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Blind gehört Voces8

„Sind das Briten?“

Barnaby Smith, Künstlerischer Leiter von Voces8, hört und kommentiert Aufnahmen von Kollegen, ohne dass er weiß, wer singt.

vonSusanne Bánhidai,

Vor ihrem Konzert in Schwerin im Rahmen der Festspiele Mecklenburg-Vorpommern nahm sich Barnaby Smith, der Künstlerische Leiter und Altus des Vokalensembles Voces8, Zeit für die geheime Playlist. Der britische Allround-Künstler, der auch solistisch als Countertenor in Erscheinung tritt, zudem noch als Chor-Coach, Aufnahmeleiter und Arrangeur tätig ist, fragt sich mit viel Spaß beim Raten außerdem häufig, ob er Landsleute hört.

Janequin: La Guerre

The King’s Singers
EMI 1984

 

Das ist ein frühes französisches Chanson. Der Komponist könnte Orlando di Lasso sein oder Josquin. – Oh, Janequin, also knapp daneben. Die Aufnahme klingt älter, daher tippe ich auf die frühen King’s Singers. Natürlich habe ich auch einzelne Stimmen erkannt. Aber vor allem der Gesangsstil führt mich dazu. Es klingt sehr sauber und so musiziert, wie Kammermusiker es machen würden. Mittlerweile gibt es viele Gruppen, die das so können. Damals, als die King’s Singers anfingen, war das ein Meilenstein. Ich mag das sehr gerne und denke, dass diese Art des Singens mich dazu inspiriert hat, Voces8 zu machen.

Hieronymus Praetorius: In dulci jubilo

Voces8
Signum Classics 2011

Mein liebstes Weihnachtslied: „In dulci jubilo“. Wir haben das auch aufgenommen, aber ich glaube, wir sind es nicht. Oder sind wir es doch? – Auf unserem Weihnachtsalbum, das schon fünfzehn Jahre alt ist! Ich hätte gedacht, es sind die Tallis Scholars. Das ist schon lustig, ich höre mich gar nicht selbst. Jetzt höre ich Andrea. Wir beide sind die einzigen, die von damals noch dabei sind. Heute klingen wir ganz anders.

J. S. Bach: Komm, Jesu, komm BWV 229

Tenebrae, Nigel Short (Leitung)
Signum Classic, 2023

Sottovoce? – Nein. Aber es ist aus den letzten zehn oder fünfzehn Jahren. Ich kenne natürlich viele Aufnahmen der Bach-Motetten, aber nicht so viele mit Einzelstimmen. Ich habe ein Cover vor Augen mit dem Dach der Thomaskirche drauf. – Aber die ist es nicht? Ehrlich: Ich habe keine Ahnung. Es klingt nach europäischen Sängern. – Nigel Short und das Tenebrae Ensemble. Das Album ist ja ziemlich neu und ich habe es noch nicht gehört. Nigel Short hat es in der Snape Maltings Konzerthalle aufgenommen, die eine eher trockene Akustik hat. Ich freue mich drauf, allerdings muss ich sagen: Es ist zu schnell.

J. S. Bach: Komm, Jesu, komm BWV 229

Monteverdi Choir, John Eliot Gardiner (Leitung)
Erato 1980

Das ist langsamer. Und es ist viel älter, das erkennt man am großen Vibrato und der voluminösen Stimmgebung. Wir singen das Stück heute Abend auch und werden ein Tempo wählen, das in der Mitte liegt zwischen dieser Aufnahme und derjenigen von Tenebrae. Ich würde auf Gardiner tippen. – Wenn ich die Aufnahmen hintereinander höre, bekenne ich mich und sage: lieber zu schnell als zu langsam. Aber weder in diesem langsamen noch in dem schnellen Tempo von Nigel Short hätte man es damals in der Thomaskirche gehört. Wobei meine Lehrerin immer gesagt hat: Wir waren nicht dabei, und wir wissen es nicht. Jetzt ist es Geschmackssache.

Passereau: ll est bel et bon

Amacord
Accentus 2013

Eine sehr gute Aufnahme. Es sind nicht die King’s Singers, die für dieses Stück eine Zeit lang berühmt waren. Sind es Europäer oder Amerikaner? – Dann tippe ich auf Amarcord. Sehr tenorale Oberstimme. Exzellent.

Riu, Riu, Chiu

Chanticleer
Chanticleer Records 1990

Es ist eine ältere Aufnahme. Sind es Briten? Ich meine es freundlich! – Sie klingen so gut wie ein britischer Chor, aber dafür auch zu aufpoliert. Das Ensemble hat sich die Mühe gemacht, das Stück ausgiebig zu proben, das hört man. Wir Briten würden das wohl nicht so intensiv erarbeiten. – Nicht europäisch? Dann sind es Amerikaner. Es könnten sein: Conspirare, Phoenix, Skylark … – Chanticleer! Ja, die üben immer bis zur Perfektion. Wenn wir oder eine britische Gruppe so ein Traditional aufnehmen, geht es um den Spaß: Es ist ein weihnachtliches Volkslied aus Spanien, lass uns loslegen! Ich würde also – auch aufnahmetechnisch – ein bisschen Glanz wegnehmen.

Poulenc: Hodie Christus natus est

RIAS Kammerchor, Marcus Creed (Leitung)
harmonia mundi 2013

Das sind keine Briten, das erkennt man daran, wie gut sie das Kirchenlatein singen. Bestimmt ein deutscher Chor. Es könnte der RIAS Kammerchor sein. Sehr gut einstudiert und gesungen. Es gibt nicht so viele Chöre in Mitteleuropa, die das Budget haben, so viele Leute zu engagieren und so intensiv zu proben. Die Mittelregion, dieser starke Alt, das alles klingt sehr nach deutscher Chorführung. – Der Chorleiter ist nicht aus Deutschland? Wer könnte das sein? – Marcus Creed! Ist der Brite? Ich dachte immer, er sei Deutscher! Das ist lustig, ich glaube, er hat immer mit deutschen Ensembles gearbeitet.

Lloyd Webber: Requiem – VII. Pie Jesu

Barbara Hendricks, Eric Ericson Chamber Choir, Eric Eriscon (Leitung)
EMI 1990

Das ist doch Andrew Lloyd Webbers Requiem, das erkenne ich in wenigen Sekunden! Auf die Sängerin komme ich nicht, obwohl es nicht so viele Aufnahmen gibt. Als ich noch ein Chorknabe war, habe ich es gesungen – der Komponist selbst hat mit uns gearbeitet. Später bin ich ihm erneut begegnet. Wir probten in einer Kirche, die er als Tourist besuchte. Wir erkannten ihn natürlich sofort. Er setzte sich in die erste Reihe und hörte eine Zeit lang zu. Dann kam er zu uns und sagte: „Wer seid ihr? Ihr seid gut!“ Er ist ein sehr schlauer, guter Komponist. Ich habe mir letztens die neue Version von „Starlight Express” in Bochum angeschaut. Vieles daran ist schlecht: die Texte, die Geschichte und so weiter. Aber komponiert ist es hervorragend! Wie er die einzelnen Charaktere in der Musik etabliert, ist faszinierend.

Kyrie in festis duplicibus

Calmus Ensemble
querstand 2004

Ich kenne das Stück nicht. Es müssen deutsche Sänger sein, das merkt man wieder an der Aussprache des Kirchenlateins. Ich höre fünf oder sechs Sänger, daher könnte es das Calmus Ensemble sein. Wie alt ist die Aufnahme? – Ah, etwas Neueres. Ein Arrangement vom Ensemble selbst. Sehr schön. Und sehr schön gesungen.

Orban: Daemon irrepit callidus

The National Lutheran Choir
National Lutheran Choir 2013

Ich habe dieses Stück schon mal gesungen, aber ich komme gerade nicht drauf. – „Daemon irrepit callidus“! Das hört sich an wie ein Pflichtstück für einen Wettbewerb. Ein passendes Stück, um zu zeigen, was man als Chor so drauf hat. Die Menschen, die das singen, sind entweder Ungarn, weil sie ihren Landsmann würdigen, oder solche, die durch den Wettbewerbs-Parkour tingeln.

Baby, you can drive my car

Sjaella
Querstand 2010

Ah, nur Oberstimmen! Oberstimmen a cappella, das gibt es nicht so oft. Sjaella, nicht wahr? Wir haben auch gerade ein Oberstimmen-Ensemble in Amerika gegründet. Es gibt immer noch zu wenige davon.

R. Strauss: Traumlicht op. 123/2

Accentus, Latvian Radio Choir, Laurence Equilbey (Leitung)
Naïve 2009

Das Stück kenne ich schon mal nicht. Ich frage mich auch, welche Sprache der Chor singt. Deutsch? Latein? Was Slawisches? Das Melisma ist so lang und das Crescendo so stark … Ich bitte um Auflösung. – Ein französischer Chor, der deutsch singt. Bei den Männerstimmen dachte ich an ein russisches Ensemble. Und auch auf Strauss wäre ich nicht gekommen. Ich dachte erst an Max Reger, aber dafür war es nicht sakral genug. Lustig, wie weit ich daneben lag.

Pärt: Nunc dimittis

Voces8
Decca 2015

Das sind jetzt aber wirklich wir! Ich erkenne Andrea und mich selbst. Nun habe ich doch noch die zweite Chance genutzt, uns selbst zu erkennen!

Händel: Dixit dominus HWV 232

Balthasar-Neumann-Chor & -Ensemble, Thomas Hengelbrock (Leitung)
dhm 2004

Ich finde, das ist eine ungewöhnliche Aufnahme mit einem sehr schnellen Tempo. Ich höre ein eher kleines Orchester und Countertenöre. Ich denke, dass es deutsche Sänger sind. Es ist noch nicht so alt, oder? Meine Lieblings-Aufnahme ist die von Marcus Creed, aber die ist es nicht. – Den Balthasar-Neumann-Chor kenne ich nicht so gut. Von diesem Stück sind mir sowieso nur zwei Aufnahmen bekannt: die von Eliot Gardiner und die von Creed. Ich habe das Werk so oft gesungen, dass ich mir keine Aufnahmen mehr anhöre. Das kann ich auswendig singen und dirigieren.

Brahms: Darthulas Grab­gesang op. 42/3

Stuttgarter Kammerchor, Frieder Bernius (Leitung)
Sony 2013

Das Lied kenne ich gar nicht. Aber ich erkenne dieses Mal die Sprache. Ich kann aber nicht mit Sicherheit sagen, dass es ein deutscher Chor ist. Aus Süddeutschland? Dann wird es der Stuttgarter Kammerchor sein, der kann so etwas singen! Ich frage mich, ob es Alte Musik ist oder ein Komponist, der der Alten Musik huldigt. Rheinberger? Reger? – Na klar, Johannes Brahms!

Tallis: Mass for Four Voices – Gloria

The Hilliard Ensemble
ECM 1986

Britisch? Klingt wie das Orlando Consort. Es ist zu gut, um das Hilliard Ensemble zu sein. – Warum ich das so sage? Ich kenne sie nur, als sie schon älter waren und nicht mehr ganz so auf dem Höhepunkt ihrer stimmlichen Qualitäten. Aber das Hilliard Ensemble passt schon auch, denn die Besetzung der beiden Ensembles überschneidet sich. Das Stück kenne ich nicht. Ich mag, wie der Bass so gelassen singt, als würde er denken: Mir doch egal! Für mich als Tontechniker und Aufnahmeleiter ist es sehr interessant, wie sich die Aufnahmetechnik und Ästhetik über die Jahre verändert haben. Obwohl diese Einspielung sehr alt ist und wohl aus den 1980er-Jahren stammt, ist es ein toller Sound.

Album-Tipp:

Album Cover für Nightfall

Nightfall

Werke von Jaeil, Rós, Reger, Scott Davis, Einaudi, Richter, Shaw u. a. Voces8 Decca

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