Öffentlich singt Thomas Quasthoff keine Klassik mehr, doch beim „Blind gehört“ in der Küche seiner Berliner Wohnung gibt der gefeierte Bassbariton die eine oder andere Kostprobe, um zu zeigen, was er im Gegensatz zu den Kollegen anders machen würde. Unterm Tisch hat es sich derweil Zwergrauhaardackel Elli bequem gemacht.
Händel: Messiah
Neal Davies (Bass), Freiburger Barockorchester, René Jacobs (Leitung)
2006, harmonia mundi
Daraus: Rezitativ: „Thus saith the Lord of Hosts“
Toll! Das mag ich sehr. Das könnte eine englische Stimme sein. Die Sänger von der Insel haben ja alle ein stärkeres Vibrato als die aus dem Rest Europas, das hat auch mit der Peter Pears-Tradition zu tun. Neal Davies? Nein, den kenne ich nicht. Die Stimme hat einen schönen Kern, viele Farben, oben sehr offen, keine Hs in den Koloraturen. Und man hört, dass er weiß, wovon er singt. Da kann ich die ganze Geschichte dahinter sehen, wunderbar!
Bach: Weihnachts-oratorium
Klaus Mertens (Bass), Amsterdam Baroque Orchestra and Choir, Ton Koopman (Leitung)
1996, Erato
Daraus: Rezitativ: „Er ist auf Erden kommen arm“
Das ist Klaus Mertens. Wer das dirigiert, weiß ich nicht, aber auf jeden Fall ein Alte Musik-Spezialist. Er singt mit relativ wenig Vibrato, er schleift ein klein wenig an. Ich finde, das ist sehr spezifisches Singen für Alte Musik. Es ist alles sehr kultiviert, es ist solide, aber diese vibratolosen Töne – mich reißt das nicht vom Hocker, es berührt mich nicht. Es ist mir ein bisschen zu brav, die Töne sind sehr gerade, dieses geschliffene Non-Vibrato, das ist nicht meins. Wir wissen ja auch gar nicht, ob die es früher mit oder ohne Vibrato gesungen haben … Mit Koopman habe ich schon musiziert, das fand ich sehr authentisch, aber auch ein bisschen eintönig. Da gefällt mir Harnoncourt viel besser: Der hat auch den historischen Ansatz, er bezieht die neuere Zeit aber viel mehr mit ein.
Bach: Weihnachtsoratorium
Hermann Prey (Bass), Eugen Jochum (Leitung) u.a.
1973, Philips
Daraus: Rezitativ: „Er ist auf Erden kommen arm“ & Arie: „Großer Herr, o starker König“
Aha, hier wird schon romantischer musiziert. Sind das die Tölzer? – Uiii, Hermann. Nein, das mag ich leider noch weniger. Er hat eine ganz andere Präsenz als Mertens, aber er singt mir das zu larmoyant. Bach war auch nicht sein Ding, würde ich sagen. Seine Schubert-Aufnahmen gefallen mir, und die Aufnahme vom Barbier von Sevilla mit Prey ist eine der besten, die ich kenne. Die Aufnahme hier müsste aus den 70ern sein, das war noch ein anderes Verständnis von Bach. Hören Sie sich das Tempo an: Das würde man heute viel zügiger machen. Und diese Hs in den Koloraturen, das verbiete ich meinen Studenten.
Lasst uns froh und munter sein
Marc Marshall (Bariton), Jay Alexander, (Tenor), Babelsberger Filmorchester, Marius Stieghorst (Leitung)
2008, Edel
Der Bass, ist das Gunther Emmerlich? Mir ist das zu aufgesetzt. Ach, das sind Marshall & Alexander? Sagen wir so: Für die Zielgruppe, für die es gemacht ist, ist es genau richtig gesungen. Die beiden erreichen damit viele Leute, das kann ich auch neidlos anerkennen. Aber ich gehöre nicht zu der Zielgruppe. Ich selbst habe auch nie solche CDs gemacht. Sicher gab es Anfragen, man wollte mich mit Montserrat Caballé auf Duo-Tour schicken, man hat mich auch gefragt, ob ich Konzerte mit Bocelli singe. Das kam für mich aber nicht infrage. Ich bediene ja eine ganz andere Klientel und habe einen ganz anderen Anspruch. Es gibt natürlich sehr schöne deutsche Volkslieder, die kann man auch niveauvoll singen. Aber was damit zum Teil in den Fernsehsendungen betrieben wird, hat mit Volksliedern nichts zu tun. Das ist für mich eher Volksverblödung.
C. P. E. Bach: Die Israeliten in der Wüste
Tobias Berndt (Bass), Barockorchester Stuttgart, Frieder Bernius (Leitung)
2014, Carus
Daraus: Arie: „Gott sieh dein Volk“
Die Arie kenne ich nicht. Aber das ist Christian Gerhaher. Nicht? Dann ist es Tobias Berndt. Ein sehr guter Sänger. Bei ihm sitzt die Stimme etwas weiter hinten als bei Christian, aber ich finde sie wunderbar, der kann einfach singen, der Junge. Er hat ja 2009 bei meinem Lied-Wettbewerb den zweiten Preis bekommen, er hat ein Bombenfinale gesungen, das war beeindruckend. Manchmal hört man bei ihm noch ein bisschen, dass er aus dem Osten kommt. Das weiß er aber, wir haben da auch gemeinsam dran gearbeitet. Bei Theo Adam hörte man das auch gelegentlich. Das sind so leichte Vokalfärbungen. Ich hatte zum Beispiel mal einen schwäbischen Schüler, da saße d‘ Vokale alle irgendwie so guddural da hinden – die aufzumachen und klar zu kriegen, das ist nicht einfach.
Schubert: An den Mond & Der Wanderer
Roman Trekel (Bariton), Oliver Rohl, (Klavier)
2000, Arte Nova
Ist das Gerald Finley? Die Stimme finde ich toll. Ach nein, ich weiß: Roman Trekel. Aber die Aufnahme ist Minimum fünf, sechs Jahre alt, heute singt er das anders. Das hier mag ich sehr, der kopfige Ansatz, die große Farbbreite, die Wortverständlichkeit, ein wunderbares Legato – klasse! Er hat was zu sagen, das merkt man. In unserer Sängergeneration war die Beschäftigung mit Literatur noch viel selbstverständlicher. Heute wissen viele nicht mehr, was zur Zeit Schuberts geschrieben wurde. Oder dass Beethoven ein großer Jean Paul-Fan war, das interessiert heute keinen mehr. Ich finde das wichtig, ich schicke meine Studenten deswegen auch in die Bibliothek, damit sie wissen, wie die Leute damals gedacht haben, was etwa der deutsche Vormärz bedeutet. Jemand wie Schiller war ja nicht nur ein begabter Autor, sondern es stand auch eine bestimmte Geisteshaltung dahinter. Wobei ich auch einen Studenten habe, der extrem viel liest. Neulich saßen wir nebeneinander am Flughafen, ich las irgendeinen Roman und er: Platon. So etwas ist aber die absolute Ausnahme.
Gershwin: Porgy & Bess, „O‘ ich hab‘ alles und gar nichts“
Lawrence Winters (Bass), NDR-Rundfunkorchester, Richard Müller-Lampertz (Leitung)
1965, Philips
Daraus: „Wer weiß, ob das alles so war“
Oh nein, bitte ausmachen! Das ist Roberto Blanco, das kann ich nicht ertragen. Ist es nicht? Also, man hört an der Stimme, dass sie nicht nur klassisch ausgebildet ist. Sie ist etwas unausgeglichen, er singt die unterschiedlichen Lagen mit verschiedenen Stimmen. Das ist ausdrucksstark, aber eher Musical. Lawrence Winters? Ach, du lieber Gott, 50er Jahre! Der konnte schon singen, er sollte diese Stücke aber lieber auf Englisch singen, man hört zu sehr, dass es nicht seine Sprache ist. Ich habe nie Porgy & Bess gesungen, öffentlich dürfen das auch nur Schwarze singen, das hat die Gershwin-Familie so festgelegt. Das finde ich auch gut, das ist ein schwarzes Stück, für Afroamerikaner. Die haben es ja schwer genug, in andere Opern reinzukommen, da gibt es nur wenige Sänger, die das geschafft haben.
Porter: Night and Day
Thomas Hampson (Bariton), London Symphony Orchestra, John McGlinn (Leitung)
1991, EMI Classics
Ist das Thomas Hampson? Die Aufnahme kenne ich nicht. Ein klassischer Sänger singt populäre amerikanische Musik – so etwas mag ich lieber von Michael Bublé. Ich würde es jazziger singen, das hier ist mir zu klassisch, zu opernhaft. Von seiner Stimmgebung her könnte das auch Mozart oder Verdi sein. Das hier hat mit Jazz ja nichts zu tun. Ich würde das Vibrato hier eher weglassen – und ein bisschen weniger Kitsch. Es ist im Jazz einfach eine ganz andere Tongebung, man schleift mal etwas an, zieht einen Ton über den Takt rüber, synkopiert mehr – das hier ist sehr geradeaus. Er ist ein toller Sänger, natürlich, aber großartige klassische Sänger sind eben nicht automatisch gute Jazz-Sänger.