Gar nicht so leicht, mit Sebastian Manz einen Termin zu vereinbaren, selbst wenn man in derselben Stadt wohnt. Der 32-jährige Soloklarinettist des SWR Symphonieorchesters ist auch außerhalb der Orchestersaison sehr gefragt und dementsprechend viel unterwegs. Nicht nur spielt er regelmäßig Kammermusik in verschiedenen Besetzungen, seit Kurzem ist er auch noch künstlerischer Leiter des Festivals :alpenarte im österreichischen Schwarzenberg. Umso schöner, dass es dann doch mit einem Termin geklappt hat. Ein Milchkaffee steht bereit, ebenso die Stereoanlage, die Session kann also beginnen. Sebastian Manz ist wie immer bestens gelaunt. Tatsächlich wird noch viel gelacht werden während des Hörens …
Aho: Klarinettenkonzert, 1. Satz
Martin Fröst, Lahti Symphony Orchestra, Osmo Vänskä (Leitung)
BIS 2007
Hm … Am Anfang hätte ich gesagt, dass es Martin Fröst ist. Diggediggedigg … Sein Staccato, Doppelzunge, das macht er immer gern. Könnte aber auch Kari Kriikku sein. Vom Klang her hat es in der mittleren Lage etwas Röhriges, Gepresstes, das macht Martin Fröst ganz gerne, und er ist einer der wenigen Klarinettisten, die sich das bei Stücken, die es brauchen, auch trauen. Ein wenig auch im Nielsen-Konzert, wobei er es da meiner Meinung nach noch mehr machen könnte. Dieses Stück hier kenne ich nicht … Viele Bläser, dick besetzt, geht so Richtung Lindberg, aber das ist es natürlich nicht. Vom Klangbild könnte es Kalevi Aho sein. Würde ich in diese Richtung einordnen. Stimmt? Ah, gut! Und es ist schön gespielt, die Höhe ist sehr stabil, gerade bei diesen Glissandi nach oben. Der Klarinettist verwendet kein sehr offenes Material, eher etwas enger, was dann aber in der hohen Lage eben sehr stabil ist. Es ist Fröst?! Er soll ja auch ausgebildeter Balletttänzer sein, macht immer solche Bewegungen (wickelt die Beine übereinander), fast wie ein Schlangenbeschwörer. Diese Musik ist auch vom Gestus her ein bisschen so.
Mozart: Klarinettenquintett A-Dur, 1. Satz
Benny Goodman, Boston Symphony String Quartet
Sony RCA 1956/2010
Wow, was für ein Vibrato! Dieses durchgehende Vibrato lässt vermuten, dass es nichts ganz Aktuelles ist (lacht). Hmm … Also, im ersten Moment hätte ich auf Eduard Brunner getippt. Aber dieses Vibrato macht der Edi nicht. Vom Klang her könnte es was Britisches sein, aber alles im Legato, das ist dann auch eher untypisch. Und für mich mangelt es da irgendwie an Farben … Benny Goodman?! Ich hätte es am Legato hören können, denn er kann ja kein im klassischen Sinne schnelles Staccato, das braucht er im Jazz ja nicht. Aber er hat sich ja trotzdem an den klassischen Sachen versucht und dadurch noch viele Werke in Auftrag gegeben, die mittlerweile Standard sind. Wir haben ihm also viel zu verdanken! Ich kenne ja seine Aufnahmen, die mich damals als Jugendlicher sehr inspiriert haben. Wegen Benny Goodman kam ich eigentlich zur Klarinette. Sein Mozart ist nicht schlecht, aber Weber liegt ihm mehr, den kann er besser raushauen.
Brahms: Klarinettenquintett b-Moll, 1. Satz
Andreas Ottensamer
Deutsche Grammophon 2015
Klar, das Brahms-Quintett. Das hier ist eine eher mattere, dunklere Tongebung. Vom Klangbild, würde ich sagen, ist das eine neuere Aufnahme – saubere Streicher, gut abgenommen. Die Klarinette ist deutsches System, ich würde vom Klang Richtung Österreich tippen. Vielleicht Alfred Prinz, Wenzel Fuchs … Matthias Schorn eher nicht, der hat einen freieren Ton, das hier klingt eher geschlossen. Vielleicht der alte Ottensamer? Aber ob er diese Aufnahme gemacht hat? Der junge Ottensamer? Ah, okay… Da war ich ja nah dran. Stimmt, dieses Album ist ja recht aktuell. Er ist ein sehr guter Klarinettist und legt eine tolle Karriere hin. Aber ich persönlich bevorzuge ein anderes Klangideal.
Rihm: Vier Studien zu einem Klarinettenquintett
Jörg Widmann, Minguet Quartett
Ars Musici 2010
Da muss ich erstmal über das Stück nachdenken. Das kenne ich nicht … Vielleicht von Ilse Fromm-Michaels? Nein? Am Anfang dachte ich, es geht so in Richtung Zweite Wiener Schule. Die Klarinette ist wieder deutsches System. Ich könnte mir vorstellen, dass das Jörg Widmann ist. Ja? Also, eines muss man dem Jörg lassen: Wenn er Zeit findet, das richtige Material zu suchen und zu finden, ist er ein fantastischer Klarinettist (lacht), aber das ist ja bei uns allen so. Er hat in letzter Zeit extrem viel gemacht. Ich schätze ihn sehr, vor allem als Mensch. Jetzt, wo er den Klang so aufgemacht hat im Forte, das ist ganz typisch für ihn. Ein typisch deutscher Klang, es bleibt kernig, was ich sehr mag, wobei manche sicher sagen würden, es spreißelt ein bisschen zu sehr … Aber alles, was er macht, ist immer im Dienst der Musik, und dabei kann und muss es manchmal etwas über die Stränge schlagen so wie hier. Es gibt nur ganz wenige Klarinettisten in Deutschland, die solche Musik spielen. Ist das ein Stück von ihm? Wolfgang Rihm? Ah, von seinem Lehrer.
Mozart: Klarinettenkonzert A-Dur, 1. Satz
Ernst Ottensamer, Wiener Philharmoniker, Sir Colin Davis (Leitung)
Decca 1992/2009
Also das Stück kenne ich nicht! (lacht) Für mich eher Unterkante vom Tempo … (während der Orchesterexposition:) Mehr phrasieren bitte! Richtig schwer wäre herauszufinden, welches Orchester und welcher Dirigent das jetzt sind. Okay, also Sabine Meyer ist es definitiv nicht. Aber wer dann? Warten wir mal noch ein bisschen ab. (hört weiter zu und wartet auf eine bestimmte Stelle) Okay, das ist eine Bassettklarinette, sonst muss diese Stelle oktaviert werden. Vom Klangbild ist das auch wieder eher dunkler, die Musik wirkt eher getragen. Das deutet darauf hin, dass das Material sehr schwer ist, österreichisch eher. Es sackt in den tiefen Lagen ein wenig ab in der Intonation. Ernst Ottensamer, ah. Österreichische Schule eben, ein bisschen gemütlich. Ich kenne von ihm die vier Spohr-Konzerte, die find ich sehr gut!
Koechlin: Klarinettensonate Nr. 2, 1. Satz
Dirk Altmann, Florian Henschel (Klavier)
Hänssler 2005
Also das ist ein Böhm-System, das hört man an bestimmten Griffen, auch an der Klangfarbe. Hier – auf der deutschen Klarinette würde man da einen Gabelgriff nehmen, der klingt etwas weicher. So war die ursprüngliche Klarinette, und auf einer Böhm, die grundsätzlich besser in den Händen liegt, öffnest du einfach die Löcher. So ist es viel einfacher, ein schönes Legato zu erzielen. Aber wer spielt das? Hat eine sehr schöne Technik, sehr sauber. Geht so in Richtung Sharon Kam, aber die hat eigentlich einen typischen Klang, der ist etwas rauer als hier. Auch die Intonation ist sehr gut, alles sehr ausbalanciert. Die beiden könnten ein festes Duo sein, davon gibt’s eigentlich nicht so viele. Das Stück kenne ich auch nicht. Koechlin? Mit Dirk (Altmann, sein Kollege vom SWR Symphonieorchester)? Ah klar, Koechlin, das hätte ich mir ja denken können, das ist sein Lieblingskomponist.
Spohr: Klarinettenkonzert Nr. 1, 3. Satz
Paul Meyer, Orchestre de Chambre de Lausanne
Alpha 2012
Das klingt nach Spohr, aber ich gebe zu, dass ich nicht alle seine Konzerte so gut kenne. Es ist das erste? Ah ja. Dieses Staccato eben klang nach Sharon Kam. Aber auch die Stelle eben klang nach Böhm-Klarinette, die tiefen Töne sind etwas dumpf und leicht zu tief, das deutet auch darauf hin. Ich weiß nicht, wer diese Konzerte noch komplett aufgenommen hat. Könnte das Charles Neidich sein? Oder Michael Collins? Nein? Ich weiß es nicht. Paul Meyer, alles klar, Böhm-Klarinette. Interessant.
Strawinsky: Ebony Concerto, 1. Satz
Sabine Meyer, Bamberger Symphoniker, Ingo Metzmacher (Leitung)
Warner Classics 1998
Das ist meine Klangschule, ich habe ja bei Sabine Meyer studiert. Ebony Concerto von Strawinsky aus der „Homage to Benny Goodman“ mit Wolfgang und Sabine Meyer! Ich kenne das Album sehr gut, ich liebe vor allem die Arrangements.
Copland: Clarinet Concerto
Sharon Kam, London Symphony Orchestra, Gregor Bühl (Leitung)
Teldec 2006
(nach wenigen Takten) Sharon Kam! Aus dem amerikanischen Album. Man hört es zwischen den Tönen. Dieses quasi leicht Gesprochene, das ist typisch Sharon. Der Klang sowieso, er hat etwas Raues. Sharon ist ein sehr emotionaler Mensch, und das legt sie in ihr Instrument rein. Sie ist Perfektionistin, aber ab einem bestimmten Punkt klingt es dann doch nicht mehr perfekt, sondern eher musikantisch. Sie ist einfach eine Rampensau und haut die Dinger dann auch im positiven Sinne voll raus…
Brahms: Klarinettensonate Nr. 1, 2. Satz
Lorenzo Coppola, Andreas Staier (Klavier)
harmonia mundi 2015
(hört lange) Oh, das ist schwer. Es gibt Argumente, die für das deutsche wie auch für das Böhm-System sprechen. Aber die Spielweise schränkt die Auswahl sehr ein. Extremes Pianissimo, so dass man es kaum noch hört. Wenzel Fuchs spielt so, aber der Klang ist bei ihm anders … An solchen Tönen merkt man, dass das Material nicht schwer ist. Auf der anderen Seite gibt es Stellen, wo er nach oben aufmacht, mit viel Seitenluft spielt, was eigentlich ein Indiz dafür ist, dass das Material eher schwer ist. Hm, das ist echt schwierig. Die unteren Töne nimmt er etwas zurück, wohl aus Angst davor, dass es zu tief werden könnte. Auf jeden Fall ist es kein Deutscher. Vielleicht aus den Benelux-Staaten? Nein? Aus Italien, sagen Sie? Lorenzo Coppola, okay. Wär ich jetzt nicht draufgekommen. Vielleicht spielt er eine historische Klarinette, bin ich gar nicht sicher, er hat eine sehr weiche Tongebung, auch im Pianissimo. Eine Mühlfeld-Kopie, ah ja … Hat ja auch das Mozartquintett aufgenommen mit einer historischen Nachbildung. Sehr interessant ihn mit Brahms zu hören, die Intonation ist auch hier sehr gut, da achtet er sehr drauf. Toll.