„Beethoven ist systemrelevant“
Der Kaufmännische Geschäftsführer
Ralf Birkner im Interview
„Wir wollen ein signal für die Kultur senden“
Der Künstlerische Geschäftsführer
Malte Boecker im Interview
Herr Birkner, wie haben Sie die Monate März und April erlebt?
Ralf Birkner: Wir befanden uns noch im Hoch der ersten drei Monate, die für uns im besten Sinne intensiv waren: Zunächst der Startschuss des Jubiläumsjahres mit 800 Hauskonzerten, dem eine Vielzahl von Projekten folgte, die von großer medialer Aufmerksamkeit verfolgt wurden. Dann sollte der Musikfrachter von Bonn nach Wien fahren, was unser größtes Projekt im Bereich der Musikvermittlung war. Wenige Stunden nach der Schiffstaufe kamen die ersten Nachrichten, dass es wohl einschneidende Einschränkungen im Veranstaltungsbereich geben würde. Wenig später war klar, dass der Musikfrachter Bonn nicht verlassen würde. Da flossen dann tatsächlich auch Tränen.
Wie ging’s nach der Schockstarre weiter?
Birkner: Ich muss sagen, dass die enorme Resilienz der Kulturschaffenden, die wir in den letzten Monaten erlebt haben, schon von Anfang an da war. Was den Musikfrachter anbelangt, wurde binnen weniger Stunden ein neues Konzept geschrieben für einen 48-stündigen Livestream aus dem Bauch des Schiffes, in dem auf die Schnelle ein Studio eingerichtet wurde – sozusagen das erste notgedrungene Transformationsprojekt des Beethovenjubiläums. Kurz danach war dann der bundesweite Lockdown beschlossene Sache.
Keine sechs Wochen später vermeldeten Sie, dass der Aufsichtsrat von BTHVN2020 den Förderzeitraum der Projekte bis September 2021 verlängert würden. Mit anderen Worten: Das Jubiläumsjahr wurde ausgeweitet aufs Folgejahr. Nicht wenige Künstler verlagerten aber ihre Projekte in den digitalen Raum und fanden auch so ihr Publikum.
Birkner: Interessanterweise haben wir uns bei den Vorbereitungen des Jubiläums, also noch lange vor der Coronazeit, überlegt, wie wir im Zeitalter der Digitalisierung die Rezeption klassischer Musik mit neuen Impulsen versehen und damit neue Zielgruppen erschließen können – für die klassische Kultur insgesamt, nicht nur für das Beethovenjahr. Auch unser Pastorale-Projekt, das wir gemeinsam mit dem Weltklimasekretariat der UN ins Leben gerufen haben, haben wir auf digitalem Wege durchgeführt. Da haben wir enorme Reichweiten erzielt, die wir möglicherweise mit Präsenzveranstaltungen nicht erreicht hätten.
Stand Ihnen bei den zahlreichen Neuausrichtungen der Projekte nicht die Bürokratie im Weg?
Birkner: Wir haben im Vorhinein sehr akribisch mit unseren Zuwendungsgebern – der Bund, das Land NRW, die Stadt Bonn und der Rhein-Sieg-Kreis – über die Förderrichtlinien gesprochen, so dass es auch dann wenig Reibungsverluste gab, als die Corona-Krise kam. Wir hatten eine eigene Förderdatenbank entwickelt, in der der Werdegang aller Projekte, sozusagen von der Wiege bis zur Bahre mit allen Zwischenverwendungsnachweisen und all diesen Dingen minutiös vermerkt ist. Wir hatten also von Beginn an ein sehr partnerschaftliches Verhältnis zu unseren Fördernehmern, dass sich dann auch bezahlt gemacht hat. Da ist sehr viel Kommunikation und Beratung nötig, was in der Neukonzeption gut funktioniert hat. Vielleicht ist auch das ein Grund, warum – Stand heute – nur elf von 200 Projekten abgesagt werden mussten.
Ziehen denn auch die Sponsoren mit?
Birkner: Die sind noch mit dabei, ja. Es hat sich ja auch gerade in den letzten Monaten gezeigt, dass Kultur so überlebenswichtig ist wie der Lebensmittelladen. Das Herz braucht Nahrung, und das ist eben Kultur. Das haben viele Menschen festgestellt, als Konzerte plötzlich keine Selbstverständlichkeit mehr waren. Ich denke, dass das auch für die Sponsoren nochmal eine Bestätigung dafür war, welchen wertvollen Beitrag Kultursponsoring für die Qualität unseres Zusammenlebens hat.
Man hält also zusammen.
Birkner: Ja, da herrscht ohne Zweifel ein enger Schulterschluss, auch seitens der öffentlichen Hand, die zu ihren Förderzusagen noch immer steht und das Geld nicht anderweitig verplant hat.
Nur die Touristen müssen im nächsten Jahr endlich kommen.
Birkner: Da denken wir aber ohnehin auch längerfristig – und das erste Quartal 2020 war bereits ein Erfolg. Gerade Menschen aus fernen Ländern können ja nicht von heute auf morgen eine Reise nach Deutschland organisieren. Aber wir konnten in Zusammenarbeit mit der Deutschen Zentrale für Tourismus bereits Impulse setzen und die Aufmerksamkeit auf Bonn lenken, was in den Folgejahren sicher auch zu Reiseanlässen in die Beethovenstadt Bonn führen wird.
Und wie sieht’s mit dem Inlandstourismus aus?
Birkner: Dass Bonn nicht nur ehemalige Hauptstadt, sondern auch eine Kultur- und Beethovenstadt ist, war vielen nicht so bewusst. Da konnten wir unter der Dachmarke BTHVN doch viel bewirken, dass die öffentliche Wahrnehmung auch in Richtung Beethoven verschoben wurde.
Werten Sie also das Beethovenjahr trotz der Pandemie als Erfolg?
Birkner: Ja, gerade was die öffentliche Wahrnehmung anbelangt. Wir haben insgesamt knapp 6.000 mediale Beiträge in 44 Ländern mit einer Reichweite von etwa 3,5 Milliarden Menschen gezählt. Man sieht: Beethoven ist systemrelevant – und mit all seinen biografischen Brüchen und seinen Schicksalsschlägen, gegen die er angekämpft hat, ist er vielleicht auch genau der richtige Jubilar für diese Zeit.
Meine letzte Frage an Ihren Kollegen Ralf Birkner war, ob das Jubiläumsjahr ein Erfolg war. Diese Frage möchte ich gerne auch an Sie richten.
Malter Boecker: Eines unserer Ziele war, Bonn als Geburtsstadt Beethovens international zu positionieren, und das ist uns ohne Zweifel gelungen. Ferner wollten wir die Beethoven-Institutionen stärken und vernetzen. Corona hat uns ganz eng zusammen rücken lassen und nachhaltige Strukturen sind entstanden: Wir haben den Beethoven-Rundgang durch Bonn realisiert, das Beethoven Orchester Bonn spielt unter Dirk Kaftan auf top Niveau, das Beethovenfest ist ab 2022 mit Steven Walter spannend und innovativ besetzt und das Beethoven-Haus verfügt nun über eine komplett neu gestaltete Dauerausstellung, die auch sicherlich die nächsten Jahrzehnte tragen wird. Überhaupt hat die Pandemie den Innovationsdruck in der klassischen Musik deutlich verstärkt. Da sind wir mittlerweile durch Hybridformate und viele neue Präsentationsformen viel selbstverständlicher auf zukunftsweisenden Wegen unterwegs.
Sind die neu geschaffenen Strukturen und Hybridformate temporär oder wird es nach überstandener Pandemie ein Zurück zu den klassischen Konzertdarbietungen geben?
Boecker: Es hat sich halt schon sehr viel verändert in der Zwischenzeit – die Künstler gehen raus aus den bekannten Strukturen, das Selbstverständnis ist da, dass Kultur in der Krise an neuen Orten vorkommen muss, und dass sie mehr sein will als nur Unterhaltung. Kultur gibt die Orientierung, trägt zu Lebenszuversicht und zum Zusammenhalt der Gesellschaft trotz der ganzen physischen Distanz bei. Ein Beispiel für das neue gesellschaftspolitische Selbstverständnis war unser gestreamtes Pastorale-Projekt, bei dem es auch eine Künstlerdeklaration gab. Da haben meines Wissens erstmalig Musiker im Sinne des Umwelt- und Klimaschutzes artikuliert, dass sie Teil der Lösung für eine nachhaltigere Ausrichtung unserer Gesellschaft sein wollen und dass sich auch unser Musikbetrieb nachhaltig verändern muss. All das ist nicht zurückzudrehen, auch wenn die Sehnsucht nach dem Gemeinschaftserlebnis Konzert heute so groß ist wie schon lange nicht mehr.
Werden denn auch jene Jubiläumsveranstaltungen, die im kommenden Jahr nachgeholt werden, in veränderter Form stattfinden?
Boecker: Wir haben allen mitwirkenden Künstlern die Möglichkeit gegeben, ihre Projekte nicht nur zu verschieben, sondern auch inhaltlich anzupassen. Von dieser Möglichkeit wurde zahlreich Gebrauch gemacht. Es wird also auch im kommenden Jahr Veranstaltungen geben, die anders verlaufen, als wenn sie bereits 2020 ohne die Pandemie präsentiert worden wären.
Das Motto des Jubiläums lautet „Beethoven neu entdecken“. Inwieweit konnte dieses Vorhaben angesichts der unvorhergesehenen Ereignisse verwirklicht werden?
Boecker: Das war ja schon immer eine steile These: Beethoven neu entdecken, obwohl er seit über 200 Jahren permanent im öffentlichen Bewusstsein verankert ist. Jedoch wird nur ein kleiner Ausschnitt aus Beethovens Gesamtwerk immer und immer wieder gespielt. Es gibt also ganz viele Werke, die im internationalen Konzertbetrieb unterbelichtet sind. Ein anderer Punkt ist, dass in der Rezeption Beethovens noch immer diese Mythisierung des 19. Jahrhunderts bestimmend ist, dass dieser Komponist nach wie vor titangleich überhöht wird, weil er eben diese großen Werke geschaffen hat, vor denen man ehrfürchtig erstarrt. Unter diesen beiden Gesichtspunkten haben wir, glaube ich, gute Arbeit geleistet, denken Sie etwa an die Ausstellung „BEETHOVEN. WELT.BÜRGER.MUSIK“ in der Bundeskunsthalle oder an die neu konzipierte Ausstellung im Beethoven-Haus, in der wir dieser Mythisierung entgegenarbeiten und ein historisch differenziertes Bild geschaffen haben. Man kann, denke ich, mit Fug und Recht sagen: Es sind viele substanzielle Angebote geschaffen worden, sich mit Beethoven jenseits dieser Klischees auseinanderzusetzen. Dazu gehört auch, dass wir einen großen Fokus auf den jungen Beethoven setzen konnten, der hier in Bonn ein Drittel seines Lebens verbracht hat.
Jetzt steht aber erst mal der 17. Dezember bevor, Beethovens Tauftag und der Höhepunkt der Jubiläumsfeierlichkeiten. Können Sie sich angesichts der Ungewissheiten, was die kommenden Wochen so bringen, überhaupt darauf freuen?
Boecker: Natürlich freue ich mich darauf! Klar: Wir wissen nicht, wie die Schutzbestimmungen zur Eindämmung der Virusverbreitung aussehen werden, aber geplant ist ein Konzert mit Daniel Barenboim und dem West-Eastern Divan Orchestra als Höhepunkt am 17. Dezember. Am Abend davor findet eine Konzertnacht mit dem Beethoven Orchester Bonn statt. Beide Veranstaltungen werden so geplant, dass sie unter allen möglichen Szenarien stattfinden können. Im schlimmsten Fall werden es gestreamte Veranstaltungen ohne Publikum sein. Drumherum haben wir weitere, kleinteiligere Aktivitäten geplant. Es wird etwa ein Kammerkonzert im Beethoven-Haus geben, eine ökumenische Andacht an jenem Taufbecken, an dem auch Beethoven getauft wurde, auch sind Aktivitäten in der Bonngasse geplant. Aber wir werden das alles erst sehr kurzfristig veröffentlichen, denn wir wollen nur das verkünden, was auch wirklich realisiert werden kann. Naja, nach einer ausgelassenen Party sieht‘s nicht aus. Wir sehen doch alle, dass der 250. Geburtstag in eine schwierige Zeit fällt. Aber wir wollen diesen Tag nicht unerhört verstreichen lassen und umso bewusster ein Signal für die Kultur senden, die wir mit BTHVN2020 feiern und die gerade jetzt ein unverzichtbarer Teil unserer Gesellschaft ist.