Er sei ein „rastloser Mensch“, immer unterwegs, um dem Stigma des Geheimtipps zu entrinnen – sagte Julian Steckel 2014. Das hat der Cellist heute nicht mehr nötig: Steckel ist gut beschäftigt. Quicklebendig wirkt er beim Gespräch in einem Berliner Kiez-Restaurant.
Herr Steckel, mit dem Roller sind Sie wahrscheinlich heute nicht gekommen, oder?
Julian Steckel: (lacht) Nein, das bin ich nicht. Aber ich, weiß, worauf Sie anspielen. Mein Unfall mit dem Motorroller – ist auch schon wieder einige Jahre her. Das war eine echte Idiotenaktion, muss man sagen. Ich war nicht vorbereitet, auf was für ein Teufelsteil ich mich da setze. Ich hatte ein lahmes Rad erwartet, einmal am Gas gezogen und – hopps! – schoss es davon. Ich landete direkt an der nächsten Hauswand. Zum Glück habe ich einen Helm getragen. Es waren ein paar Freunde dabei, alle haben sich erst einmal kaputtgelacht. Es war nur ein kleiner Knöchel an der Hand, das so genannte Kahnbein. Alles blau und grün, es sah schrecklich aus. Enorm schmerzhaft. Das musste operiert werden und dann kam der Gips dran. So macht man seine Erfahrungen.
Dennoch: Sind Sie Immer noch rastlos?
Steckel: Ja, das bin ich immer noch, allerdings auf andere Weise. Ich glaube aber nicht, dass ich getrieben bin. Witzigerweise habe ich bei meinen Kollegen eher den Ruf eines Ferienliebhabers. Ich habe nie Angst vor Pausen. Zweimal im Jahr lege ich eine totale Pause ein, auch ohne Cello. Man muss einfach nur gut planen, was man wann machen kann, wie viel Kraft man für etwas braucht. Beim Einteilen meiner Kräfte bin ich über die Jahre eindeutig besser geworden. Nach einer Saison merkt man, wie stark das in die Knochen ging. Da sollte man auf seinen Körper hören. Vor kurzer Zeit erst war ich im Urlaub, in Vietnam und dann in Kuala Lumpur, wo ich einen Freund besucht habe. Ich liebe es, durch Asien zu reisen. Zumal weil es so dermaßen anders ist, kulturell, klimatisch, von den Menschen her. Da erhielt ich eine Anfrage für einen Einspringer. Zehn Tage hatte ich kein Cello mehr zur Hand genommen und sollte ein Schostakowitsch-Konzert spielen. Eigentlich hätte ich mehr Zeit zur Vorbereitung gebraucht. Aber ich habe es angenommen – und mich selten so gut gefühlt. Das war eine gute Erfahrung, dass man sich traut, eine Woche mal nicht zu spielen. Es hat mich darin bestärkt, genau so zu planen und zu arbeiten: das, was man macht, intensiv zu machen.
Zu Ihren Lehrern gehörten auch Boris Pergamenschikow und Antje Weithaas. Was war das Wichtigste, was Sie von ihnen lernen konnten?
Steckel: Das Wichtigste nach ganz vielen Schichten – Lernen, Verwerfen, Niederlagen, Erfolge – ist, dass man sich selbst vertraut. Es geht darum, dass man seinen Instinkt wiederfindet. Man muss erst überzeugt davon sein, was man macht, um dann selbst überzeugend zu sein. Als Musiker hört man ja nie auf zu lernen. Das finde ich so spannend, dass man so viele Schichten aufeinanderstapelt. Das sieht man auch in den Partituren, die man nutzt. Da ist so vieles reingeschrieben, was einem der Lehrer beigebracht hat, wieder durchradiert, ergänzt und so weiter. Das ist unabdingbar, dass der Zweifel immer dabei sein muss. Wenn wir nicht hinterfragen, nutzt sich alles ab. Es geht nicht darum, die Noten zu verbrennen, das sind alles wertvolle Informationen. Es geht darum, immer wieder mit frischen Ohren ranzugehen. Jeder Auftritt ist neu, anders. Der Zweifel ist vorher, auf der Bühne ist die Überzeugung.
Kein Lampenfieber dabei?
Steckel: Das gibt es, das ist auch nichts Schlechtes. Lampenfieber treibt zu Höchstleistungen an. Das ist das Benzin auf der Bühne. Aus dem Druck entsteht etwas Besonderes. Ich mag das sehr. Interessanterweise werde ich eher im Studio, ohne die Resonanz des Publikums, nervös.
Was ist der erste Satz, den Sie zu Ihren Schülern sagen, wenn sie frisch auf die Hochschule kommen?
Steckel: Ich höre mir erst mal an, welche Geschichte jeder einzelne Studierende mitbringt. Was hast du bisher gespielt, wie sind deine Erfahrungen, was sind deine Ziele – nicht nur mit deinem Instrument. Das steht am Anfang. So kann sich ein Vertrauen aufbauen, das einen über viele Jahre trägt. Ich bin jemand, der gerne auch über Jahre hinweg Kontakt zu seinen Schülern hält. Mit der Erfahrung im Unterrichten steigt natürlich auch die Schnelligkeit, mit der ich erkennen kann, was jeder einzelne Studierende braucht. Das ist spannend, wenn man sieht, wie viel Persönlichkeit jeder mitbringt. Der eine hat vielleicht einen technischen Vorsprung, der andere einen persönlichen Vorsprung. Ich bin niemand, der im Erstsemester jeden durch ein immer gleiches Raster presst. Aber man muss zugeben: Der Druck auf die Studierenden ist heutzutage enorm, schon bei der Aufnahmeprüfung. Der Kampf um die raren Plätze ist hart. Ich habe derzeit fünf Studierende.
Sie engagieren sich auch bei der Education-Initiative „Rhapsody in School“. Was war Ihr bisher schönstes Erlebnis?
Steckel: Die Fragen sind immer lustig, gerade von den ganz Kleinen. Die sind einfach herrlich! „Wie viel verdienst du?“ – „Wie alt ist dein Instrument?“ Die beste Frage aber war: „Nimmst Du dein Cello mit in die Badewanne?“ Da musste ich erst mal lachen. Eindrucksvoll war das Erlebnis in einer Inklusionsklasse. Ein Kind hatte das Down-Syndrom. Als ich den „Schwan“ spielte, hat es mitgesungen und mich danach umarmt. Kinder sind ja prinzipiell sehr direkt. Entweder sie mögen etwas, oder sie mögen es gar nicht. Bei „Rhapsody in School“ mache ich sehr gerne mit. Das ist super. Natürlich längst nicht so regelmäßig wie das Unterrichten. Je nachdem, in welcher Stadt man gerade ist, um ein Konzert zu geben, kann man die Zeit um die Proben herum nutzen, um in die Schulen zu gehen. Man könnte stattdessen auch ein Museum besuchen, Sport treiben oder rumgammeln. Viel unterhaltsamer aber ist es, mit den Kindern und Jugendlichen etwas zu erleben.
Auf dem Violoncello könne man „fast alles“ spielen, sagt Ludwig Quandt, Erster Solocellist der Berliner Philharmoniker. Würden Sie zustimmen?
Steckel: Mir fällt spontan tatsächlich nichts ein, was man auf dem Cello nicht spielen könnte. Das ist das Geniale an dem Instrument, dass es alles abbilden kann. Vom Abgrundtiefen, Grübelnden bis zum Leichten und Tänzerischen – übrigens auch im Jazz. Die Geige wäre für mich nichts gewesen. Ich bin ja in einer Musikerfamilie aufgewachsen. Meine Schwester spielt im Gewandhausorchester, und immer wenn ich sie beim Üben gehört habe, wusste ich: Das ist nicht mein Instrument. Da wären mir fast die Gläser in der Brille gesprungen. Das Cello hat etwas Körperliches, man spürt es beim Spielen, in den Füßen, in den Beinen, im Bauch. Es ist der kleine Bass, das „Bässchen“.
2017 war es die Oboe, jetzt ist das Cello das „Instrument des Jahres“. Haben Sie davon etwas mitgekriegt?
Steckel: Ja, es wurde mir zugetragen. Aber was das bedeutet, weiß ich wirklich nicht. Sollen jetzt alle Kinder Cello lernen? Das wäre natürlich schön, ohne Frage. Aber was hinter der Initiative steckt, kann ich nicht sagen. Ich habe auch mit keinem einzigen meiner Kollegen darüber gesprochen. Mal so gekontert: Es ist doch eher das Instrument des Jahrhunderts, oder? (lacht) Sind wir doch mal ehrlich …
Immer wieder hörenswert: Sein Preisträgerkonzert beim ARD-Musikwettbewerb: