 1. Satz
Yo-Yo Ma, L’Orchestre du France,
Lorin Maazel (Leitung)
Sony Classical Masters 1983
Das ist Yo-Yo Ma. Das erkennt man nämlich daran, dass er sehr „leittönig“ spielt. Dazu das absolute Legato! Das absolute Espressivo! Ich mag das sehr. Ergreifend und spannend. Es lässt einen nicht los, fast wie bei einem Gaffer, so intensiv empfinde ich das. Als ich noch Solocellist beim BR-Symphonieorchester war, waren wir mit ihm auf Japantour. Er ist so ein lieber, integrer Mensch. Ich durfte auf seinem Cello spielen, er überließ es mir praktisch, weil er kurz wegmusste. Also, ich würde das mit meinem Cello nicht unbedingt machen (lacht).
Tsintsadze: Miniatures on Georgian Folk Themes
Avi Avital (Mandoline)
Deutsche Grammophon 2014
Georgische Musik … Das ist Sulkhan Tsintsadze! Ob der Schwierigkeitsgrad bei Folklore ein anderer ist als bei Klassik? Bei Folklore sind die Noten oft nicht verfügbar, weil vieles nicht verlegt wurde. Auch in Georgien nicht. Ich war ein bisschen an der Quelle, weil mein ehemaliger Lehrer Georgier war. Ich habe auch Kontakt zu jemanden, der dort in den Archiven arbeitet. Eine weitere Schwierigkeit ist, ein Stück wiederaufleben zu lassen, von dem es keine Aufnahmen gibt. In diesem Jahr erscheint meine neue CD mit den zweite Cellokonzerten von Schostakowitsch und Tsintsadze. Letzterer war selbst Cellist, er kannte sich in allen technischen Schwierigkeiten aus und verschont uns nicht! Es gibt da eine sehr große Kadenz mit sehr unangenehmen, ungewöhnlichen und verschachtelten Griffen für die komplexen Harmonien. Ich möchte allerdings keinen großen Fokus auf die Technik legen. Das kann man sich alles erarbeiten. Mich interessieren die musikalischen Aspekte. Wenn man den Zuhörer ergreifen will, Emotionen vermitteln möchte, dann bleibt das schwer. Egal bei welcher Musik.