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Interview Cecilia Bartoli

„Ich will nicht nur Sängerin sein“

Die Mezzosopranistin Cecilia Bartoli über den Reiz musikalischer Neuentdeckungen, diplomatisches Geschick und eine ausgewogene Life-Work-Balance

vonDagmar Leischow,

Cecilia Bartoli, 46, nimmt mit ihrer positiven Ausstrahlung sofort jeden für sich ein. Beim Interview in einem Zürcher Hotel lacht sie viel und mitreißend. Auf den ersten Blick ist sie ein richtiger Sonnenschein, doch als künstlerische Leiterin der Salzburger Pfingstfestspiele oder als Sängerin geht sie nie den Weg des geringsten Widerstandes. Immer wieder widmet sich die Mezzosopranistin ungewöhnlichen Projekten, für die sie teilweise jahrelang nach Notenmanuskripten stöbert. Zuletzt hat die Italienerin Agostino Steffanis Kompositionen eingespielt.

Frau Bartoli, ist es Ihr Bestreben, fast vergessene Musik wieder in Erinnerung zu rufen?

Aber ja. Schon Ende der 90er Jahren beschäftigte ich mich bekanntlich mit Vivaldis Opern, für die sich damals kaum noch jemand interessierte. Mit Stolz kann ich heute sagen: Meine intensiven Recherchen haben sich wirklich gelohnt. Inzwischen sind Vivaldis Arien um einiges populärer geworden. Das französische Label Naïve hat diesem Komponisten sogar eine eigene Edition gewidmet.

Erhoffen Sie sich jetzt bei Agostino Steffanis Werken einen ähnlichen Erfolg?

Es wäre vermessen, im Vorfeld so große Pläne zu schmieden. Steffani reizte mich einfach, weil ich schon lange auf der Suche nach interessanten Stücken war, die sich irgendwo zwischen der späten Renaissance und dem frühen Barock bewegen. Zuerst entdeckte ich die Kammerduette, später dann die Opern. Ich war total begeistert, darum beschloss ich, auf meiner CD Mission einen möglichst tiefen Einblick in Agostino Steffanis Schaffen zu geben.

Was macht seine Kompositionen Ihrer Ansicht nach so besonders?

Sie sind sehr kraftvoll. Außerdem beinhalten sie die gesamte Bandbreite zwischen Lamento und virtuosen Momenten. Immer wieder kommuniziert der Gesang auf eine ganz wunderbare Art mit dem Orchester. Dem kann man sich nicht entziehen, finde ich.

Es heißt, Steffani hätte großen Einfluss auf Händel gehabt.

Das ist richtig. Im zweiten Akt seiner Oper Ariodante hat Händel sogar eine Agostino Steffani-Arie eingeschmuggelt. Als Tribut an sein Idol. Sie sehen, er wertschätzte ihn über alle Maßen.

Trotzdem zog Steffani im Laufe der Jahre immer weniger Zuhörer in seinen Bann. Haben Sie eine Erklärung dafür?

Ich glaube, er hatte ein Identitätsproblem. Er wurde zwar in Italien geboren, wohnte aber als Kind nur wenige Jahre dort. In Deutschland wiederum verbrachte er einen Großteil seines Lebens. Doch war er eben kein gebürtiger Deutscher. Insofern mochte ihn wohl kein Land richtig für sich beanspruchen. Hinzu kam, dass sich Steffani nicht bloß der Musik widmete. Er übte mehrere Berufe parallel aus: Komponist, Geistlicher, Politiker, Diplomat. Letztlich hat ihn die Diplomatie am allermeisten beansprucht. Somit konnte er nicht mit aller Macht in die Öffentlichkeit streben.

Beneiden Sie ihn um seine zahlreichen Talente?

Irgendwie schon. Ich würde wahrscheinlich keine so gute Politikerin oder Diplomatin abgeben. Andererseits: Ich bin ja nicht nur Sängerin, sondern auch künstlerische Leiterin der Salzburger Pfingstfestspiele. In dieser Position brauche ich durchaus ein gewisses diplomatisches Geschick, sonst könnte ich den Vorstand nicht für meine Ideen gewinnen.

Ist das eine schwierige Aufgabe?

Ach, in erster Linie empfinde ich meine Arbeit in Salzburg als äußerst erfüllend. Schließlich durfte ich in diesem Jahr großartige Künstler von Anne Sofie von Otter bis zu Philippe Jaroussky einladen. Sie haben sicherlich dazu beigetragen, dass wir den Kartenverkauf enorm steigern konnten.

Für die Pfingstfestspiele 2013 haben Sie das Thema Opfer gewählt. Warum?

Weil mich die Doppeldeutigkeit dieses Begriffs fasziniert. Besonders deutlich wird sie im Englischen, wo die beiden Wörter sacrifice und victim ganz unterschiedliche Bedeutungen haben. Dabei ist es meist bloß eine Frage der Perspektive, ob man ein Opfer bringt oder selber zum Opfer wird.

Vermutlich treffen Sie mit diesem Sujet bei Ihrer Freundin Donna Leon ins Schwarze. Wieso hat sie in ihrem Roman Himmlische Juwelen Steffanis Leben Revue passieren lassen?

Dazu kam es eher zufällig. Weil Donna ein passionierter Händel-Fan ist, erzählte ich ihr, wie sehr Steffani ihn geprägt hat. Das weckte sofort ihre Neugier. Deshalb beschlossen wir, uns mit Steffani sowohl musikalisch als auch literarisch auseinanderzusetzen. So ist Donna endlich mal wieder von Commissario Brunetti losgekommen. (lacht)

Haben Sie sämtliche Brunetti-Romane gelesen?

Leider nein. Dafür fehlt mir schlichtweg die Zeit. Aber einzelne Bände sind mir natürlich vertraut.

Wie inspirierend ist eigentlich Literatur für Sie als Sängerin?

Ich beschäftige mich oft mit Künstlerbiografien. Kürzlich bin ich auf ein Buch über Rossinis erste Frau Isabella Colbran gestoßen. Mit jedem weiteren Kapitel, das ich durcharbeite, manifestiert sich bei mir der Eindruck, Rossini aus einem völlig neuen Blickwinkel kennenzulernen. Das ist ein unheimlich spannender Prozess. Ich werde bestimmt bei meiner nächsten Rossini-Partie davon profitieren.

Gibt es für Sie nichts Schöneres, als auf der Bühne zu stehen?

Sicher genieße ich das. Im Gegensatz zu anderen Kollegen sind meine Auftritte für mich aber nie zu einer Art Sucht geworden. Ich achte sehr genau darauf, dass ich nicht nur Sängerin bin, sondern auch ein erfülltes Privatleben habe.

Empfinden Sie Ihre Stimme trotzdem als Geschenk?

Selbstverständlich. Zum Glück habe ich ein ganz eigenes Timbre und einen relativ großen Stimmumfang. Doch das genügt nicht für eine langfristige Karriere. Neben einer perfekten Technik brauchen Sänger vor allem die Gabe, große Gefühle in ihren Gesang legen zu können, sonst werden sie ihr Publikum nie wirklich bewegen.

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